Wegscheider

[677] Wegscheider (Julius Aug. Ludw.), ordentlicher Professor der Theologie zu Halle, hat sich in der Theologie als Begründer des Systems des Rationalismus einen berühmten Namen erworben. Er wurde am 17. Sept. 1771 zu Kübbelingen im Braunschweigischen geboren, wo sein Vater Prediger war, erlernte auf dem Pädagogium zu Helmstedt und dem Carolinum zu Braunschweig die alten Sprachen und studirte zu Helmstedt Theologie und Philologie. Als Candidat bekleidete er eine Hauslehrerstelle zu Hamburg, übte sich während dieser Zeit fleißig im Predigen, widmete sich aber, angeregt durch das Studium der Kant'schen Philosophie, dem akademischen Berufe, nachdem er bereits als Schriftsteller durch eine gelehrte philosophische Abhandlung sich bekannt gemacht hatte. Im J. 1805 trat er als Privatdocent in Göttingen auf, wurde aber schon im nächsten Jahre auf Veranlassung seiner gelehrten Schrift: »Einleitung in das Evangelium des Johannes« (Gött. 1806), als Professor der Theologie und Philosophie nach Rinteln berufen, wo er bis zur Aufhebung der dortigen Universität im J. 1810 blieb, und darauf als ordentlicher Professor der Theologie nach Halle versetzt wurde. Hier verbreitete er seinen Ruhm als theologischer Schriftsteller über ganz Deutschland und wirkte im Kreise seines akademischen Berufs bis jetzt auf das unermüdlichste, sodaß er sich stets der größten Achtung und des Beifalls der studirenden Jugend und seiner Amtsgenossen zu erfreuen hatte, ungeachtet der Haß seiner pietistischen Gegner ihn auf jede Weise befeindete, ja 1830 sogar so weit ging, daß sie ihn und seinen Collegen Gesenius öffentlich der Berspottung des Christenthums beschuldigten. Das berühmteste Werk W.'s ist sein lateinisch geschriebenes und seit 1815 in vielen Auflagen erschienenes »Lehrbuch der christlichen Glaubenslehre«, in welchem von ihm die Glaubenssätze der herrschenden Kirchenlehre nach den Gesetzen des vernünftigen Denkens auf das freimüthigste geprüft werden, durch welches mit Folgerichtigkeit durchgeführte Verfahren der Rationalismus von ihm zuerst zu einem vollständigen Lehrgebäude aufgeführt wurde. Von fremder Hand ist dasselbe auch ins Deutsche übersetzt, und die katholische Kirche hat es in das Verzeichniß der verbotenen Bücher gestellt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 677.
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