Wucher

[755] Wucher. Im Allgemeinen bedeutet »Wucher treiben« auf übermäßigen Gewinn an Darlehnen oder an zum Leben unentbehrlichen Dingen ausgehen, wie z.B. durch das Aufkaufen von Getreide, um dadurch Theurung hervorzubringen. Sonst ist der Begriff des Wuchers darum nicht genau zu bestimmen, weil stets örtliche oder nur vorübergehende Lebensverhältnisse dabei in Betracht kommen. An Orten oder unter Zeitumständen z.B., wo an einem Capital viel gewonnen werden kann, ist es auch nicht unbillig, wenn davon dem Darleiher ein größerer Antheil gegeben wird, als unter umgekehrten Verhältnissen; allein darum darf noch immer keine Übervortheilung der Anleihenden stattfinden. Diese zu verhindern, sind von den Staaten Gesetze gegen den Wucher gegeben worden, die aber der obenerwähnten Verhältnisse wegen sehr verschieden sind. So gestatten z.B. die großbritann. Gesetze in Ostindien und überhaupt in den Colonien höhere Zinsen zu nehmen als im Mutterlande, und was hier für Wucher gelten würde, ist dort erlaubt. Im Ganzen sind jedoch alle Wuchergesetze wehr zum Schutze der ärmern Classen und der Unerfahrenen gegeben und finden auf Wechselgeschäfte und den kaufmännischen Gewerbsbetrieb keine Anwendung. Allein auch dem Wucher wirksam zu steuern vermochten sie nicht, weil der Geld dringend Bedurfende sich in der Noth doch den Foderungen des Wucherers fügt und bei vielleicht gewagten Darlehen auch das Nehmen größerer Vortheile unumgänglich ist. Im Königreich Sachsen wird jeder Vortheil als Wucher betrachtet, welchen Jemand sich aus einem Darlehns- oder andern Vertrage außer den gesetzlichen fünf (auf Wechsel sechs) Procent Zinsen jährlich zusichern läßt. Dabei ist es gleich, ob er sich deshalb höhere Zinsen oder eine größere Summe verschreiben läßt, als er wirklich hergeliehen hat, ob er die Rückzahlung vielleicht in bessern Münzen (statt Silber z.B. Gold) bedingt oder auf welch andere Art er sich ein größeres Entgeld als die gesetzlichen Zinsen zu verschaffen sucht. Dergleichen Zusicherungen und Annahmen über die gesetzlich erlaubten Zinsen sind ohne rechtliche Verbindlichkeit und der Darleiher wird mit dem zehnfachen Betrage des zuviel Erhobenen, im Wiederholungsfalle auch mit Gefängniß, und gewerbsmäßiger Wucher mit Arbeitshaus bis zu zwei Jahren bestraft. Auch die Mäkler und Unterhändler solcher Geschäfte unterliegen der Strafe, doch sind diese Bestimmungen nicht auf den kaufmännischen Geschäftskreis anwendbar. In Preußen werden alle außer den gesetzlichen Zinsen bedungene Vortheile bei Darlehen zu Geld angeschlagen und soweit als unverbindlich betrachtet, daß es noch binnen sechs Jahren nach abgetragener Schuld zurückgefodert werden kann. Außer dem wird der Wucher noch damit bestraft, daß Capital und Zinsen dem Fiscus [755] verfallen und vom Schuldner für denselben, oder wenn dieser schon gezahlt oder nur unvollständig oder gar nicht zahlen kann, auch vom Gläubiger beigetrieben werden. Die menschliche Schlauheit hat indessen zu allen Zeiten für verbotene und wucherliche Zinsen solche Formen zu erfinden verstanden, daß ein dadurch bedrückter Schuldner nur selten den Beweis des Wuchers führen kann. – Von Pflanzen sagt man, sie wuchern, wenn sie sich ungewöhnlich reichlich vermehren, über den Boden ausbreiten und andere Gewächse dabei beeinträchtigen (s. Wucherblume), wie vieles Unkraut. Mitunter hat Wuchern aber auch eine gute Bedeutung, wie in der Redensart: Der Mensch solle mit den ihm von Gott anvertrauten Talenten und Gaben wuchern; damit wird nämlich gesagt, er solle sie gut anwenden, sodaß sie gleichsam ungewöhnlich reichliche Zinsen tragen, jedoch nicht allein für ihn, sondern auch für Andere.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 755-756.
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