Wucher

[370] Wucher (Fenus iniquum), 1) im Allgemeinen ein Geschäft, bei welchem der eine Theil für den Verkauf, die Darleihung od. die Überlassung eines Gegenstandes zum Gebrauch einen höheren Gewinn genommen hat, als er nach den Voraussetzungen des gewöhnlichen Verkehres gezogen haben würde. In diesem Sinne spricht man z.B. auch von einem W. beim Handel mit Lebensmitteln, bes. mit Getreide (Kornwucher), wenn der Händler sich die augenblickliche Verlegenheit des Marktes zu Nutze macht, um höhere Preise zu erzielen, u. in diesem Sinne sind die Verbote des sogenannten Dardanariats (s.d.) u. des Ankaufes von Früchten auf dem Halme, um einen anderen Preis, als derselbe zur Zeit des Handels od. 14 Tage nach der Ernte marktgängig war, ebenfalls als Wucherverbote anzusehen. Im engeren Sinne begreift W. nur 2) die offene od. verdeckte Überschreitung der Zinstaxen, d.h. des gesetzlich festgestellten Maximums von Zinsen, welches für die zeitweilige Überlassung eines Capitales gefordert werden darf (Pravitas usuraria). Bei wirthschaftlich rohen Völkern pflegt die Verleihung eines Capitales so selten vorzukommen, daß. man kaum darauf verfällt, sich für die überlassene Capitalnutzung eine regelmäßige Vergütung zu bedingen. Bedeutende Gewerbsunternehmungen, welche mit fremdem Capital arbeiten, gibt es noch nicht, auch der Ackerbau erfordert wenig Capital. Nur die wirkliche Noth führt daher hier zu Anleihen u. der Mangel an Sicherheit des Zurückempfanges natürlich zu einem hohen Preis der Capitalnutzung. Es ist daher erklärlich, daß sich bei den ältesten Völkern u. in den Vorschriften der meist zur Zeit niederer Culturstufen gestifteten Religionen regelmäßig eine große Abneigung wider das Zinsnehmen findet, welche sich vielfach bis zu einem völligen Zinsenverbot gesteigert hat. Im Sinne dieser Vorschriften ist daher überhaupt jedes Zinsnehmen W. So erlaubt z.B. der Mosaismus (Exod. 22, 25, Levit. 25, 35 ff., Deuteron. 15, 7 ff., Nehem. 5, 1 ff.) das Zinsennehmen nur von Ausländern, im Verkehr der Juden unter einander dagegen ist das unverzinsliche Darleihen zur Gewissenspflicht des wohlthätigen Reichen gemacht. Ähnlich ist das Verbot des Korans Cap. 2, 30; doch wird dasselbe meist dadurch umgangen, daß der Gläubiger gleich beim Hingeben des Capitals den entsprechenden Abzug macht. Auch bei den alten Griechen findet sich die ähnliche Anschauung, wie z.B. Aristoteles das Zinsnehmen (Tokos) geradezu einen widernatürlichen Gewinn nennt. Ungebundener war in dieser Hinsicht das Römische Recht. Als Vergütungen für den Gebrauch des Geldes (Usurae) waren die Zinsen bei den Römern fortwährend gewöhnlich. In der; ältesten Zeit scheint dabei eine Beschränkung des Zinsfußes in Rom überhaupt nicht stattgefunden zu haben, u. es bestand gerade darin ein Hauptgrund der Klagen, welche die armen u. von dem Vollgenuß der bürgerlichen Rechte ausgeschlossenen Plebejer wider die Patricier, von deren dargeliehenen Geldern sie zum großen Theil zu leben hatten, führten. Erst das Zwölftafelgesetz bestimmte den höchsten erlaubten Zinsfuß auf das Fenus unciarium, d.h. 81/3Procent für das Römische Jahr von 304 Tagen, also 10 Proc. für das heutige Kalenderjahr. Indessen vermochte dies Gesetz nicht den Zinsfuß für immer zu reguliren u. spätere Gesetze änderten denselben zu verschiedenen Zeiten. In der Mitte des 4. Jahrh. v. Chr. wurde der Zinsfuß auf die Hälfte (Fenus semiunciarium) herabgesetzt; eine Lex Genucia vom Jahr 342 v. Chr. soll sogar das Nehmen u. Geben von Zinsen ganz verboten haben. Jedenfalls war jedoch die Wirksamkeit dieses letzteren Gesetzes nur von vorübergehender Dauer. Gegen das Ende der Republik wurden allgemein, wahrscheinlich zunächst nach Edicten von Magistraten, 1 Proc. für den Monat (daher Usurae centesimae) od. 12 Proc. für das Jahr als der höchste erlaubte Zinsfuß (Usurae maximae, U. legitimae) betrachtet u. dieser Zinsfuß auch durch einen Senatsbeschluß vom Jahr 50 v. Chr. als das für das ganze Reich gültige Zinsmaximum anerkannt. In dieser Höhe erhielt sich denn der höchste erlaubte Zinsfuß auch, einige vorübergehende Abweichungen unter Tiberius u. Claudius abgerechnet, bis zu Justinians Zeiten; dieser aber setzte die Usurae centesimae wieder auf die Hälfte (Usurae semisses) herab u. gestattete nur ausnahmsweise bei einem Fenus nauticum, d.h. in solchen Fällen, in denen der Gläubiger zugleich die Gefahr eines über See zu sendenden Capitals übernahm, die alten 12 Proc., den Kaufleuten 8 Proc. (Usurae besses) zu nehmen, während Personen der höchsten Rangklasse (Personae illustres) nur 4 Proc. nehmen sollten. Das Letztere wurde später (Novelle 32) bei Darlehen an Bauern festgesetzt. Wurde dieser höchste erlaubte Zinsfuß überschritten, so hatte dies zunächst die civilrechtliche Folge, daß das Plus an zuviel gezahlten Zinsen stets zurückgefordert werden konnte. Außerdem wurde von[370] Justinian auch der Zinseszins (Anatocismus, s.d.) verboten u. die Bestimmung getroffen, daß, wenn die rückständigen Zinsen über die Höhe des Capitals (ultra alterum tantum) anwachsen sollten, der Gläubiger dann weitere Zinsen zu fordern nicht berechtigt sei. Indessen blieb bei alledem hierbei eine öffentliche Bestrafung des W-s dem Römischen Recht, so viel wir wissen, unbekannt, u. nur für solche, welche aus wucherischen Geschäften ein Gewerbe machten, wurde durch Diocletian u. Maximinian die Strafe der Infamie eingeführt. Dagegen trat mit dem Canonischen Recht wiederum das Verbot alles Zinsennehmens hervor. Schon die Kirchenväter mißbilligten das Zinsennehmen, zum Theil gestützt auf die bekannten alttestamentlichen Stellen, zum Theil auch mit Bezug auf mißverstandene neutestamentliche Äußerungen (z.B. Luc. 6,34) Hauptsächlich eiferten die Kirchenväter seit Anfang des 4. Jahrh. (Origenes, Lactantius, Chrysostomus, Augustin), wo das Römerreich durch die Verheerungen der Barbaren schrecklich verarmte u. theilweise somit die Zinsverhältnisse der rohesten Culturstufen wiederkehrten, gegen die Rechtmäßigkeit der Zinsen. In der Glanzperiode der päpstlichen Macht kam es soweit, daß jedem Zinsgläubiger als Wucherer die Abendmahlsfeier, die Fähigkeit ein Testament zu errichten u. das kirchliche Begräbniß versagt wurde, u. auf der Kirchenversammlung zu Vienne (1311) wurde die Vertheidigung des Zinsennehmens für Ketzerei erklärt. Diesen kirchlichen Verboten schlossen sich auch die weltlichen Gesetze um so mehr an, als ihnen dabei, wie die Mißbilligung des Zinses durch Dante, Luther u. Shakespeare beweist, die öffentliche Meinung völlig zur Seite war. So erließ in England Eduard III. 1341 u. in Frankreich Philipp IV 1312 ein gänzliches Zinsenverbot.

In Deutschland bedrohten die Reichspolizeiordnungen von 1500, 1530 u. 1577 das Nehmen von Zinsen mit dem vierten Theil des wucherlich ausgeliehenen Capitals. Nur den Juden wurde merkwürdiger Weise das Privilegium Geld gegen Zinsen an Christen zu verleihen gelassen, gerade so, wie sie dasselbe auch noch in der jetzigen muhammedanischen Welt neben den Armeniern u. Hindus besitzen. Seit dem Ende des 16. Jahrh. trat indessen wiederum ein Umschwung ein. Je häufiger seit dieser Zeit das Geld zu größeren Handelsunternehmungen gesucht wurde, je mehr es mit seiner durch die Herbeischaffung aus den neuentdeckten Ländern eingetretenen Vermehrung anfing selbst Handelsartikel zu werden, um so weniger konnte man in Wirklichkeit daran denken das Verbot des Zinsennehmens ernstlich noch länger aufrecht zu erhalten, u. um so zahlreicher wurden die Mittel, mit denen das Bedürfniß das Verbot zu umgehen wußte. Hierher gehörte bes. die Satzung (Weddeschat), d.h. der Verkauf einer Sache mit vorbehaltener Einlösung, wobei der Schuldner seinem Gläubiger den Nießbrauch der Sache abtrat, denselben aber durch Rückzahlung des Capitals jederzeit wieder an sich bringen konnte, so wie die Einführung des Rente- u. Gültkaufes, d.i. der Belastung eines Grundstückes, welches im Besitze des Schuldners blieb, mit einem dinglichen Zinse an den Gläubiger, so daß der Letztere durch Einräumung dieses Zinses für immer befriedigt wurde, während der Schuldner u. dessen Erben ihre Zinsenlast durch Rückzahlung des Verkaufpreises wieder ablösen konnten. So gelangte man allmälig wieder dazu, das Zinsennehmen, wenn es nicht sich auf zu hohe Procente erstreckte, im Allgemeinen für erlaubt zu betrachten; bes. wurde seit 1654 auch bei den Reichsgerichten die Zulässigkeit einer Zuerkennung von Zinsen wieder anerkannt. Als W. betrachtete man nunmehr wieder nur das Nehmen übermäßiger Zinsen u. legte als höchstes Maß des gesetzlich erlaubten Zinsfußes dabei meist 5 Proc. u. unter Kaufleuten 6 Proc. zu Grunde. Auf das Überschreiten dieser Procente wurden dann in civilrechtlicher Hinsicht im Allgemeinen diejenigen Bestimmungen angewendet, welche schon das Römische Recht dafür aufgestellt hatte; in criminalrechtlicher Hinsicht ging man aber noch weiter, indem der W. nunmehr allgemein als ein eigentliches Verbrechen angesehen u. mit öffentlichen Strafen bedroht wurde. Diese Strafen wurden namentlich durch die Particularrechte noch genauer fixirt u. haben hierbei zum Theil eine große, selbst zu Leibes- u. Lebensstrafen steigende Höhe erreicht. Um leicht möglichen Verschleierungen des W-s zu begegnen, wurden dabei auch die Fälle, in denen der Gläubiger durch Verkürzen der geliehenen Summe u. andere Manipulationen, z.B. durch Aufdringen von hoch angeschlagenen Waaren statt der Gelder (Trucksystem) od. durch das sofortige Abziehen der Zinsen vom Stamm (W. am Stamm) od. durch die Beifügung sonstiger lästiger Bedingungen, wie die Ausbedingung einer besonderen Provision neben der Zinsverpflichtung, das Nehmen höherer Zinsen zu verdecken wußte, als Usuraria pravitas palliata dem einfachen W., U. pravitas manifesta entgegengestellt.

In neuester Zeit ist jedoch die Zweckmäßigkeit u. der wirthschaftliche Nutzen der Zinstaxen u. Wucherverbote (Wuchergesetze) überhaupt von vielen Seiten in Frage gestellt worden. Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. traten eine große Anzahl bedeutender Volkswirthschaftslehrer, wie Montesquieu, Turgot, Bentham, Busch, als Gegner der Zinstaxen auf. Im Jahr 1788 wurde vom Kaiser Joseph II. zum Gegenstand einer Preisaufgabe gemacht andere Mittel, als die unwirksamen Strafgesetze, zur Verhütung des W-s anzugeben, u. zahlreiche in Veranlassung hiervon erschienene Schriften (darunter die Preisschrift von Günther, Versuch einer vollständigen Untersuchung über W. u. Wuchergesetze, Hamb. 1790; Keeß, Über die Aufhebung der Wuchergesetze, Wien 1791; Fischer von Rieselbach, Gedanken über W. u. Wuchergesetze, ebd. 1790 u. A.) stimmten dahin überein, daß dem W. durch Gesetze allein nicht zu steuern sei. Als die wesentlichsten Einwendungen wider die Zinstaxen u. Wuchergesetze werden gewöhnlich angeführt, daß dieselben sich einestheils als völlig unzureichend, anderntheils bes. bei Handelskrisen als geradezu schädlich erweisen. Das Steigen u. Fallen des gewöhnlichen Zinsfußes ist überhaupt im Ganzen u. Großen nicht von dem einzelnen Individuum, sondern von dem Zusammenwirken vieler äußerer Umstände, wie Krieg u. Frieden, dem Zustand der Gewerbe u. des Handels, dem Angebot u. der Nachfrage nach Capital zu nützlichen Anlagen abhängig, welche durch eine gesetzliche Regelung nicht beherrscht werden können. Ist nun die Zinstaxe darauf berechnet, das natürliche Steigen zu hindern u. damit den Zinsfuß herabzudrücken, so verfehlt sie vielmehr regelmäßig[371] ihren Zweck. Wäre nämlich die Controle auch so wachsam u. streng, um alle Contraventionen zu verhindern, so würde sich als Folge davon nur ergeben, daß die Capitalbesitzer überhaupt lieber das überschüssige Geld gar nicht verleihen u. dasselbe entweder aufbewahren od. selbst zu Unternehmungen verwenden od. es in die Fremde versenden würden, wo ihnen solche Hindernisse nicht entgegenstehen. Erweist sich dagegen die Controle als nicht genügend, so hat dies nur die Wirkung, daß die Erfindung um so mehr angeregt wird die Verbote auf die mannigfachste Weise zu umgehen. In der Regel gelingt dies um so mehr, als beide Contrahenten, Gläubiger u. Schuldner, bei dieser Umgehung gleich interessirt sind. Der Letztere hat gewöhnlich nur die Wahl, entweder gar Nichts geliehen zu erhalten, od. zur Defraudation mitzuwirken. Da er in der Regel des Darlehens aber bedürftiger ist, als der Capitalbesitzer der Unterbringung seines Capitals, so ergibt sich von selbst, daß er natürlich weit eher zum letzteren greift, nunmehr aber meist neben dem natürlichen Zinse dem Gläubiger im Geheimen auch noch eine Assecuranzprämie für die besondere Gefahr, welche ihm die Übertretung des Gesetzes bereitet, gewähren muß. Es erscheint ferner natürlich, daß, je größer die Gefahr eines Verlustes des Verborgten für den Gläubiger ist, der Anspruch auf Vergütung um so höher wächst. Wird aber der erlaubte Zins so hoch gesetzt, daß er auch für die Übernahme der größten Gefahr noch ausreicht, so erscheint eine solche Festsetzung wiederum aus dem anderen Grunde als ganz unnütz, weil dann kaum Gelegenheit übrig bleibt das Gesetz für die gewöhnlich doch auch als W. bezeichneten Fälle anzuwenden; denn der Versuch für die verschiedenen Grade der Gefahr u. der von dem Gläubiger bei der Darleihung übernommenen Bemühungen verschiedene Zinssätze aufzustellen u. so die Wucherfälle gewissermaßen zu classificiren, hat sich wegen der Verschiedenheit der Vertragsmodalitäten u. der persönlichen Verhältnisse, unter denen die Darleihungen erfolgen, als ganz unausführbar erwiesen. Den positiven Schaden der Wuchergesetze findet man endlich bes. darin, daß durch den Makel, welchen die Wuchergesetze dem Borgen gegen hohe Zinsen überhaupt aufgedrückt haben, gerade der gefährlichste Theil der betreffenden Geldgeschäfte, bei denen am leichtesten Übervortheilungen möglich sind, in die Hände gewissenloser Leute gespielt wird, welche die gesetzlichen Strafandrohungen überhaupt nicht fürchten; daß in vielen Fällen es weit nützlicher ist, wenn Jemand, auch nur gegen hohe Zinsen, Geld erhalten kann, als daß er durch das Verbot eines solchen Geschäftes gezwungen wird, entweder auf einen zu erhoffenden Gewinn zu verzichten od. wohl gar aus einer augenblicklichen Verlegenheit sich durch weit drückendere u. wirthschaftlich nachtheiligere Mittel, wie die Veräußerung werthvoller Vermögensobjecte um einen niedrigen Preis, zu befreien, u. daß gerade ein hoher Zinsfuß auch ein mächtiges Reizmittel zur Ersparung u. zur Einfuhr von Capitalien ist. Auch die Erfahrung wird herbeigezogen, daß die Staaten selbst, wenn sie genöthigt gewesen sind als Borger od. als Verleiher von Capitalien aufzutreten, sich selbst meist gar nicht an ihre eigenen Wuchergesetze gekehrt haben. Auf der anderen Seite berufen sich die Vertheidiger der Zinstaxen u. Wucherverbote freilich ebenso sehr auf die Erfahrung, daß das Volk den W. noch immer als eine schändliche Handlungsweise ansehe, daß daher aus der Aufhebung der bezüglichen Strafvorschriften eine Erschütterung des Rechtsbewußtseins zu besorgen stehe, zumal in der That oft genug Schuldner durch ein derartiges Gebahren auf die empörendste Weise in das Unglück gestürzt wurden, zumal viele Darlehnssucher nicht so gebildet seien, um namentlich bei Darlehen auf kurze Zeit u. bei verwickelteren Bedingungen die Größe der von ihnen übernommenen Zinslast genügend übersehen zu können. Es wird ferner eingewendet, daß bes. der kleinere Darlehnsverkehr, weil er nur von Wenigen betrieben werde, nicht unter dem regulirenden Gesetze des Angebotes u. der Nachfrage stehe, daß daher die Noth der Borgenden u. die Gewinnsucht der Capitalisten hier in viel höherem Maße einwirken können, als dies bei Kaufgeschäften der Fall sei, daß mit dem Zinsgeschäft sich nur zu oft u. zu leicht betrügerische Manipulationen verbinden, auch mit der Aufhebung der Beschränkungen wegen der Lust zu Gewinn sofort ein allgemeines Steigen des Zinsfußes zu besorgen stehe, welches namentlich von dem capitalbedürftigen Grundbesitz hart werde empfunden werden.

Ungeachtet dieser Einwendungen u. ungeachtet dessen, daß die ersten Erfahrungen, welche mit der wirklichen Aufhebung der Wuchergesetze in Österreich unter Joseph II. gemacht wurden, nicht günstig gewesen sind, hat sich aber die Mehrzahl der Nationalökonomen immer mehr u. mehr für die Aufhebung der Zinsbeschränkungen u. der Wuchergesetze erklärt, u. eine Mehrzahl von Staaten hat dieselbe auch praktisch ausgeführt, ohne daß bis jetzt die befürchteten Nachtheile eingetreten sind. Eine solche Aufhebung ist 1854 in England, 1856 in Spanien, 1857 für Sardinien u. Genf, 1858 in Bremen u. Oldenburg, 1864 in Sachsen erfolgt; vorübergehend erfolgte auch eine zeitweilige Suspendirung der Wuchergesetze in Folge der Handelskrisis 1857 in Preußen, Reuß, Sachsen-Weimar u.a. deutschen Staaten. Aber auch wo die Wuchergesetze noch bestehen, zeigt sich keine Übereinstimmung über die Grenzen, in denen der W. für strafbar angesehen wird. So wird die bloße Ausbedingung od. Annahme von höheren Zinsen, als gesetzlich gestattet ist, in manchen Ländern, z.B. Preußen, nicht als ein Verbrechen betrachtet, u. in anderen Staaten, z.B. Baiern, hat dieselbe nur die civilrechtliche Folge, daß die unrechtmäßig genommenen Zinsen zurückgefordert werden können, während noch andere Staaten, darin den älteren Gesichtspunct ganz festhaltend, auch schon diesen Fall mit öffentlicher Strafe, welche indessen dann doch meist nur in Geldstrafe besteht, belegen. Manche Gesetze, z.B. Preußen, zeichnen nur den Gewohnheitswucher als strafbar aus, d.h. das gewerbmäßige Ausleihen auf ungesetzlich hohe Zinsen, weil hier aus den Umständen erhellt, daß der Wucherer die Noth u. den Leichtsinn des Publicums als Quelle eines schändlichen Erwerbes benutzt; die Gesetze, welche auch schon das Ausleihen zu übermäßig hohen Zinsen schlechthin als W. auffassen, behandeln dann die Gewerbsmäßigkeit als einen besonderen Erschwerungsgrund des Verbrechens. Überall wird der verkleidete W. als strafbar betrachtet. Diejenigen Gesetze, welche noch von Zinstaxen ausgehen, nehmen einen solchen verkleideten W. auch schon da an, wo der wucherliche [372] Vortheil nur vor den Augen des Publicums u. der Obrigkeit verschleiert wird, wenn auch der Gegencontrahent den Umfang seiner Leistung kennen mag. Wo keine Zinstaxen mehr bestehen, kann ein verkleideter W. nur noch in dem Sinne vorkommen, daß von dem Creditor dem Schuldner die wahre Natur u. Bedeutung des ausbedungenen Vortheiles verheimlicht od. verblendet, daher der Gegentheil über den wahren Inhalt des Vertrages getäuscht wird. In solchem Falle nimmt der verkleidete W. den Charakter eines eigentlichen Betruges an, weshalb auch die Gesetze diesen Fall als beträchtlichen W. meist mit der Strafe des Betruges belegen. Einzelne Gesetze, z.B. Baden, Darmstadt etc. bestrafen als W. auch bes. die Übervortheilung Minderjähriger u. anderer unter Vormundschaft stehender Personen, insofern sie dieselben durch Mißbrauch ihrer Schwächen u. Leidenschaften zum Abschluß von Verträgen bestimmen, aus denen ihnen Vermögensnachtheile entstehen. Sehr verschieden wird auch noch die Frage, in welchem Zeitpunkte der W. als vollendet zu betrachten sei, in den Gesetzen u. von den Rechtslehrern beantwortet. Für das Gemeine Recht wird meist behauptet, daß der W. erst dann vollendet sei, wenn der Gläubiger den beabsichtigten wucherlichen Gewinn auch wirklich gezogen hat, u. daß daher in dem bloßen Abschluß des wucherischen Geschäftes nur ein Versuch vorliege. Die meisten neueren Gesetzgebungen lassen jedoch die Vollendung schon mit dem Vertragsabschluß eintreten. Die Strafe des W-s besteht nach allen Gesetzen in erster Reihe in namhaften Geldstrafen, z.B. im zehnfachen Vetrage des wucherischen Vortheiles; in schwereren Fällen, namentlich beim betrüglichen W., ist neben der Geldstrafe aber auch Freiheitsstrafe bis zu einigen Jahren angedroht. Vgl. Wirth, Die Wuchergesetze, 1856; Berndt, Die Wuchergesetze u. deren Aufhebung, Berl. 1857; Rizy, Über Zinstaxen u. Wuchergesetze, Wien 1859. Vgl. auch Dardanariat.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 370-373.
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