Chemie

Chemie. I.
Chemie. I.
Chemie. II.
Chemie. II.

[329] Chemie, der Teil der Naturwissenschaften, der die stofflichen Eigenschaften der Körper und die diese betreffenden Änderungen lehrt. [Hierzu die Tafeln: Chemie I. u. II.] Ihre Grundlage bildet die Erkenntnis, daß die Körperwelt aus einer beschränkten Zahl von einfachen, nicht weiter zerlegbaren Stoffen, sog. Elementen (s. Chemische Elemente), zusammengesetzt ist. Diese verbinden sich nicht gleichmäßig miteinander, sondern haben zueinander eine verschiedene Verwandtschaft (Affinität), die zur Geltung kommt, wenn sich die Körper in gasförmigem oder flüssigem Zustande unmittelbar einander berühren, indem sich dann die verwandten Elemente vereinigen. Die Vereinigung erfolgt immer in ganz bestimmten Gewichts-oder Volumenmengen, welche durch das Atomgewicht angegeben werden.

Einteilung. Man unterscheidet reine und angewandte C. Die reine C., die durch Experimente erläutert zu werden pflegt (Experimental-C.), heißt allgemeine (theoretische, physikalische), wenn sie bemüht ist, die bei den chem. Prozessen zur Erscheinung kommenden Naturgesetze [329] aufzufinden, physikalische namentlich, soweit sie sich mit den gesetzmäßigen Beziehungen zwischen chem. und physik. Eigenschaften der chem. Körper befaßt. Die physik. C. zerfällt in die Elektro-, Photo- und Thermo-C. Spezielle C. heißt die reine C., wenn sie die chem. Körper beschreibt und übersichtlich anordnet. Sie wird in die anorganische, die Lehre von den chem. einfachen Stoffen oder Elementen und ihren sog. mineralischen Verbindungen, und in die organische C., die Lehre von den organischen oder Kohlenstoffverbindungen, eingeteilt. Bei den Disziplinen der angewandten C. handelt es sich um Benutzung der chem. Lehren zu praktischen Zwecken oder zur Erklärung anderer Vorgänge. Hierher gehören die analytische C., die Lehre von den Methoden, die Bestandteile der Körper zu bestimmen, synthetische C., die Lehre vom künstlichen Aufbau der Verbindungen, mineralog. (geolog.) C., die Kenntnis der Natur und Bildungsgesetze der Mineralien und Gesteinsarten. Phyto-C., die Lehre von den chem. Bestandteilen der Pflanzen, Zoo-C., die Lehre von den chem. Bestandteilen des Tierkörpers, physiol. C., die Lehre von den chem. Vorgängen im gesunden, pathol. C., die von den chem. Vorgängen im kranken lebenden pflanzlichen und tierischen, namentlich menschlichen Körper, Agrikulturchemie (s.d.), pharmazeut. C., die Lehre von der Herstellung der Arzneistoffe, und technische C., die Anwendung der C. auf die Gewerbe umfassend (Metallurgie, Farben-C., Gärungs-C. etc.).

Geschichte. Ihren Ursprung hat die C. als Alchimie (s.d.) im alten Ägypten (das ägypt. Wort chêmi heißt »Ägypten«, dann auch »schwarz«, C. also ägypt. oder schwarze Kunst). Die zweite Periode ihrer Entwicklung beginnt im 16. Jahrh. mit der Jatrochemie (s.d.). Mit Robert Boyle (1661) fängt die C. an, sich zur selbständigen experimentellen Naturwissenschaft, deren Zweck einzig Naturerkenntnis ist, zu entwickeln. Charakteristisch für die folgende Zeit bis gegen Ende des 18. Jahrh. ist die Erklärung des Wesens der Verbrennungserscheinungen mit dem hypothetischen Phlogiston (s.d.), weshalb man diese Epoche auch als die der phlogistischen C. bezeichnet. Mit der richtigen Erklärung der Verbrennungsvorgänge durch Lavoisier unmittelbar nach Entdeckung des Sauerstoffs (1774) beginnt die letzte Entwicklungsperiode, die zunächst als die antiphlogistische C. bezeichnet wird. Sie führte bald zur Entdeckung der wichtigsten stöchiometrischen Gesetze, zur Aufstellung der Atomtheorie durch Dalton, ihrer experimentellen Durcharbeitung durch Berzelius. Während früher Erkennung und Trennung der Bestandteile der chem. Körper Hauptzweck der C., die danach Scheidekunde (Scheidekunst) hieß, war, ist später der synthetische Aufbau der chem. Verbindungen ihre Hauptaufgabe geworden, und während in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. die anorganische C. das Hauptarbeitsfeld war, hat in der letzten die organische C. die führende Rolle übernommen. In neuester Zeit entwickelt sich neben ihr die physik. C. in ungeahnter Weise.

Literatur. Die gesamte C. behandeln: Graham-Otto (5 Bde., seit 1863), Roscoe und Schorlemmer (9 Bde., 1879-1901; anorganischer Teil, 3. Aufl., 2 Bde., 1895-97), dies., »Kurzes Lehrbuch« (11. Aufl. 1898), Handwörterbücher von Fehling (1871 fg.) und Ladenburg (13 Bde., 1883-95); allgemeine C.: Horstmann (1885), Ostwald, »Lehrbuch« (2. Aufl., 2 Bde., 1891 fg.), ders., »Grundriß« (3. Aufl. 1899), Ira Remsen (3. Aufl. 1904), van 't Hoff (1898 fg.), Nernst (»Theoretische C.«, 4. Aufl. 1903); anorganische C.: Dammer (Bd. 1-4, 1892-1901), Erdmann (3. Aufl. 1902), von Richter (11. Aufl. von Klinger, 1902), OstwaldGrundlinien«, 2. Aufl. 1904), Gmelin-Kraut (7. Aufl. 1905 fg.); organische C.: Schorlemmer (3. Aufl. 1885-97), Meyer und Jacobson (2 Bde., 1891 fg.), Beilstein (3. Aufl., 4 Bde. u. 2 Suppl., 1893-1903), von Richter (10. Aufl. von Anschütz und Schröter, 1903), Gattermann (6. Aufl. 1904), Bernthsen (8. Aufl. 1902); analytische C.: Fresenius (quantitativ: 6. Aufl., 2 Bde., 1873-87; qualitativ: 16. Aufl., 2 Bde., 1895), Classen (5. Aufl., 2 Bde., 1896-1900), Miller und Kiliani (5. Aufl. 1903); technische C.: Muspratt (»Enzyklopäd. Handbuch«, 4. Aufl., 8 Bde., 1886 fg.), Ost (4. Aufl. 1900); Geschichte der C.: Ladenburg (1902), von Meyer (3. Aufl. 1905).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 329-330.
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