Helena, die Heilige

[236] Helena, die Heilige, mit deren Erscheinung zuerst die Morgenröthe des Christenthums in Rußland entflammte, behauptet unter den 57 Heiligen der griechischen Kirche einen der ersten Plätze. Olga, wie sie vor ihrer Taufe hieß, war unter dem Dache einer armen Hütte unweit Pskow geboren und in den Beschäftigungen ihres niedern Standes aufgewachsen, als der Großfürst Igor, der 912 den Thron seiner Väter zu Kiew bestieg, bei Gelegenheit einer Jagd, die mit allen Reizen der Schönheit und Anmuth reich geschmückte Jungfrau sah und 903 zu seiner Gemahlin erhob. Seinem kriegerischen, wilden Sinn stand Olga wie ein Engel des Friedens und der Milde segnend und besänftigend zur Seite, und als Igor in einer Schlacht gegen die Drewlier 945 den Tod gefunden hatte, lenkte seine Witwe, durch Festigkeit und Weisheit dazu trefflich befähigt, die Zügel der Regierung für ihren unmündigen Sohn Swätoslaw. Furchtbar und blutig war die Rache, welche die Fürstin an den Feinden nahm, 5000 Drewlier wurden dem Geist des erschlagenen Igor's hingeopfert und die Stadt Korostan den Flammen geweiht; dann aber, nachdem der Mord des theuern Gatten gesühnt war, kannte Olga kein anderes Ziel, als ihr Volk zu beglücken, die Kerzen der Humanität und der Bildung in ihren Ländern zu entzünden. Die Völker des Abendlandes huldigten seit Langem schon dem Christenthum, über Rußlands weiten Steppen aber war diese erleuchtende Sonne noch nicht aufgegangen. Olga ging dem unermeßlichen Reiche mit ihrem eignen glänzenden Beispiele voran, sie selbst ließ sich durch den Patriarchen von Byzanz taufen und empfing den Namen Helena. Noch im sechszigsten Jahre, in dem sie damals stand, war sie so reizend, daß der Kaiser Konstantin Porphyrogenetos ihr seine Hand antrug, die sie jedoch[236] ablehnte, um ihre rastlosen Bemühungen zur Aufklärung ihrer Unterthanen fortzusetzen. Auf ihren Antrag schickte der deutsche Kaiser Otto Lehrer des Christenthums nach Rußland, dessen Regierung Helena 962 ihrem Sohne übergab. Sie selbst lebte nur wenige Jahre noch und widmete diese der Religion und der Wohlthätigkeit. Die gefeierte Fürstin starb, fast 80 Jahre alt, 969, nachdem sie weissagend die Nähe ihrer Auflösung verkündet hatte.

X.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 236-237.
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