Logos

[618] Logos (logos): Wort, (ausgesprochener) Gedanke, Begriff, Definition, Vernunft, göttlicher, schöpferischer Gedanke, Weltgedanke, Weltvernunft.

Die Lehre vom Logos als dem die Welt durchdringenden, alles beherrschenden Gedanken Gottes, als der von Gott ausgehenden Vernunft, als dem schöpferischen Wort ist alt. Im Rig-Veda ist der Logos (»vak« = lateinisch vox) die von der Gottheit ausgehende Weisheit (vgl. WILLMANN, Gesch. d. Ideal. I, 89). Im Zendavesta geht aus dem Urwesen (»zuruana akarana«) das Schöpferwort (»ahuna-vairja, honover«) hervor, durch welches die Welt erschaffen wird. Nach der biblischen Genesis ist die »Sprache« Gottes bei der Schöpfung wirksam (Gen. I, 3, 6, 9 ff.). – ANAXAGORAS lehrt einen alles beherrschenden »Geist« (s. d.). HERAKLIT bezeichnet zuerst die Weltvernunft als logos. Er ist das ewige Weltgesetz, dem zufolge alles geschieht (tou logou toud', eontos aiei – gignomenôn gar pantôn kata ton logon, Fragm. 2; Sext. Empir. adv. Math. VII, 132). Der logos ist zugleich die heimarmenê, das Schicksal (Stob. Ecl. I 2, 60), die eherne Gesetzmäßigkeit des Alls. Der logos; (oder die gnômê, dikê) ist den Dingen immanent, aber ohne Bewußtsein seiner selbst (logou toud' eontos aei axynetai gignontai anthrôpoi kai prosthen ê akousai kai akousantes to prôton ). Jeder soll dem allgemeinen logos im [618] Denken und Handeln gehorchen (dio dei hepesthai xynô toutesti koinô. tou logou de eontos xynou zôousin hoi polloi hôs idian echontes phronêsin (Sext. Empir. adv. Math. VII, 133). ARISTOTELES versteht unter logos Begriff (s. d.) und Vernunft (s. d.). Er unterschiedet den exô logos (Wort) vom esô logos (Gedanke in der Seele) (Anal. post. I 10, 76 b 24). Der orthos logos ist die richtige Vernunft, der sittliche Tact (Eth. Nic. VI 13, 1144b 23). Das göttliche Sich-selbst-denken (noêsis noêseôs) ist das höchste Princip der Welt (vgl. Met. I, 3). Die Stoiker nennen das Schicksal (s. d.) auch logos, es ist das alles durchdringende sittlich-vernünftige pneuma (s. d.). Es ist die heimarmenê aitia tôn ontôn eiromenê ê logos, kath' hon kosmos diexagetai (Diog. L. VII 1, 149); das Schicksal ist logos tôn en kosmô pronoia dioikoumenôn – kath' hon ta men gegonota gegone (Stob. Ecl. I 5, 180). Die logoi spermatikoi, die Vernunftkeime, vernünftigen Potenzen, sind Kräfte, die in allem wirken (Diog. L. VII 1, 157), sie treiben zur vernünftigen Entwicklung an (vgl. L. STEIN, Psychol. d. Stoa I, 49). Vom logos endiathetos, der innern Rede, d.h. dem Gedanken, wird der logos prophorikos, das Wort, die äußere Rede unterschieden. Ersterer besteht tê athresei tôn oikeiôn kai phygê tôn allotriôn, tê gnôsei tôn eis touto synteinousôn technôn, tê antilêpsei tôn kata tên oikeian physin aretôn tôn peri ta pathê. Der logos prophorikos ist phônê dia glôttês sêmantikê tôn endon kai kata psychên pathôn, er ist exô proiôn (Sext. Empir. Pyrrh. hyp. I, 65; Porphyr., De abstin. III, 3). Der logos endiathetos ist to kinêma tês psychês to en dialogistikô ginomenon (Nemes., De nat. hom. C. 14).

ARISTOBULOS spricht von der göttlichen Kraft, welche alles beherrscht (hoti dia pantôn estin hê dynamis tou theou, Euseb., Praep. ev. XII, 12). ARISTEAS unterscheidet von Gott selbst die dynamis Gottes, welche dia pantôn ist: Das »Buch der Weisheit« lehrt, die »Weisheit« Gottes (sophia) sei ein die Welt durchdringender Geist (pneuma). PHILO bezeichnet als logos die höchste der göttlichen Kräfte, in welcher die Ideenwelt (s. d.) ihren Ort hat (De mundi opif. I, 4). Der logos ist Vermittler zwischen Gott und Welt, durch ihn hat Gott die Welt geschaffen. Der logos ist prôtogonos, der Sohn Gottes (De agric. 12), sein »Schatten« (skia theou de ho logos autou estin, kathaper organô proschrêsamenos ekosmopoiei, Leg. alleg. III, 31). Er ist der »zweite Gott« (deuteros theos, Euseb., Praep. ev. VII, 13, 1). Ho logos de tou theou hyperanô pantos esti tou kosmou kai presbytatos kai genikôtatos tôn hosa gegone (Leg. alleg. III, 61). Im Menschen und im All gibt es einen logos endiathetos und einen logos prophorikos (De vita Mos. III). In Gott ist eine ennoia, die sophia; diese wird auch als Mutter des logos bezeichnet (De profugis 562; vgl. HEINZE, Lehre vom Logos 1872; ÜBERWEG-HEINZE, Gr. d. Gesch. d. Philos. I9, 357). PLOTIN sieht im nous, dem Geiste (s. d.) eine Emanation (s. d.), ein Erzeugnis, ein Abbild (eikôn) des göttlichen Einen (s. d.), er ist die Einheit der Ideen (s. d.).

Das Christentum faßt den logos persönlich auf, als Sohn Gottes, der von Ewigkeit her bei Gott ist, die Welt erschafft und (in Christus) Fleisch wird: en archê ên ho logos. panta di' autou egeneto. ho logos sarx egeneto (Evang. Joh. I, 1). – ATENEAGORAS erklärt: logos tou patros en idea kai energeia. pros autou gar kai di autou panta egeneto bei ÜBERWEG HEINZE, Gr. d. Gesch. d. Philos. II7, 50). THEOPHILUS sagt: logos endiathetos en tois idiois splanchnois, endiathetos en karthia theou (vgl. Iren. I, 24; HARNACK, Dogmengesch. I3, 491). LACTANTIUS: »melius Graeci logon dicunt quam nos verbum sive sermonem: [619] logos enim et sermonem significat et rationem: quia ille est vox et sapientia Dei« (Divinar. institut. IV, 9). Nach BASILIDES ist der Logoß der Erstgezeugte des ewigen Vaters (bei Iren. II, 24, 3). Nach VALENTIUS emanieren logos und zôê aus dem nous und der Wahrheit (bei Iren. I, 1, 1). Nach CLEMENS ALEXANDRINUS durchdringt der logos; das All (Strom. V, 3); er ist die Quelle der Erleuchtung bei den alten, guten Philosophen (l.c. I, 5; Cohort. VI, 59). Während nach ARIUS der Logos ein (vor der Zeit) durch Gott Geschaffenes ist (»Subordinationstheorie«), betont ATHANASIUS die ewige Einheit des Logos mit Gott-Vater, aus dessen Natur er gezeugt ist (Contr. Arian. III, 62). Der Logos ist hêgemôn, dêmiourgos tou pantos (Contr. gent. 29; 38); ho gar patêr tou logos en pneumati hagiô ta panta poiei (Contr. Arian. I, 28). Nach JUSTINUS hat Gott dynamin tina logikên, den Logos, seinen Sohn, erzeugt, der selbst Gott ist (Apol. I u. II, 6). Am logos hat jeder teil dia to emphyton panti genei anthrôpôn sperma tou logou (l.c. II, 8). Nach TATIAN ist der logos ergon prôtotokon tou patros. ORIGENES sieht im logos die idea ideôn, systêma theôrêmatôn en autô (vgl. LOMMATSCH I, 127). Der Logos ist Demiurg (s. d.) (Contr. Cels. VI, 62). In den Dingen ist ein logos spermatikos (l.c. V, 22; De princ. II, 10, 3). Nach GREGOR VON NYSSA durchdringt Gott alles vermittelst der sophoi te kai technikoi logoi, (De an. et resurr. p. 188). Die Apologeten (s. d.) überhaupt verstehen unter dem Logos »die Hypostase der wirksamen Vernunftkraft, die einerseits die Einheitlichkeit und Unveränderlichkeit Gottes trotz der Verwirklichung der in ihm ruhenden Kräfte schützt, anderseits eben diese Verwirklichung ermöglicht« (HARNACK, Dogmengesch. I3, 488). – ANSELM nennt die Form der Dinge eine »intima locutio« in der göttlichen Vernunft, eine innere Sprache, deren Worte die Dinge selbst sind (Monol.c. 10, 12). THOMAS unterscheidet das »verbum interius conceptum« (»verbum mentis«, (s. d.)) vom »verbum exterius vocale quod est eius signum« (De differ. div. verbi et hum.). Die Mutaziliten bestimmen eines der Attribute Gottes als Wort oder Rede. Nach ECKHART spricht Gott das »Wort« aus, seinen Sohn. – Vgl. DUNCKER, Zur Gesch. d. christl. Logoslehre 1848; HEINZE, Die Lehre vom Logos in d. griech. Philos. 1872; A. AALL, Gesch. d. Logosidee in d. griech. Philos. 1896; DAUB, Üb. d. Logos; Stud. u. Krit. 1833, H. II.

HEGEL versteht unter dem Logos den objectiven Begriff (s. d.), »die Vernunft dessen, was ist« (Log. I, 21), die Weltvernunft. Vgl. Orthos Logos, Verstand.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 618-620.
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