Welt

[716] Welt (kosmos, mundus) ist die Gesamtheit aller Dinge, der Inbegriff aller endlichen Wesen, deren Zusammen in der Idee einer Totalität, der Welt, gedacht wird. Die Welt ist die »natura naturata« (s. d.), der Inbegriff der Einzeldinge und Einzelereignisse als solcher, wie sie in gesetzmäßiger Weise miteinander verknüpft sind und den Gegenstand möglicher (aber niemals abzuschließender) Erfahrung bilden (»empirischer« Weltbegriff), oder aber der Inbegriff der »transcendenten Factoren«, welche in den Objecten (s. d.) sich darstellen (»metaphysischer« Weltbegriff). Im weiteren Sinne ist die Welt eins mit dem Universum, im engeren ist (unsere) Welt ein Teil desselben, gibt es unzählige »Welten« (Planetensysteme). Jeder Bestandteil der Welt ist innerweltlich, Gott (s. d.) ist, als höchste synthetische Einheit, überweltlich.

Eine Vielheit von Welten neben- und nacheinander gibt es nach dem Buddhismus u. a. (s. Unendlichkeit). Als kosmos soll die Welt zuerst PYTHAGORAS bezeichnet haben (Plac. II, 1. Stob. Ecl. I 21, 450: hos kai prôtos ônomase tên tôn holôn periochên kosmon ek tês en autô taxeôs). Dem HIKETAS (Cic., Acad. II, 39) und EKPHANTUS (Plac. III, 13) wird die Lehre von der Bewegung der Erde um ihre Achse zugeschrieben (später wird die heliocentrische Theorie von ARISTARCH VON SAMOS aufgestellt). – Nach HERAKLIT ist die Welt ein ewiges, unentstandenes, lebendiges, seelenvolles »Feuer«, pyr aeizôon, haptomenon metrô kai aposbennymenon metrô (Clem. Alex., Strom. V, 559. vgl. Principien, Ekpyrosis, Apokatastasis). Nach PLATO ist die Welt ein treffliches Erzeugnis des Demiurgen (s. d.) sie ist ein beseeltes Wesen (zôon empsychon), ein sichtbarer, seliger Gott (theos aisthêtos), ein eikôn tou poiêtou, Bild des Schöpfers (Tim. 30, 46 C, 92 B. Phaedo 98 B Theaet. 176 C). Nach ARISTOTELES ist die Welt hê tou holou systasis (De coel. I 10, 280 a 21). Gott[716] bewegt von der Peripherie aus die Welt (s. Berührung). Die Bewegung einer Sphäre geht auf die von ihr umschlossene Sphäre über (vgl. Met. XII, 8. Phys. V). Die Fixsternsphäre hat die kreisförmige Bewegung. Die Planeten-Sphären werden durch immaterielle Wesen bewegt. Die Erde ist unbewegt in der Mitte der Welt. Die Stoiker unterscheiden to pan (Universum) und to holon (Welt). Ersteres ist das All samt dem leeren Raum, letzteres das außerhalb des Leeren Seiende: pan men gar einai syn tô kenô tô apeirô, holon de chôris tou kenou ton kosmon. mête auxesthai de mête meiousthai ton kosmon (Stob. Ecl. I 21, 442). Die Welt ist systêma ex ouranou kai gês kai tôn en toutois physeôn, ê to ek theôn kai anthrôpôn systêma kai ek tôn heneka toutôn gegonotôn. legetai d' heteros kosmos ho theos, kath' hon hê diakosmêsis ginetai kai teleioutai (l. c. I, 21, 445 squ.). Die Sonne ist (nach KLEANTHES) das hêgemonikon der Welt (l. c. S. 452). Die Welt ist ein beseeltes Wesen (zôon empsychon kai logikon, Diog. L. VII 1, 139), denn von ihr stammt die menschliche Seele (l. c. 142 squ.). Periodisch entsteht und vergeht die Welt (s. Apokatastasis, Ekpyrosis. vgl. Nemes., De nat. hom. 38. s. Unendlich). EPIKUR erklärt: Kosmos esti periochê tis ouranou astra te kai gên kai panta ta phainomena periechousa, apotomên echousa apo tou apeirou kai katalêgousa en perasin ê araiô ê pyknô ê en periagomenô ê en stasin echonti kai strongylên ê trigônon ê hoiandêpote perigraphên (Diog. L. X, 88 squ.. s. Unendlich). Nach PLINIUS ist die Welt ein göttliches Wesen (Histor. natur. II, 6). PHILO bezeichnet die sichtbare Welt als den jüngeren Sohn Gottes. es gibt auch eine Idealwelt (s. Schöpfung, intelligible Welt). Nach PLOTIN ist die Welt eine Emanation (s. d.) schließlich der Gottheit (s. d.). Sie ist zôon – psychên mian echon eis panta autou merê (Enn. IV, 4, 32. vgl. III, 2, 2. s. intelligible Welt).

Nach AUGUSTINUS ist die Welt ein »aliud Dei«, ein Geschöpf Gottes, aus nicht erschaffen (s. Schöpfung), um der Güte willen geschaffen (De civ. Dei XI, 10. 21 ff.), Confess. XII, 7). Sie ist eine Einheit, geordnet (De civ. Dei XII, 4. XV, 5. De ord. I, 3). Nach SCOTUS ERIUGENA geht die (intelligible) Welt ewig aus Gott hervor (De div. nat. III, 16). sie ist unvergänglich (l. c. V, 18, 24). Auch nach ALGAZEL geht die Welt ewig aus Gott hervor. Von einem »mundus archetypus« (s. d.) sprechen die Scholastiker. – MICRAELIUS definiert: »Mundus est compages seu systema corporum naturalium tam coelestium quam elementarium« (Lex. philos. p. 689).

Nach NICOLAUS CUSANUS ist das Universum eine »Contraction« (s. d.) der Gottheit, »contractum maximum atque unum« (De doct. ignor. II, 4). Es gibt drei Welten: geistige, mittlere, sinnliche Welt. Nach PICO gibt es eine überhimmlische, himmlische und irdische Welt. nach AGRIPPA eine elementare (elementaris) astrale (coelestis), seelisch-geistige Welt (intellectualis) (Occ. Philos. I, 1). Nach GEORG. GEM. PLETHON u. a. gibt es eine Idealwelt als Urbild der sinnlichen Welt, so auch nach PATRITIUS (Panarch. XIII, 29). Nach CAMPANELLA besteht ein »mundus archetypus« (Univ. philos. VII, 6, 12. vgl. X, 1, 3. XIII, 1, 3). Die Welt ist empfindend (De sensu rer. I, 10). Auch nach F. ZORZI ist die Welt ein lebendiges Wesen. so auch nach G. BRUNO, der sie als »magnum animal« bezeichnet (De umbr. idear. p. 31. vgl. Del l'infin. p. 25, 67 ff.. s. Unendlich). – Nach GASSENDI ist die Welt ein Teil des Universums. sie ist nicht ewig (Philos. Epic. Synt. II, sct. II, 2). Nach J. BÖHME. ist die Welt eine Emanation, ein Spiegel der Gottheit. Gott machte sich creatürlich. LEIBNIZ definiert »Welt«[717] als die ganze Folge und Zusammenstellung aller bestehenden Dinge (Theod. I B, § 8 f.. s. Harmonie, Optimismus). Nach CHR. WOLF ist die Welt »series entium finitorum tam simultaneorum, quam successivorum inter se connexorum« (Cosmolog. § 48). Die Welt ist »eine Reihe unveränderlicher Dinge..., die nebeneinander sind und aufeinander folgen, insgesamt aber miteinander verknüpft sind« (Vern. Ged. I, § 544 ff.). BAUMGARTEN bestimmt: »Mundus est series (multitudo, totum) actualium finitorum, quae non est pars alterins« (Met. § 534) und BILFINGER: »Mundus est series (collectio vel universitas) rerum omnium mutabilium simul et successive existentium atqus inter se connexarum« (Dilucid. § 139). Nach CRUSIUS ist die Welt »eine solche reale Verknüpfung endlicher Dinge, welche nicht selbst wiederum ein Teil vom andern ist« (Vernunftwahrh. § 350). Vgl. MAUPERTUIS, Essai de cosmolog., 1750. LAMBERT, Kosmol. Briefe, 1761. FONTENELLE, Entretiens sur la pluralité des mondes, 1750.

Nach KANT ist »Welt« »das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die Totalität ihrer Synthesis« (Kr. d. rein. Vern. S. 348. s. Unendlich). Er lehrt (ähnlich im wesentlichen später LAPLACE, Exposit. du système du monde, 1796) die bekannte Theorie von der Entstehung unseres Planetensystems (Allgem. Naturgesch. u. Theor. d. Himmels, 1755). Nicht durch einen von außen den Umschwung erteilenden Gott (wie bei NEWTON), sondern durch die Naturkräfte selbst ist das Werden des Planetensystems zu erklären. Durch Zusammenballung der ursprünglichen Dunstmasse entstanden die Himmelskörper. »Die Materien..., daraus die Planeten, die Kometen, ja die Sonne bestehen, müssen anfänglich in dem Raume des planetischen Systems ausgebreitet gewesen sein und in diesem Zustande sich in Bewegung versetzt haben, welche sie beibehalten haben, als sie sich in besonderen Klumpen vereinigten und die Himmelskörper bildeten, welche alle den ehemals zerstreuten Stoff der Weltmaterie in sich fassen.« »Man ist hierbei nicht lange in Verlegenheit, das Triebwerk zu entdecken, welches diesen Stoff der bildenden Natur in Bewegung gesetzt haben möge. Der Antrieb selber, der die Vereinigung der Massen zuwege brachte, die Kraft der Anziehung, welche der Materie wesentlich beiwohnt und sich dieser bei der ersten Regung der Natur zur ersten Ursache der Bewegung so wohl schickt, war die Quelle derselben« (WW. I, 321). Eine intelligible Welt, eine Welt vernünftiger Wesen als ein Reich der Zwecke, ist möglich, und zwar durch die eigene Gesetzgebung aller Personen als Glieder (Grundleg. zur Met. d. Sitt. 2. Abschn., S. 76). – KRUG erklärt: »Wenn die Uridee der Vernunft auf das Vorgestellte als ein unbedingtes Object des Denkens bezogen wird, so entspringt hieraus die Idee: absolute Einheit aller sich einander bedingenden Erscheinungen, mithin die Vorstellung von der Welt als einem absoluten Inbegriffe aller in Raum und Zeit existierenden, obwohl in ihrer Totalität nicht wahrnehmbaren Dinge. Daher ist dieses Ganze nicht als Sinnenwelt (mundus sensibilis), sondern als Verstandes- oder Vernunftwelt (mundus intelligibilis) zu betrachten« (Handb. d. Philos. I, 309 ff.). Die Welt ist für uns nur erkennbar, als sie »ein Inbegriff von Erscheinungen oder von Gegenständen möglicher Erfahrung in gesetzlicher Verknüpfung« ist (L C. S. 314). Nach FRIES ist die Welt »das verbundene Ganze aller möglichen Gegenstände unserer Erkenntnis« (Syst. d. Log. S. 97).

Über J. G. FICHTE S. Object. – Nach SCHLEIERMACHER ist die Welt »die vollständige Einheit des endlichen Seins als Ineinander von Natur und Vernunft in einem alles in sich schließenden Organismus« (Philos. Sittenlehre § 53).[718] – Nach SCHELLING ist die Welt der »Abdruck« des »ewigen und unendlichen Sich-selber-wollens« des Absoluten (WW. I 2, 362. vgl. L. OKEN, Üb. d. Universum, 1808. J. E. v. BERGER, Philos. Darstell. d. Weltalls I, 1808). – Nach SCHOPENHAUER ist die Welt an sich Wille (s. d.) – Nach CHR. KRAUSE ist die Welt »das vollständige Vereinganze aller in irgend einer Hinsicht endlichen Wesen und Wesenheiten« (Vorles. S. 249 ff.. vgl. Panentheismus). Es gibt eine objective Welt der Ideen (Urb. d. Menschh.3, S. 10). »Die Welt der Ideen ist eine selbständige, ewige und freie Wiederholung des ganzen Weltbaues innerhalb der Vernunft. Sie ist unendlich, vollständig, vor aller Zeit und nur einmal, allen Geistern zur Vermählung mit der Welt des Individuellen offen« (l. c. S. 34). In der »Uridee Gottes« ruhen die Ideen aller Wesen (ib.). Die Welt ist ein Gottesreich, in welchem alle Dinge in vorherbestimmter Harmonie sich befinden (l. c. S. 57). Nach HEGEL ist die Welt »das Aggregat der weltlichen Dinge, nur das Zusammen dieser unendlichen Menge von Existenzen« (WW. XII, 359). »Die Welt der Endlichkeit, Zeitlichkeit, Veränderlichkeit, Vergänglichkeit ist nicht das Wahre, sondern das Unendliche, Ewige, Unveränderliche« (ib.). »Der absolute, seiner selbst sich bewußte Geist, ist... das Erste und einzig Wahre. Die endliche Welt, die so ein Gesetztes ist, ist hiemit ein Moment in diesem Geiste« (WW. XI, 132). Nach ZEISING ist die Welt »Gott in seiner Entzweiung, in seinem Abfall von sich selbst« (Ästhet. Forsch. S. 58. vgl. G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswiss. II, 251 ff.). Nach ULRICI ist die Welt ein Gedanke Gottes, ewig von ihm geschaffen (Gott u. d. Nat. S. 643 ff.). Nach FECHNER ist die Welt eine Entäußerung Gottes (Zend-Av. I, 264 f.). MAINLÄNDER erklärt: »Gott ist gestorben, und sein Tod war das Leben der Welt« (Philos. d. Erlös. S. 108). Nach E. v. HARTMANN ist der Weltproceß ein Kampf des Logischen mit dem Alogischen (s. Unbewußte, das. Pessimismus). Nach NIETZSCHE ist die Welt ein Complex von Willen zu Leben (s. d.), als Spiel von Kräften zugleich Eins und Vieles, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend, eine »dionysische Welt des Ewig-sich-selber-schaffens, des Ewig-sich-selber-zerstörens« (WW. XV, 384 f.). Nach VACHEROT ist die Welt die Realität Gottes (Met.). Nach FR. ROHMER ist das Universum der Körper Gottes, in Gott geworden (Wissensch. u. Leben I, 1871). Nach J. BERGMANN sind alle Dinge in einem Dinge enthalten und bilden dadurch den Zusammenhang, der Welt an sich heißt. »Man kann auch dieses Ding selbst die Welt nennen oder das Weltganze, und die in ihm befaßten Dinge seine Teile, nur darf man dann das Verhältnis des Ganzen zu den Teilen nicht mit demjenigen des zusammengesetzten zu den Elementen, aus welchen es zusammengesetzt ist und in deren Summe oder Aggregat es besteht, identificieren« (Vorles. üb. Met. S. 410). – Nach HAGEMANN ist die »Welt« »die Gesamtheit der empirisch gegebenen Wirklichkeit« (Met.2, S. 51). HUSSERL erklärt »Welt« als »die gesamte gegenständliche Einheit, welche dem idealen System aller Tatsachen entspricht und von ihm untrennbar ist« (Log. Unters. I, 121). Nach L. DUMONT ist die Welt eine Gesamtheit von Empfindungen, das Ich eine besondere Gruppe solcher (Vergn. u. Schmerz S. 136). ähnlich nach E. MACH (S. Empfindung). Nach FOUILLÉE läßt sich die Welt als »une vaste société d'êtres« betrachten (Scienc. social. p. 417). Nach E. G. OPITZ ist die Welt an sich unräumlich und unzeitlich (Grundr. ein. Socialwiss. I, 1897). Nach P. MONGRÉ ist die Welt ein Chaos (s. d.) (Das Chaos S. 180. vgl. S. 139). Sie ist ein verschwindender Specialfall dem Chaos gegenüber, der nur für das Bewußtsein Realität besitzt[719] (l. c. S. 207). »Jedes willkürlich gewählte Weltprincip scheidet, wenn es hinreichend eng ist und sonst unseren Begriffen einer empirischen Welt ungefähr entspricht, aus dem Chaos einen Kosmos aus, d.h. aus der Gesamtheit aller Weltzustände eine (linear ausgedehnte) Gesamtheit bestimmter Weltzustände.« Wir erkennen, »daß in das Chaos eine unzählbare Menge kosmischer Welten eingesponnen ist, deren jede ihren Inhabern als einzige und ausschließlich reale Welt erscheint« (l. c. S. 208). Nach WUNDT ist die Welt eine Stufenfolge von Willenseinsheiten (Syst. d. Philos.2, S. 407 ff.). Ihrer geistigen Seite nach besonders ist die Welt »Entwicklung, ewiges Werden und Geschehen« (l. c. S. 666 ff.). – Vgl. GIOBERTI, Protolog. II, 107. STEUDEL, Philos. I 2, 320 ff.. EUCKEN, Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 9, u. a. – Vgl. Weltseele, Ewigkeit, Schöpfung, Intelligible Welt, Außenwelt, Object, Idealismus, Solipsismus, Spiritualismus, Materialismus, Gott, Evolution, Ekpyrosis, Werden, Pantheismus, Panentheismus, Weltbegriff, Mikrokosmos, Kosmologie.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 716-720.
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