Burg

[94] Burg, ein uraltes Wort, wörtlich die bergende, schützende Stätte; Tacitus nennt in der Germania 3 einen Ort Asciburgium, d.i. eine feste Schiffsstation, von asc, Esche, und burg; andere Ortsnamen auf burgion, burgium sind von griechischen Autoren genannt. Ulfilas verdeutscht polis durch baurgs, ebenso Tatian, Otfried, Heliand die Wörter urbs, civitas; daher die alten Städtenamen mit burg: Regensburg, Strassburg, Augsburg, Magdeburg, Bildungen, neben welchen auch das stammverwandte berg zum Teil für den gleichen Platz vorkommt: Bamberg, Königsberg, Nürnberg. Die Anfänge selbständiger Entwicklung des Kriegsbauwesens im Mittelalter liegen bei den Franken; Goten, Langobarden und Burgunder arbeiteten noch mit römischen Werkleuten; doch bestehen die Kriegsbauten des 5. u. 6. Jahrh. fast nur in Reparaturen römischer Bauwerke. Einzig die Königin Brunhilde galt als eine Burgenbauerin und genoss deshalb den Ruf einer zweiten Semiramis. Im ganzen suchten die Franken ihren Aufenthalt nach alter Sitte auf dem Lande in den Villen. Doch besassen die Könige auch Paläste in den Städten; auch befestigte Klöster werden genannt, und Karl Martell wird der Bau der Burg Egisheim bei Colmar und der Salzburg an der Saale zugeschrieben. Bei diesen und andern Königsbauten diente das römische Kastell zum Vorbilde, während die Bauweise des einzelnen Freien lediglich als Weiterentwicklung der altdeutschen Hauseinrichtung erscheint, wie sie sich noch heute in einzelnen Gegenden Westfalens erhalten hat. Unter Karl d. Gr. bestanden noch die meisten fortifikatorischen Anlagen aus Holz und Erde. Abgesehen von den Resten der Pfalzen zu Aachen, Ingelheim und Frankfurt a.M. sind die Wachttürme fast die einzigen Überbleibsel massiver Bauart aus der karolingischen Zeit; diese Türme sind viereckig oder rund, lassen den Eingang nur durch eine Leiter erreichen, eine in der Mauerdicke angebrachte Treppe führte zu einem Zwischenstockwerke oder unmittelbar auf die bezinnte Plattform. Auch unter den spatern Karolingern wurden die wenigen Burgen fast bloss aus rein militärischen Gesichtspunkten für gemeinsame Zwecke des Reiches erbaut. Als befestigte Sitze mächtiger Herrengeschlechter erscheinen Burgen in Deutschland seit dem 10. Jahrh., die kleineren Lehensträger wohnten noch auf den Höfen. Als die ältesten deutschen Herrenburgen werden genannt Hohentwiel, Stammheim, Diepoldsburg und Onfridinga, alle wenige Stunden von einander entfernt. Erst die Normanneneinfalle und Ungarkriege verlangten durchaus eine grössere Zahl fester Plätze; doch scheint die bekannte[94] Massregel Heinrich I. überschätzt worden zu sein; die Hauptsache war, dass grössere Wohnplätze mit Mauern und Gräben und mit regelmässiger Besatzung versehen werden sollten. Das geschah unter Heinrich I. gewiss mit Hersfeld und Merseburg, wahrscheinlich mit Quedlinburg und Corvei; auf erobertem slavischen Boden wurde Meissen angelegt. Unter den Ottonen kamen hinzu Magdeburg, Halberstadt, St. Gallen, Gorze; Bischöfe befestigten die Sitze Worms, Lüttich, Paderborn, Hildesheim, Bremen, Naumburg. Köln, Cambrai und Verdun erhalten im 12. Jahrhundert eine bedeutende Verstärkung ihrer Werke. Alle diese festen Sitze haben den gemeinsamen Namen Burg, latein. castrum, castellum, oppidum, mit dem besonderen Begriff der Befestigung oder bloss als Bezeichnung grösserer Wohnplätze urbs, ciritas, municipium Die neuen Burgenbauten entstanden infolge innerer Kriege, zur Sicherung gegen geistliche und weltliche verfeindete Fürsten. Vasallen und Ministerialen fingen an, ihre Wohnsitze zu befestigen. Das begann mit Ummauerung der Höfe und führte allmählich zur Anlage künstlich befestigter Plätze an den dazu besonders geeigneten Örtlichkeiten. Man zog aus den Dörfern auf die Höhen oder auf Inseln oder in schwer zugängliche Sümpfe. Seit dem Ende des 9. Jahrh. werden diese Burgen zahlreicher, namentlich in Lothringen. Manche Burg wurde gegründet, um friedlichen Beschäftigungen Schutz zu gewähren, Strassen oder Flüsse zu beherrschen, den Verkehr zu beschützen, geradezu Raub zu üben, ja gegen den König selber; auch folgte wohl einer ohne bestimmten Grund bloss dem Beispiel eines andern. Zwar galt als Recht, dass zur Anlage befestigter Plätze die Erlaubnis des Königs nötig sei, doch wurde im einzelnen darauf wenig geachtet, namentlich wenn es sich um Widerstand gegen die Krone handelt. Auch die Königsburgen nahmen unter solchen Umständen zu, z.B. unter Heinrich IV. Die Gesamtmasse der selbständigen Burgen sind Höhenburgen oder Niederburgen. Einfache Burgnamen sind selten und oft fremden Ursprungs: Clamm, Wald, Brunn, Erla, Dobra, Khaja. Bei den zusammengesetzten Namen erscheint am öftesten Stein; Fels nicht oft, auch Burg seltener, dagegen sehr häufig Berg, in der Ebene Dorf und Feld; sonst auch noch Wörth, Furt, Eck, Büchel, Leiten (Abhang), Hoch. Auch zur kleinsten Burg sind fünf Stücke unentbehrlich: 1) der Zingel, die Umfassungsmauer. 2) Der Palas, die Halle des Burgherrn. 3) Die Kemenate, ein mit einer Feuerstätte (caminus) versehenes Gemach, welches dem eigentlichen Familienleben, insbesondere dem Aufenthalte der Frauen diente, auch gadem. 4) Küche und 5) das Bergfrid, der Turm, aus bergen und vride = Schutz. Da sich Palas, Kemenate und Küche in den Geschossen des Turmes anbringen liessen, so war zu der kleinsten Burg nichts nötig als Umfassungsmauer und Turm. Den Gegensatz zu diesen kleinen Burgställen bilden die Hofburgen, deren volle Ausbildung in spätere Zeit fällt. Unter den fränkischen Kaisern erfolgen bedeutende Fortschritte im Burgenbau. Der romanische Stil tritt auf, man ging von den Einzelburgen über zu Burgengruppen; der Bergfrid oder Turm wurde bloss für den Notfall auf behalten. Palas und die übrigen Burgteile werden in Stein aufgeführt und hin und wieder ornamentiert. Die Dichter sprechen jetzt von »turn und palas«. Die erste nachweisbare Burg dieser Zeit ist die Habsburg bei Brugg im Aargau; andere sind Kiburg bei Winterthur, Hohen-Egisheim in den Vogesen und ebendort Kästenburg und Trifels; als eine der ältesten [95] Hofburgen erscheint in dieser Zeit die Wartburg. Eine neue Periode des Burgenbaues setzt mit den Kreuzzügen ein, die Früchte ihrer Erfahrungen zeigen sich teils in zweckmässiger u. reicherer Ausgestaltung der schon vorhandenen Formen, teils in der Ausführung neuer Errungenschaften. Betreffend die Ausstattung des Mauergürtels werden die Mauern höher, für die grossen Antwerke wird der Wallgang verbreitert durch das Ansetzen überwölbter Strebepfeiler nach innen; die Zinnen entwickeln sich in mannigfaltigsten Formen; in den Mauerwinkeln werden Schützen- und Schaarwarttürmchen, ballistarien, für Bogen- und Armbrustschützen angebracht. Der Erker erscheint als neue fortifikatorische Form, mhd. ärkêr, aus mittellatein. árcora von lat. arcus, Bogen. Zum Herabgiessen siedenden Wassers, brennenden Pechs und dgl. dienten Gusslöcher oder Pechnasen. Brachte man den Erker auf dem ganzen Umfange des Mauerganges oder der Turmplattform an, so entstanden die Umgänge; in Holz ausgeführt, was oft vorkam, heissen sie Hurden, auch dann noch, als man sie der Feuersgefährlichkeit wegen aus Mauerwerk baute. Den Grundriss betreffend ging man im 13. Jahrh., zuerst in Frankreich, dazu über, den Türmen sowohl einen grösseren Durchmesser zu geben als auch ihre Flanken zu verlängern, indem man sie mit einem schnabelartigen Vorsprung versah. Das zeigt sich zuerst an der Herausbildung des Propugnaculums, der Thorburg, einer Nachahmung der orientalischen Babacane; mhd. die barbigân, ist ein aus Holz oder Erde hergestelltes Aussenwerk, mit Zugbrücke, breitem Graben und äussern Pallisaden versehen. Ein anderes Aussenwerk ist der Zwinger, ebenfalls dem Orient entlehnt, zwischen einer äussern und einer innern Mauer. Als Kern der Burgbefestigung erhält sich der Hauptturm, bercfrid, aber wie es scheint mehr traditionell als eigentlich praktisch. Seinen Hauptdienst leistet er als Warte, zu welchem Ende er oft durch einen hölzernen Aufbau mit Helm erhöht wird. Der Turm galt derart als architektonisches Abzeichen des Adels, dass selbst das städtische Patriziat Türme neben ihre Bürgerhäuser stellte. Auf dieser Stufe blieb der deutsche Burgenbau des Mittelalters; die neue fortifikatorische Technik, die ihn ablöste, kam aus Italien. Nach Jähns, Geschichte des Kriegswesens. Vgl. auch Schultz, höfisches Leben I, Abschnitt 1.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 94-96.
Lizenz:
Faksimiles:
94 | 95 | 96
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon