[594] Mahlzeiten. An dem, was der Mensch an Speise und Nahrung zu sich nimmt und wie er dieses thut, liegt besonders in einfacheren Bildungsperioden ein wesentlicher Teil seiner natürlichen und seiner geistig sittlichen Existenz; und zwar spiegelt sich die Art seiner Lebensführung nicht bloss in den gewöhnlichen Tagesmahlzeiten, sondern namentlich auch in den Festgelegen ab.
Für die älteste Periode sind von diesem Lebensgebiete nur vereinzelte Nachrichten erhalten. Tacitus sagt Germania 22: »Die Speisen sind einfach; wildes Obst, frisches Wildbret oder geronnene Milch; um ihren Hunger zu stillen, braucht es weder eine feine Zubereitung noch ausgesuchte Gewürze.« Doch lässt sich diese Notiz nicht unwesentlich aus anderen Quellen ergänzen. Man ass das Fleisch des Rindes und des Pferdes, und bereitete aus der Milch Butter und Käse, welche letztere Speise Plinius ein Hauptnahrungsmittel der Germanen nennt. Vom Getreide war namentlich der Hafer beliebt; aus ihm gekochter Brei war durchs ganze Mittelalter so sehr die gewöhnliche Speise des niederen Volkes, dass das Wort Brei soviel wie[594] Speise bedeutete. Daneben kannten sie Gerste und Weizen. Und wenn auch die römischen Schriftsteller des Brotes als einer deutschen Speise nirgends erwähnen, so bezeugt doch das Alter der Worte Brod und Laib, dass die Verwandlung des Getreides in Kuchenform den Germanen nicht unbekannt gewesen sein kann. Von Getränken erwähnt Tacitus Germ. 23: Bier und Wein; daneben war der Met beliebt.
Die häuslichen Mahlzeiten der Germanen werden einzig vom physischen Bedürfnisse bestimmt worden sein; festliche Mahlzeiten kamen namentlich bei Opfern vor; für die gesellige Unterhaltung der freien Männer sorgte das Gelage, wovon Tacitus Germ. 22 und 23 handelt. Aus dem Beowulf und aus skandinavischen Sagen erfahren wir, wie es bei einem solchen Gelage zuging. Zu den Met- und Bierfesten lud der Wirt entweder bloss seine Bankgenossen oder auch Freunde und Nachbarn ein; die Hausfrau oder Tochter reichte das Trinkhorn selbst herum, wie es in Wallhalla die Wallküren thun; ja, von vielen Gastmählern wird berichtet, dass überhaupt die Frauen daran teilgenommen und tüchtig getrunken hätten.
Aus deutschen Quellen ist für das frühere Mittelalter wenig berichtet, was auf solche Gelage Bezug hätte; vielmehr hat offenbar auch auf diesem Lebensgebiete römischer Einfluss bei den Franken früh sich geltend gemacht und das alte Gelagewesen beseitigt; Einhard erzählt in seinem Leben Karls des Grossen: »In Speise und Trank war er mässig, mässiger jedoch noch im Trank, denn die Trunkenheit verabscheute er an jedem Menschen aufs äusserste, geschweige denn an sich und den Seinigen. Im Essen jedoch konnte er nicht so enthaltsam sein, vielmehr klagte er häufig, dass das Fasten seinem Körper schade. Höchst selten gab er Gastereien und nur bei besonderen festlichen Gelegenheiten, dann jedoch in zahlreicher Gesellschaft. Auf seine gewöhnliche Tafel liess er nur vier Gerichte auftragen ausser dem Braten, den ihm die Jäger am Bratspiess zu bringen pflegten und der ihm lieber war als jede andere Speise. Während der Tafel hörte er gerne Musik oder einen Vorleser. Er liess sich die Geschichten und Thaten der Alten vorlesen; auch an den Büchern des heiligen Augustinus hatte er Freude, besonders an denen, die vom Staate Gottes betitelt sind. Im Genuss des Weins und jeglichen Getränks war er so mässig, dass er über Tisch selten mehr als dreimal trank. Im Sommer nahm er nach dem Mittagessen etwas Obst zu sich und trank einmal, dann legte er Kleider und Schuhe ab, wie er bei Nacht that, und ruhte zwei bis drei Stunden.«
Römischer Einfluss wird es auch gewesen sein, der zahlreiche neue Speisen und Getränke aufbrachte für deren sichere Herbeischaffung Karl d. Gr. besonders in seinem Capitularium de villis Anweisung gab. Was man jetzt zur königlichen Tafel bedurfte, erkennt man aus den Vorschriften für die Aufseher der königlichen Villen, wenn ihnen befohlen wird, Baumgärten anzulegen, für Obst, Gemüse und Kräuter Sorge zu tragen, desgleichen für die Unterhaltung einer grösstmöglichen Anzahl von Hühnern, Gänsen, Fasanen, Rebhühnern, Pfauen, Turteltauben, und wenn im besonderen folgende Lebensmittel genannt werden: Rettiche, Hirse, gemästete Hühner und Gänse, Eier, Butter, Käs, Honig, frisches und getrocknetes Fleisch, Würste, Schmalz, neben dem gewöhnlichen Wein auch gekochter Wein, wahrscheinlich Claret, Brombeer- und Maulbeerwein, moratum, mhd. moraz, ein aus Fischen bereitetes Getränk, Bier, Met, Essig, Senf. Auch die frühe Bedeutung[595] der Hofämter des Schenken, Truchsessen, und der daran sich schliessenden des Küchenmeisters, Oberbäckers, Kellners u.a. sprechen deutlich für die Bedeutung, welche dem Nahrungsmittelwesen jetzt zukam. Vom königlichen Hofe verbreitete sich der Speise- und Getränkeaufwand, mit dem selbstverständlich die Kochkunst Hand in Hand ging, an die kleinen Höfe der Fürsten und Edelinge, sodass dem ausgebildeten höfischen Leben schon eine recht ansehnliche Tafel zur Verfügung stand. Es seien hier nach Schultz, Höfisches Leben, Abschn. IV folgende Speisen genannt. Gänsebraten, Tauben, Hühner, kapûn, Pfauenbraten mit Pfeffersauce, Hirsch, Reh, Wildschwein, Hasen, Kaninchen; von wilden Vögeln: Kraniche und Reiher, Schwäne, Trappen, Rohrdommeln, wilde Gans, wilde Ente, Fasan, Regenpfeifer, Taucher, Rebhuhn und Haubenlerche. Die Fische ass man frisch oder eingesalzen; genannt werden Hering, ein verbreiteter Handelsartikel, Lachs, Lachsforelle, Aal, Stör u.v.a. Sehr beliebt waren Pasteten, mhd. die pastêde, bastêde, bastêt, aus mittellat. pastâta, von lat. pastare = Teig bereiten, pasta = Teig; es werden erwähnt Hühner-, Reh-, Kaninchen-, Fasanen- und Regenpfeifer-Pasteten. Von Gewürzen kennt man ausser Salz den Pfeffer, der im Mittelalter weit verbreiteter war als jetzt, daher auch die reichen Kaufherren im 15. Jahrhundert den Spottnamen Pfeffersäcke trugen; dann Kümmel, Muskatnüsse und Muskatblüten, Gewürznelken, Kardamon, Zimmet. Namen von Saucen sind Salse, altfr. Sauce, Pfeffer, Agraz. Brot lag bei jedem Gedeck auf der Tafel, mhd. simele, semele, Semmeln; andere Namen sind Wastel und Wecken; es war aus Weizenmehl gebacken. Ais Nachtisch wurden verschiedene Kuchen aufgetragen, Honigkuchen, Gewürztorte, gefüllte Torte, Krapfen, pfankuochen; auch Käse gehört zum Nachtisch. Das Dessert besteht aus Obst oder Südfrüchten: Äpfel und Birnen, Weintrauben, Quitten, Nüsse, Himbeeren, Pfirsiche, geröstete Kastanien, Mandeln, Feigen, grosse Rosinen (Kubeben), Datteln, Ingwer, Granatäpfel. Über die Getränke siehe die Art. Bier, Met und Wein. Das älteste Kochbuch, aus dem 14. Jahrhundert, hat Birlinger veröffentlicht unter dem Titel: Ein Puch von guter Speise, Stuttg. 1844.
Noch mehr aber als die Speisen und Getränke selber, ist eine besondere Tischzucht für das höfische Leben charakteristisch: auch ihre Formen sind ohne Zweifel in Frankreich zuerst ausgebildet worden und sollten dazu dienen, die zu dieser Zeit gewiss noch rohe Natursitte beim Mahle in die Formen edeln Anstandes und würdiger Geselligkeit zu bannen, wobei sowohl die Zubereitung und Zurichtung der Speise als das Auftragen derselben, die gute Sitte der Aufwartenden sowohl als der Speisenden gleichmässig in Betracht kam. Je reicher das Gastmahl und je vornehmer die Teilnehmer, desto mehr kamen die Regeln der höfischen Zucht zur Berücksichtigung, am meisten ohne Zweifel bei den grossen königlichen Hoftafeln.
Die Tafel war mit meist weissen Tischtüchern, Tischlaken, bedeckt, die mit Borten verziert waren; jeder Gast erhielt eine Serviette, mhd. twehele, und ein Brot; zum Geräte gehörten die Salzfässer, Schüsseln, Becher, Messer und Löffel (die Gabel fehlte noch) und Trinkgefässe; aus der kleinen Schüssel oder dem Teller speiste bald ein Gast allein, bald zusammen mit einem Tischgenossen. War die Tafel und Speise zum Mahle bereit, so trat der Truchsess, mit abgelegtem Mantel, den Stab in der Hand, zum Herrn des Hauses, kniete vor ihm nieder und meldete, dass die Mahlzeit bereit sei und das[596] Waschwasser gereicht werden könne. Der Herr lässt darauf, wenn es ihm beliebt, Ruhe gebieten und befiehlt dem Truchsess, das Signal zum Händewaschen zu geben. Durch Hörn, Trompete oder Zuruf wurden die Gäste aufgefordert, ihren Platz einzunehmen. Unter Leitung des Kämmerers boten darauf Edelknaben der Reihe nach knieend eine Schüssel dar und gossen aus einem Giessfasse Wasser über die Hände; die Hände wurden an der twehele abgetrocknet, welche die Diener um den Hals hängen hatten. Dann setzte man sich zu Tische. Der Fürst speiste an einem besonderen, auf einer Estrade erhöhten Tisch allein oder mit seiner Gemahlin, den anderen wies der Truchsess ihrem Range gemäss den Platz an. Um die Rangunterschiede verschwinden zu lassen, hatte Artus seine Gäste an einen runden Tisch gesetzt. Nach der älteren Sitte speisten Herren und Damen gesondert, nur dass etwa die Hausfrau den Gästen zur Ehre sich ans Mahl setzte. Kinder wurden nicht zugelassen. Zulassung der Damen zum Mahle kam erst in der sinkenden Ritterzeit auf. Das Auftragen der Speisen leitete unter Trommel und Posaunenschall wiederum der Truchsess, der samt seinen Gehilfen als Abzeichen einen Stab in der Hand trug; Edelknaben, schön gekleidet, brachten die Speisen aus der Küche. Grössere gebratene Vögel wurden am Spiesse aufgetragen, andere Gerichte auf kostbaren Platten; das Geflügel kam unzerschnitten, die übrigen Braten aber zerlegt auf den Tisch. Das Zerschneiden der letzteren besorgten Edelknaben oder junge am Hofe zur Erziehung lebende Mädchen; sie hatten dem Gaste knieend vorzuschneiden, die Bissen zuzureichen, den Becher zu präsentieren. Andere Knaben reichten den Wein herum, wobei gewöhnlich mehrere Gäste aus einem Becher tranken. Spielleute und Sänger fehlten bei der Hoftafel nicht. Nach aufgehobener Mahlzeit wusch man sich wiederum die Hände, die Tischtücher wurden abgenommen, der Tisch selber hinausgetragen.
War die höfische Zucht darauf bedacht, namentlich auch das Mahl unter ihr Gesetz zu bringen, so bemühten sich, als jener echte Geist der Zucht schwand, mehrere Schriftsteller, die Regeln der Tischzucht aufzuschreiben; man hat solche Aufzeichnungen vom Tannhäuser und eine »Wiener Tischzucht«, später noch von Sebastian Brant im Narrenschiff und von Hans Sachs nachgeahmt; doch sind das höchst äusserliche Regeln, die weniger sagen, was Zucht bei Tische sei, als welche Unzucht man lassen solle, z.B. mit blosser Hand ins Salzfass greifen, des Nachbarn Löffel brauchen, das Brotstück, mit dem man die Schüssel austunkt, abbeissen und wieder brauchen, direkt aus der Schüssel schlürfen, sie mit dem Finger auswischen, sich auf den Tisch aufstützen, beim Essen schnaufen und schmatzen, mit dem Messer in den Zähnen stochern, während des Mahles den Gürtel weitern. Schultz, Höfisches Leben, Abschn. IV.
Im allgemeinen blieb die Art, wie man in der höfischen Zeit das Gastmahl einahm, die Norm für die folgenden Jahrhunderte; im Kreise des Adels mag sich das äussere Zeremoniell wenig verändert haben; auch in den Städten, wo bald Gastmähler eine grosse Rolle spielten, blieb wenigstens eine bestimmte Tischzucht zu Recht bestehen. Vgl. Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter. Abschn. XVIII., Mahlzeiten und Speisen.
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