Städte

[935] Städte. Das got. Wort der staths bedeutet bloss Stätte, Stelle, Raum, Gegend; die Bedeutung der Stadt wird im Gotischen durch baurgs ausgedrückt; erst im Althd. beginnt sich für das Wort die stat die Bedeutung Ortschaft zu entwickeln, bis im Mhd. stat neben der alten Bedeutung diejenige einer über andere im Range gestellten Ortschaft hat. Vgl. Gengler, Deutsche Stadtrechts-Altertümer, Exkurs I: Die quellenmassigen Bezeichnungen der deutschen Städte im Mittelalter. Ursprünglich kennen die Deutschen keine Scheidung der verschiedenen Wohnsitze; was in den eroberten Provinzen von römischen und gallischen Städten dem fränkischen Gebiete einverleibt wurde, wurde nicht[935] anders als die heimischen Dörfer behandelt; doch erlangten manche stärker bevölkerten Ortschaften immerhin eine erhöhte Wichtigkeit als Bischofssitz, Mittelpunkt eines Gaues, Wohnung eines Grafen, als fester Platz, wo Gewerbe und Handel Zuflucht fanden, als Sitze von Klöstern, Pfalzen der Könige und Fürsten, als Orte, deren günstige Verhältnisse einen lebhafteren Verkehr beförderten. Es ist bekannt, dass Heinrich I. Klöster und andere grössere Wohnplätze mit Mauern und Gräben umziehen und mit regelmässiger Besatzung versehen liess (vgl. den Artikel Burg). Jeder befestigte Ort, aber auch jede grössere zusammenhängende Ortschaft hiess Burg. Entscheidend für die Entstehung einer Stadt war aber nicht die Ummauerung, die man auch bei Burgen und Klöstern findet, auch nicht das Vorhandensein einer selbständigen Gemeindeverwaltung; sondern die Verleihung des Marktrechtes erhob eine Niederlassung zur Stadt und bot für die Folgezeit die Grundlage, auf der sich städtisches Wesen im Sinn des Mittelalters ausbildete. Anlass aber zu gesteigertem Marktverkehr bot besonders der Besuch von Kirchen; hier kaufte man ein, was fremde Händler oder die Handwerker des Ortes darbrachten, und bot dagegen den Ertrag der eigenen Wirtschaft. Mit dem Marktrechte war für die Besucher des Marktes sowohl als für die gesamte städtische Einwohnerschaft ein besonderer königlicher Frieden verbunden (vgl. den Artikel Friede), auf dessen Verletzung die Strafe des Königsbannes stand; er bezog sich zunächst auf die, welche den Markt besuchten, sowohl auf diesem selbst als auf dem Hin- und Rückwege. Zeichen des Königsfriedens war das auf dem Marktplatze errichtete Kreuz. Mercatus und forum sind anfänglich gleichbedeutend mit oppidum und civitas. Für die Marktherrn lag in der Verleihung des Marktes das Privileg zur Erhebung von Zoll- oder Marktgeldern, für die städtische Gemeinde aber war vielfach schon mit der Verleihung des Marktes die Immunität verbunden, d.h. die Loslösung von der gräflichen und die Aufstellung einer eigenen Gerichtsbarkeit über alle Sachen, die sich auf Verletzung derselben bezogen, über alle Personen, die an dem Orte wohnten. Die Verleihung des Marktrechtes ging ursprünglich nur vom Könige aus. Von ihm erhielten es, stets nur für einen bestimmten Ort, die Bischöfe, zunächst für ihre Hauptstädte, dann wohl auch für einzelne andere Niederlassungen; ebenso erlangten es einzelne Grafen und Klöster für ihre Sitze. Oft wurde bei der Verleihung des Marktrechts auf das Vorbild anderer Märkte Rücksicht genommen, im Süden auf Regensburg, Augsburg, Konstanz, Basel und Zürich; in Franken auf Würzburg und Bamberg; am Rhein auf Worms, Mainz und Köln; weiter im Westen auf Trier und Cambrai; im nördlichen Deutschland auf Dortmund, Goslar und Magdeburg. So bildete sich eine gewisse gleichmässige Ordnung, ein Recht der Kaufleute und des Marktes. Die bewilligten Märkte sind entweder Jahrmärkte, die ohne Zweifel mit dem Feste des Kirchenheiligen zusammenfielen, oder auch Wochenmärkte; die Zeitdauer des Jahrmarktes wechselt von zwei bis zu acht Tagen, am häufigsten sind es drei; auch mehrere Märkte werden in einem Jahr gestattet. Während anfänglich bloss der König Marktrecht verlieh, errichteten später, anfangs wenigstens mit Genehmigung des Königs, geistliche und weltliche Grosse ihrerseits Märkte. Die Errichtung eines Marktes und der dadurch bedingte Aufschwung von Handel und Verkehr gaben Anlass, den Bewohnern der Stadt oder speciell den Kaufleuten noch mancherlei[936] andere Vergünstigungen zukommen zu lassen: Verhängung strenger Strafen wegen Gebrauch von Waffen innerhalb der Stadt, Bestimmungen über Marktdiebstahl, Vergünstigung betreffs Erwerbung von Grundeigentum behufs städtischer Wohnstätten, Erlaubnis, Angehörige anderer Herrschaften bei sich aufzunehmen, Freiheit von Zöllen, die Freiheit, kein Vogtgericht ausserhalb der Stadt zu besuchen. Vgl. den Art. Markt.

Was die Beamten der Stadt in der ersten Zeit betrifft, so sind dieselben durchaus aus den älteren Reichsbeamten hervorgegangen; die gräfliche oder Gau-Gerichtsbarkeit hat ein Burggraf (vgl. den besondern Artikel) oder ein bischöflicher mit gräflicher Gewalt ausgerüsteter Vogt. Der Burggraf scheint ursprünglich nichts anders als ein auf die Stadt beschränkter Graf gewesen zu sein; wo der Bischof mit der Zeit die gräflichen Rechte an seine Kirche brachte, tritt dafür ein, mit gräflichen Rechten ausgestatteter, vom Bischof ernannter Vogt ein, der aber wie die echten Grafen, den vornehmsten Geschlechtern des Landes entnommen und bischöflicher Lehnsmann ist. Unter dem Burggrafen oder Vogt steht der Vertreter des alten Centenars, der Schultheiss (siehe diesen Artikel); er ist der Exekutor des Grafen, und verwaltet zugleich die Erhebung der Zinsen und Einkünfte aus den bischöflichen Gütern; auch er ist, wie meist der Vogt, aus den Ministerialen des Bischofs hervorgegangen und oft hat sich mit seinem Amt dasjenige des Meiers verbunden. Bischöfliche Beamtungen untergeordneter Art sind der Zöllner und der Münzmeister. Der Burggraf oder Vogt stand auch wie von altersher an der Spitze des Heerbanns; die Einwohner und die der Umgegend mussten nach alter Weise zum Unterhalt der Mauern und Türme mithelfen, Wacht- und Wartdienste thun; viele Städter wurden durch fortgesetzte kriegerische Lebensart wirkliche Rittersleute; überhaupt wurde so der Grund zu der später so bedeutenden Kriegsmacht der Städte gelegt.

Die Einwohnerschaft bestand aus Freien, halbfreien Zinsleuten und Knechten. Jene, die Freien, bildeten ihrer ausschliesslichen Schöffenbarkeit wegen einen engern Kreis, die cives oder burgenses; sie beschäftigten sich mit Handel und höhern Gewerben und waren meist auch auf dem Lande begütert; die milites bildeten die höchste Klasse derselben; auch freie Handwerker trifft man in den Städten. Eine zweite Einwohnerklasse waren die Welt- und Ordensgeistlichkeit und die bischöflichen Ministerialen, in deren Händen das Regiment ruhte und welche allmählich den freien rittermässigen Geschlechtern gleich wurden; die halbfreien Zinsleute des Stiftes und die hörigen Knechte des Stiftes sowohl wie anderer in der Stadt befindlichen geistlichen Anstalten trieben Handwerke, Acker-, Gartenbau u. dgl.; sie standen unter Hofrecht und waren den gewöhnlichen Lasten dieser Stände unterworfen. Wie aber der ältere freie und der jüngere unfreie Adel mit der Zeit zum Ritterstande, und die freien, halbfreien und unfreien Bewohner des Landes mit der Zeit zum einheitlichen Bauernstand zusammen wuchsen, so wurden die verschiedenen Einwohnerklassen der Städte mit der Zeit Bürger, und die frühern Unterschiede vermischten sich.

Die Beziehung der städtischen Einwohnerschaft zum Regiment knüpft sich an die Beisitzer des Vogtgerichts, die Schöffen, welche allmänlich zu einem städtischen Ratskollegium wurden, oft so, dass ebendieselben Männer unter Vorsitz des Vogtes zu Gericht sassen, unter[937] Vorsitz des Bürgermeisters, den sie mit der Zeit sich erworben hatten, als städtisches Ratskollegium fungierten. Zur Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen entstanden nun in den Städten engere Verbindungen, welche es mit der Zeit dahin brachten, neben den Schöffen noch andere Männer in den Rat zu wählen, die bald Ratmannen, bald Konsuln u.s.w. hiessen. In andern Städten zog die Gesellschaft der Münzer oder Hausgenossen unter dem Münzmeister die Besetzung des Rates an sich. Trotz der Verbote der Kaiser bildeten sich nach den Gewerben Fraternitäten, die ihre Meister selbst wählten; doch blieb zwischen ihnen und den alten ratsfähigen Geschlechtern ein scharfer Unterschied.

Den Umfang der Stadt betreffend unterscheidet man Innenstadt und Aussenstädte. Die Innenstadt zerfiel in verschiedene Arten von Bezirken.

a) Die verbreitetste Einteilung ist diejenige in Viertel, Quartale, Quartier, deren jedes anfänglich seiner örtlichen Beschaffenheit nach aus einer der vier, den Himmelsgegenden gemäss angelegten Hauptstrassen nebst den darin einmündenden Nebenstrassen bestand. Der Charakter dieser Viertel war überwiegend ein militärischer; jedes Viertel hatte demgemäss sein eigenes Banner, seine eigenen Führer, houptman, bannerherr, bevelhabere, seinen eigenen Lermenplatz oder Sammelort; bei Kriegszügen im Ausland fand in der Beteiligungspflicht der Viertel ein Wechsel statt. Später standen unter den Viertelsmeistern oder Quartierherrn eine gewisse Zahl Hauptleute. In manchen Städten verlor die Viertel-Einteilung mit der Zeit ihren militärischen Charakter und die Viertel blieben nur noch bestehen als Steuer-, Wach und Feuerschutz- und als Gewerbe-Distrikte.

b) Eine Einteilung in Wachten oder Wachen, vigiliae, findet man in Regensburg, wo der militärische Charakter dieser Gliederung mit der Zeit völlig verschwand.

c) Die Einteilung in Bauerschaften. Anfänglich war die Bauerschaft eine selbstthätige Körperschaft innerhalb der Stadtgemeinde und nahm erst in zweiter Linie, da auch ihr Wohn- und Feldraum im gesamtstädtischen Grundraume eine gesonderte Örtlichkeit darstellte, zugleich den Charakter eines Bezirkes an. Solche Bauerschaften finden sich u.a. in Braunschweig und Hildesheim, während die Bauerschaften in Köln dörflich oder fronhöfisch organisierte Genossenschaften blieben, die niemals eigentliche Stadt-Bezirke wurden. Ähnliche Bedeutung wie die Bauerschaften haben die Leischaften in Münster und Osnabrück, die Kluchten oder Nachbarschaften in Coesfeld und die Höferschaften in Soest.

d) In Grafschaften zerfiel die Stadt Aachen.

e) In Pfarrsprengel oder Kirchspiele zerfiel Köln, deren jeder seine eigene Behörde, Gemeinde-Recht, Bürgerrecht, Ding- und Versammlungs-Gebäude und seine eigene Schatz- und Urkunden-Lade besass.

Die Aussenstädte schieden sich in Neben- und Vorstädte aus:

a) Die Nebenstadt entstand in der unmittelbaren Nähe und meist unter den Kultur-Einflüssen einer bereits vorhandenen Stadt, bald als selbständige Anlage, bald bloss als Ausdehnung der Innenstadt. Der Name war meist nova civitas, nüwe stat. Anfänglich zeigten die Nebenstädte schon im Äussern eine völlige Abschliessung von der alten Stadt, die man, auch nachdem beide im Verlaufe der Zeit eine gemeinsame Mauer erhalten hatten, an den dazwischen durchströmenden Bächen und an einem s.g. Zingel- oder Zielthor erkannte. Auch im Innern hatte[938] die Nebenstadt vollkommene Selbständigkeit und eigene Rats-, Rechts- und Gerichtsverfassung. Mit der Zeit sieht man beide Städte zu einem einheitlichen Gemeinwesen verschmelzen, was entweder auf dem Wege des Vertrags oder auf demjenigen des Privilegs geschah, Vorgänge, die zu den bedeutsamsten Ereignissen in der politischen Entwicklungsgeschichte der Städte zählten.

Die Vorstädte lagen regelmässig in der Richtung auf die innenstädtischen Hauptthore zu und bestanden bald nur aus einer einzigen Gasse, bald aus einem Geflechte von Strassen, wobei es übrigens an einer schützenden Umwehrung meist nicht fehlte. Ihre Entstehung verdankten die Vorstädte dem Dasein eines angesehenen Stiftes oder Klosters, einer neuen Flussbrücke, der Kultivierung öder Plätze oder, wie es bei den s.g. Rats-Vorstädten der Fall ist, einer Finanzoperation der Stadtverwaltung; am öftesten aber wandeln sich benachbarte Dörfer allmählich in Vorstädte um. Die Einwohner der Vorstädte standen zum Teil in abhängigem Verhältnis von städtischen Geschlechtern oder Stiftern, auf deren Besitz sie sich angesiedelt hatten. In bezug auf ihre Berufsthätigkeit waren es Feldbau und Gärtnerei treibende Leute, auch grasburger genannt, oder Krämer- und Kleinhandwerker. Auch die Verfassung der Vorstädte beruhte ursprünglich auf selbständiger Grundlage; doch pflegte man auch sie mit der Zeit mit den Prinzipalstädten zu vereinigen.

Die städtischen Strassen können in fünffacher Weiseeingeteilt werden:

1) in Haupt- oder Nebenstrassen. Eine hauptstrasse oder hauptgasse verlief gradlinig von einem nach dem entgegengesetzten anderen Thore oder sie berührte oder führte zu den wichtigsten Gebäuden und Plätzen.

2) Natur- und Kunststrassen; die letztern entweder bloss chaussiert, d.h. mit Holzbohlen, Kleingestein und Kies belegt oder mit zugehauenen Steinen gepflastert. Die Anlage der letztern begann in den wohlhabenderen Städten mit dem 13. Jahrhundert, und es wurde zu diesem Behufe vom Rat ein estricher oder estrichermeister gedungen; noch im 16. Jahrhundert gehörten in kleinern Residenzorten gepflasterte Strassen zu den Seltenheiten.

3) Fahrwege und Fusspfade; das Breitenmass war meist genau bestimmt.

4) Innen- und aussenstädtische Strassen. Zu den letztern gehörten die Reichs- und Landes-Heerstrassen, auch kaiserliche, königliche, des Reichs offene Strasse, freie Strasse, Landstrasse genannt.

5) Öffentliche Strassen und Privatwege.

Zur Herstellung und Unterhaltung der städtischen Strassen dienten zunächst die Weggelder, Wagen-, Karren- und Räder-Zölle, Deichselpfennige u. dergl., von denen es jedoch zahlreiche Befreiungen gab, namentlich für die innenstädtischen Bürger und für die ritterlichen und geistlichen Personen. Ausserdem war dem Bürger oft geboten, den Weg vor seinem Hause selbst zu bessern. Zur Aufsicht über das Strassenbauwesen bediente sich der Rat eigener wegemeistere, wenn nicht diese Funktion dem Baumeister übertragen war; an zahlreichen polizeilichen Verordnungen über die Offenhaltung der Strassen u. dergl. mangelte es nicht. Wegen politischer Vergehen geschah es im Mittelalter, dass einer Stadt die vier Hauptstrassen mittelst Aufstellens s.g. Meineidsäulen dauernd verunziert wurden.

Die Strassennamen sind hergenommen von einer Nachbarstadt, von ehemaligen Feldmarken und Fluren, von Gewässern und Dämmen,[939] Mauern, Thoren, Türmen, Plätzen, Gebäuden, von Amtshäusern, Handels-Niederlagen und grösseren Gewerbestätten, von Hausmarken, von der örtlichen Lage der Strassen im Stadtraume, von der besondern Form der Strassen-Anlage, von den darin überwiegend wohnhaften Ständen, von edeln Geschlechtern oder bürgerlichen Familien, namentlich aber von Gewerben und nationalen Elementen.

Man unterscheidet Städte des Reichs und Städte der Fürsten; jene werden unmittelbar durch königliche Beamten verwaltet, in diesen übt der Landesherr die öffentliche Gewalt aus. Zu den Städten des Reichs oder Königsstädten, civitates regiae, imperiales, werden aber ununterschieden gezählt, sowohl die Pfalzstädte als die Städte der geistlichen Fürsten, die letzteren darum, weil der Burggraf oder Vogt hier mit dem Blutbann vom König belehnt wird und so den Charakter eines königlichen Beamten erhält. Seit Karls IV. (1346–1378) Zeit bereitet sich aber eine Änderung vor, deren Resultat die Ausscheidung von Freistädten aus den Reichsstädten ist. Freistädte sind seitdem diejenigen Städte, welche der landesherrlichen Vogtei entwachsen, dennoch aber nicht in das enge Pflichtverhältnis zum Reich zurückgetreten sind, in welchen die Pfalz-, nunmehr Reichsstädte standen. Schwören sie zwar ihren alten Herrn den Eid bloss noch pro forma, nicht als Huldigungs- und Treueid der Unterthanen gegen den Fürsten, sondern als Bundeseid des Gleichstehenden gegen den Feind, so schwören sie denselben ebensowenig dem König als ihrem Herrn; dem Landesherrn gegenüber erklären sie unter dem Reich zu stehen, dem König gegenüber berufen sie sich darauf, dass er sich selbst seines Rechts über sie entäussert habe; dadurch erhielten sie beim Erwerb der öffentlichen Gewalt freiere Hand, ihr Verhältnis zum Reich in einem ihr zusagenden Sinne zu ordnen. Der Kreis der Freistädte war aber nicht offiziell bestimmt und abgeschlossen; unzweifelhaft als solche galten bloss die sieben alten Bischofsstädte Köln, Mainz, Worms, Speier, Strassburg, Basel und Regensburg; bei Trier stiess der Gebrauch des Titels auf Widerspruch, noch mehr bei Braunschweig und Freiburg i/Br. Jene sieben alten Bischofsstädte aber führen bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts den von der kaiserlichen Kanzlei anerkannten Namen Freistadt und definieren diesen stets dahin: 1. gegenüber dem Bischof, weil sie ihm als Landstadt nicht gehören; 2. gegenüber dem König, weil sie von der Reichssteuer und dem Reichsdienste der Reichsstädte frei seien und nur verpflichtet zum Dienst über Berg (zur Kaiserkrönung) und zum Krieg wider die Ungläubigen. Die übrigen bischöflichen Städte, also die grosse Mehrzahl, wurden nicht Freistädte, sondern sie wurden entweder zu bischöflichen Landstädten oder, vom König wieder an das Reich gezogen, zu Reichsstädten, z.B. Augsburg und Konstanz., Auch die Abteistädte wurden teils der Landeshoheit der Äbte unterworfen, teils, wie Zürich, wieder an das Reich gezogen; auch einige ursprünglich der Landeshoheit von Fürsten unterworfene Städte, wie Lübeck und Hamburg, sind im Laufe der Zeit dem Reiche wieder gewonnen worden. So ergibt sich nun für die Mitte des 15. Jahrhunderts der Unterschied von Freistädten, Reichsstädten und Landstädten, zugleich aber bahnt sich jetzt eine Vermischung der Frei- und Reichsstädte an. Die Freistädte nämlich, die auch auf den Reichstagen erschienen, wo sie mit den Reichsstädten die Städtebank teilten, näherten sich mehr und mehr den Reichsstädten, nahmen etwa[940] auch diesen Titel an, während umgekehrt Reichsstädte sich des Titels Freistädte bedienten; schliesslich nannten sich die Freistädte freie Reichsstädte.

Durch Handel und Reichtum hob sich die Macht der Städte mehr und mehr; unfreie Leute vom Lande, welche in den Städten Zuflucht und Beschäftigung fanden, und nach Jahr und Tag von der Leibeigenschaft frei wurden, vermehrten die Bevölkerung: noch mehr die Ausbürger oder Pfahlbürger, d.h. Herrn, Ritter, Prälaten, Klöster und gemeine Freie, die auf dem Lande wohnhaft, doch in das Bürgerrecht der Stadt traten; sie verpflichteten sich, der Stadt durch Beihilfe in ihren Fehden, durch Beherbergung ihrer Boten u. dgl. beizustehen, und waren dafür des Schutzes der Stadt, des Gerichtsstandes in derselben, des freien Absatzes ihrer Erzeugnisse teilhaftig. Schliesslich gingen einzelne mächtigere Städte zur Erwerbung eigentlicher Unterthanengebiete über, deren Mittel meist die Verpfändung solcher Gebiete von seiten geldbedürftiger Dynasten war; den meisten Erfolg hatten in dieser Richtung die schweizerischen Reichsstädte Bern und Zürich. So erwarben sich die Städte mit der Zeit auch die verschiedenen Hoheitsrechte, wie das Zoll- und Münzrecht, endlich auch die Gerichtsbarkeit, die Vogtei und das Schultheissenamt, sei es unmittelbar, sei es aus der Hand eines anderen, an welchen dieselben bereits veräussert oder verpfändet worden waren; wo das geschah, wurde die Gerichtsbarkeit durch einen städtischen Vogt oder Schultheissen ausgeübt. Von grossem Einflusse wurden die seit dem 13. Jahrhundert auftretenden Städtebündnisse; dasjenige, aus welchem seit 1241 der Hansabund hervorgegangen, umfasste an 80 Städte; über 60 Städte am Rhein traten dem Bunde bei, der 1254 einen grossen Landfrieden errichtete. Von bleibender Bedeutung für die Ausbildung der Staatsgewalt war bloss die Eidgenossenschaft der schweizerischen Städte, welche ausser den Städten ländliche Territorien oder sogenannte Länder umfasste.

Mit der zunehmenden Bedeutung der Städte entwickelte sich die Verfassung. An der Spitze standen meist zwei erwählte Bürgermeister, deren einer ursprünglich dem Rat als Gericht, der andere dem Rat als der Obrigkeit vorstand, und der Rat selber, welcher aus den Schöffen und den Ratmannen bestand, wo beide zusammen vorkamen. Um die Macht des Rates zu mässigen, wurde oft seit dem 12. Jahrhundert dem kleinen oder engeren Rat ein grosser Rat obgeordnet, an anderen Orten wurden die Schöffen gänzlich aus dem Rate verdrängt und die obrigkeitlichen Funktionen den Ratmannen allein übertrafen, so zwar, dass manchmal in wichtigen Fällen der Rat des vorigen, in noch wichtigeren auch derjenige des vorvorigen Jahres zugezogen wurde. Die Bedingungen der Wählbarkeit, die Amtsdauer und die Art der Erneuerung sind überall verschieden. Seit dem 12. Jahrhundert erwarben sich, oft durch blutige Kämpfe, die Handwerker Anteil am Regiment, wodurch oft eine ganz neue Verfassung nötig wurde. In Köln erlangten 1370 die Handwerker zunächst nur, dass neben dem engen Rat von 50 aus den Geschlechtern ein weiterer Rat von 50 aus den Handwerkern angeordnet wurde; erst 1396 wurde die ganze Bürgerschaft in 22 Zünfte unter den Namen Amter und Haffeln eingeteilt, wovon fünf edle Geschlechter enthielten; das Schöffengericht wurde vom engeren Rate getrennt und statt beider Räte ein neuer von 49 Mitgliedern eingesetzt, deren 36 von den Haffeln, die übrigen 13 von[941] den 36 gewählt wurden; für besonders wichtige Verhandlungen war bestimmt, dass die Sache vorher den 22 Ämtern und Haffeln kundgethan und aus jeder zwei Mitglieder abgeordnet wurden, welche gemeinschaftlich mit dem Rate berieten; anders war der Ausgang der Zunftwirren in anderen Städten, vgl. den Artikel Zunftwesen.

Um ein richtiges Bild und Mass von der Bedeutung der Städte für die drei letzten Jahrhunderte des Mittelalters zu erhalten, gälte es, den Einfluss der Städte auf die verschiedensten Zweige des Kulturlebens und umgekehrt allseitig ins Auge zu fassen; sind in der karolingischen Zeit die Stifter uud Klöster neben den königlichen Pfalzen die Zentren der Bildung, und werden diese seit dem 11. Jahrhundert von den zahlreichen Höfen der Edeln darin abgelöst, so sind es jetzt die Städte, auf welche nicht bloss die Hauptaufgaben jener älteren Kulturperioden übergehen, sondern auf welchen, immerhin neben anderen Instituten, die sich doch meist wieder an die Städte anschliessen, die neuen Aufgaben des Kulturlebens liegen: Grosshandel und Kleinhandel, Binnen- und Aussenhandel, Schiffahrt und Kriegskunst, Justiz- und Verwaltungswesen, Münz- und Bankwesen, Judentum, Bauwesen, öffentliche Gesundheitspflege, Armen- und Krankenwesen, Genossenschaftswesen aller Art, Brüderschaften, Klöster, namentlich der Bettelorden, Handwerk- und Marktwesen, was zur Belebung der Geselligkeit gehörte, Spiele, Schützenwesen und Schützenfeste, Fechtschulen, Hochzeiten, Tischordnungen, städtische Tracht- und Kleiderordnungen, Zunftfeste und Zunftgelage, Meisterschulen und Meistersänger, Mysterien und Fastnachtspiele, öffentliche Unzucht, Schulwesen, Universitäten, Bibliothekwesen, Geschichtschreibung, das Kunsthandwerk nach seinen verschiedenen Seiten, Architektur, Malerei, Holzschnitt, Buchdruckerkunst, alles dies und noch viel Anderes hat sich erst entwickeln können, als der bürgerliche Geist in unablässigem Ringen nach innerer und äusserer Freiheit und Selbständigkeit in Staat, Gesellschaft, Kunst, Bildung, Gewerbe den Boden dazu bestellte. In den Städten ist auch zuerst der Gedanke der Nationalität und das Gefühl der Vaterlandsliebe mächtig geworden, und sie haben deshalb für die nationale Monarchie am Anfang der neuen Zeit überall eine Hauptbasis gebildet. Waitz, Verf. Gesch. VII, Abschnitt 12; Arnold, Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte, Hamburg, 1854. 2 Teile. Heusler, Ursprung der deutschen Städteverfassung, Weimar, 1872. Walter, Rechtsgeschichte, S. 230 bis 246. Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin, 1868. Gengler, deutsche Stadtrechts-Altertümer, Erlangen, 1882. Das ältere Hauptwerk, das für die Kulturgeschichte viel Ausbeute gibt, ist Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters, 4 Teile, Bonn, 1826; aus neuerer Zeit in dieser Beziehung besonders bedeutend Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter, 2 Bände, Frankfurt a.M., 1868 und 1871. Vgl. den Artikel Stadtbefestigung.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 935-942.
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