Nerven

[315] Nerven, Nervensystem. Die N. sind die Werkzeuge der Vermittlung zwischen den centralen Organen, Gehirn, Rückenmark und Ganglien, u. den peripherischen Theilen des thierischen Körpers. Mit Ausschluß der mikroskopischen Thierchen einfachster Construction (Monaden, Vibrionen etc.) ist das Vorhandensein eines N.systems durch das ganze Thierreich nachzuweisen. Die N. der Wirbelthiere erscheinen als solide, weiße, markige Stränge, die von einer fibrösen Hülle, N. scheide, Neurilem, umgeben sind. Dieselben bestehen aus einer kleineren oder größeren Anzahl mechanisch nicht mehr theilbarer Fasern, Primitivfasern, die selbst wieder einzeln von einer zelligen Scheide umgeben und dadurch unter sich zu einem gemeinschaftlichen Bündel verbunden sind. Diese N. stränge, welche als zusammengehöriges Ganzes die Centralorgane des N.systems verlassen, verzweigen sich auf ihrem Wege durch die Organe mannigfaltig, doch überschreitet die Theilung bis zu den mikroskopischen Gebilden der Organe selbst die Gränze der Primitivfasern nicht. Die Theilung dieser selbst geht erst innerhalb der elementaren Gewebe selbst vor sich. Soweit dieses Verhältniß bis jetzt (1855) von den Naturforschern (an ihrer Spitze Rudolf Wagner) aufgeklärt ist, so würden sich die Primitivfasern, deren Durchmesser, bei den animalischen N. etwa 0,004''', bei den sympathischen N. fasern etwa 0,0012'''– 0,0016''' beträgt, mit einemmal in mehre kurze Aestchen auflösen; aus der Spitze jedes dieser einzelnen Aestchen kämen eine Anzahl secundärer Zweigchen hervor und diese Zweigchen selbst würden erst eine dichotomische weitere Theilung durch mehre Ordnungen hindurch erleiden, doch so, daß sich die terminalen Spitzen nie mit terminalen Spitzen einer anderen Primitivröhre durch Schlingen, wie man früher glaubte und zum Theil noch jetzt (Baumgärtner, Kölliker) glaubt, verbinden würden. Durch diese Theilung entstehen aus einer einzigen Primitivröhre 200–300 terminale Spitzen, die durch eine gleichzeitige Massenzunahme als Ganzes betrachtet den Durchmesser der Primitivröhre um ein Vielfaches übertreffen. In Betreff der letzten Endigungen der Primitivröhren innerhalb der Centralorgane sind die Untersuchungen nur soweit gediehen, daß eine unmittelbare Verbindung zweier Primitivfasern auch am centralen Ende nicht beobachtet wurde, wogegen eine mittelst der Ganglienzellen dieser Organe durch seine, von diesen ausgehende Fasern, vermittelte Verbindung vorzukommen scheint. Die feinste Structur der Primitivröhren selbst anlangend, so besteht die cerebrospinale Primitivröhre im lebenden Zustand aus einer seinen durchsichtigen Scheide und aus dem flüssigen N. marke. Sogleich nach dem Tode aber tritt eine theilweise Gerinnung des N.markes ein und dann unterscheidet man unter dem Mikroskop außer der Scheide [315] eine Corticalsubstanz und einen Axencylinder, zugleich erscheint dann die N.substanz als körnige Masse. Die sympathischen Fasern haben einen gleichen Bau, nur sind dieselben von beträchtlich kleinerem Durchmesser. In physiologischer Beziehung haben die N. dreierlei Functionen vorzustehen, nämlich der Bewegung und dem Stoffwechsel in peripherischer Richtung und der Perception der Außenwelt in ihrer centralen Thätigkeitsrichtung. Jede einzelne Primitivfaser scheint nur ausschließlich einer dieser 3 Functionen vorstehen zu können. Vom physiologischen Standpunkt aus theilt man das gesammte N.system in 1) das Cerebrospinal-N.system: Gehirn, Rückenmark u. die davon entspringenden N. umfassend; 2) das Gangliensystem, die Ganglien und die davon abgehenden N. begreifend. Ersteres steht den eigentlich thierischen Functionen der Bewegung und Empfindung, letzteres dem Stoffwechsel, der mehr vegetativen Sphäre des animalischen Körpers vor. Die beschreibende Anatomie theilt die N. in 1) Gehirn-N., 2) Rückenmarks-N. und 3) Ganglien-N. Von Gehirn-N., die in ihrem Verlauf und in der Vertheilung ihrer Zweige die größte Beständigkeit zeigen, zählt man 12 Paare von N., nämlich das Paar 1) des Geruchs-N., 2) Seh-N., 3) Augenmuskel. N., 4) Rollmuskel-N., 5) des dreiästigen N., 6) des äußeren Augenmuskel-N., 7) des Gesichts-N., 8) Gehör-N., 9) Zungenschlund-N., 10) des herumschweifenden od. Lungenmagen-N., 11) des Bei-N., 12) des Unterzungen-N. Der Rückenmarks-N. gibt es 1) 8 Hals-N., 2) 12 Rücken. N., 3) 5 oder 6 Lenden-N., 4) 5 oder 6 Kreuz-N. Das Ganglien- oder sympathische N.-system. in seinem Verlauf und seiner Vertheilung das unbeständigste, wird eingetheilt 1) in den Kopf- u. Hals-, 2) Brust- u. 3) Unterleibstheil. Es besteht aus einer Anzahl von Centralpunkten, Ganglien, von welchen Verbindungszweige zu andern Ganglien und zum Cerebrospinal-N.systeme gehen. Das größte Ganglion im Kopf ist das halbmondförmige, in der Brust das Herzgeflecht, im Unterleib das Sonnengeflecht (g. solare) in der Nähe des Magens.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 315-316.
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