Strauß [4]

[354] Strauß David Friedr., der vielgenannte Verfasser des Lebens Jesu, geb. 1808 zu Ludwigsburg bei Stuttgart, studierte in Blaubeuren und im theologischen Stift zu Tübingen Theologie und mit entschiedener Vorliebe Philosophie, wurde 1830 Pfarrvicar, kurz darauf in Maulbronn Professoratsverweser und ging nach Berlin, um seinen Meister Hegel zu hören, der aber im Nov. 1831 st. 1832 zurückgekehrt und Repetent im theologischen Seminar zu Tübingen, hielt S. philosophische Vorlesungen u. machte Epoche mit der Herausgabe seines »Lebens Jesu, kritisch bearbeitet« (Tübing. 1835, 4. Aufl. 1840). Er mußte dafür seine Stelle mit der eines Professoratsverwesers am Gymnasium zu Ludwigsburg vertauschen, gab diese bald auf, zumal er sich guter Vermögensverhältnisse erfreute, und widmete sich ganz der Schriftstellerei. Großen Lärm machte 1839 seine Berufung als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte an die Universität Zürich; er selber half diesen Mißgriff der Züricher Regierung verbessern, indem er gegen eine Pension von 1000 Schweizerfranken auf die Professur Verzicht leistete (die Pension ließ er jährlich den Armen seiner Vaterstadt austheilen), aber die Regierung wurde durch den »Züriputsch« vom 6. Sept. 1839 doch gestürzt. S. wurde des theologischen Gezänkes allmälig müde, heirathete die Sängerin Schebest und trat nach längerem Verstummen mit historischen u. literarhistorischen Schriften auf, auch als Publicist. 1848 war er der Candidat der Demokraten Ludwigsburgs für das Frankfurter Parlament, unterlag aber gegen den Pietisten Hoffmann; nachher in die württemberg. Kammer gewählt, zeigte er zu viel Geist und Besonnenheit, um den Erwartungen seiner Wähler entsprechen zu können. Seit der Revolution privatisirt er wieder bald zu Stuttgart, bald zu Heilbronn, bald an andern Orten des Neckarthals. – Seine theologischen Hauptwerke sind das Leben Jesu und »die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft«[354] (Tübg. u. Stuttg. 1840 ff.), 2 Schriften, die sich gegenseitig ergänzen und die ihn neben den Hegelianern F. Feuerbach und Bruno Bauer als den frühesten und wohl vorzüglichsten Vertreter des äußersten Extrems der prot. Kritik im Gebiete der Theologie erscheinen lassen. Den historischen Christus machte er zum Helden einer Reihe von Mythen, welche aus den messianischen Erwartungen des zur Mythenbildung gewiß sehr ungeeigneten 1. und 2. Jahrh. unserer Zeitrechnung hervorgewachsen sein sollten; was er im Einzelnen vorbrachte, war so wenig neu als die Grundanschauung, wovon er ausging; namentlich können die Deisten des 18. Jahrh. u. besonders Edelmann (s. d.) als Vorläufer S.ens betrachtet werden, die pantheistische Anschauung aber, als ob unter dem Logos das Menschengeschlecht zu verstehen sei, kommt sogar schon bei Philo Judäus vor. S. wußte daraus mit der blendenden Dialectik eines geschulten Hegelianers ein Ganzes zu construiren u. schrieb dabei so, daß auch alle jene Gebildeten ihn verstanden, welche vor der Hegel'schen Terminologie u. Begriffsspalterei sonst zurückschracken. Die Welt erfuhr zumeist durch S., in welchem Verhältnisse das Hegelthum zum positiven Christenthum stände; obwohl die Gegner S.ens wider ihn meist unglücklich fochten (etwa L. Hug ausgenommen), hat er doch mittelbar dem positiven Christenthum Vieles genützt. Unter seinen übrigen theologischen Schriften nennen wir die »Zwei friedlichen Blätter« Altona 1838 und »Bleibendes und Vergängliches im Christenthum«; unter den spätern »Julian der Abtrünnige« (1847), »Schuberts Leben in seinen Briefen« (1849), »Christian Märklin« (1851) sowie das »Leben und die Schriften des Nicodemus Frischlin« (Frankf. 1855).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 354-355.
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