Abtrift

[49] Abtrift ist der Weg nach Lee (s.d.) eines am Winde regelnden Schiffes normal zur Kiellinie infolge des Winddruckes auf die Segel und das Schiff.

Unter Zugrundelegung des einfachsten Falles, ein Schiff mit nur einem Raasegel (s. Besegelung), ergeben sich folgende Verhältnisse. In nachstehender Figur gibt AB die Kiellinie des Schiffes, CD die Richtung der Raa (Stellung des Segels) und FE die relative Richtung des Windes zum Schiff an. Gibt FE zugleich die Größe des Winddruckes in Kilogramm an und zerlegt man FE in zwei Komponenten, die eine FG parallel zum Segel wirkend, die andre GE normal zum Segel gerichtet, so wird für die Fortbewegung des Schiffes in der Richtung AB nur die Komponente GE in Frage kommen. Unter der Annahme, daß der Wind in horizontaler Richtung weht, kann man den Normaldruck GE zerlegen in eine Komponente HE in der Richtung der Kiellinie und eine solche GH normal zu dieser, d.h. querschiffs. Die Kraft HE wirkt auf Vorwärtsbewegung des Schiffes, die Kraft GF erzeugt die Abtrift nach Lee. Ist bei stetigem Winde und gleicher Segelführung eine gleichförmige Bewegung eingetreten, so entspricht der vorwärtstreibenden Kraft HE ein bestimmter Frontwiderstand des Schiffes im Wasser, desgleichen der querschiffs treibenden Kraft GH der sogenannte seitliche oder Lateralwiderstand. Die aus den beiden Kräften GH und HE sowie den beiden verschiedenen Widerständen sich ergebende Resultante zeigt den wirklichen Kurs des Schiffes in der Linie XY an. Der Winkel, den die Kursrichtung mit der Kiellinie des Schiffes bildet, heißt der Abtriftswinkel; er übersteigt je nach der Schiffsform und der Art der Segel bei scharf angeholten Segeln selten 12 Grad. Die Größe dieses Winkels hängt, abgesehen von der Segelstellung, von dem relativen Wasserwiderstand des Schiffes in der Richtung nach vorne und nach Lee ab. Da der seitliche Widerstand infolge der großen Fläche des Longitudinalplanes (s. Ruder und Besegelung) bedeutend größer ist als der Frontwiderstand – nach den älteren Formeln (s. Schiffswiderstand) im Verhältnis der Größe des Longitudinalplanes zur Hauptspantsfläche –, so wird in gleicher Zeit der Leeweg des Schiffes ein bedeutend kleinerer sein als die Fahrt des Schiffes voraus. Um den Leeweg, das Abtreiben, nach Möglichkeit zu vermeiden, d.h. um eine möglichst große Höhe heraussegeln zu können, werden verschiedene Mittel angewendet, den seitlichen Widerstand zu vergrößern. Bei flachgehenden Segelschiffen, Küstenfahrern, werden an den Bordwänden Schwerter – Leebords – angebracht, die beim Kreuzen – Amwindesegeln – heruntergelassen werden. Seltener finden bei den Kauffahrern die Kielschwerte (s. Bootsbau) Verwendung, da sie den Laderaum beengen, dagegen sind sie bei Segeljachten sehr beliebt. Bei seegehenden Segeljachten zieht man unter Benutzung eines Bleikieles bei scharfen Spanten (s. Schiffbau) sehr hohe Kiele vor (s. Segelschiffstypen). Bei den modernen Rennjachten ist der Lateralwiderstand durch eine tiefe Kielflosse mit unten daranbefestigtem Bleiwulst ohne Beeinträchtigung des Schiffswiderstandes vergrößert worden. Bei diesen von Herreshoff eingeführten Bulbkielern bildet der tiefe Lateralplan in Verbindung mit kleiner benetzter Oberfläche und großer Stabilität infolge tiefer Lage des Bleibulbs das Charakteristikum der modernen Segeljachten.


Literatur: White, Manual of Naval Architecture, London 1894; Dixon Kemp, Yacht Designing, London 1876; Oertz, Segeljachten und ihre moderne Ausführung, Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1902.

T. Schwarz.

Abtrift
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 49.
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