[498] Bakterien (Spaltpilze, Schizomyceten), zu der Klasse der Pilze gerechnete Organismen, von den sogenannten Spaltalgen im wesentlichen nur durch das Fehlen des assimilierenden grünen Farbstoffes in den Zellen unterschieden. Das farblose Plasma ist stets von einer dünnen Membran umschlossen, Zellkerne konnten bis jetzt noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.
Die Bakterien sind in sehr zahlreichen Arten über die ganze Erde verbreitet. Sie gehören zu den kleinsten der bis jetzt bekannten Lebewesen; so beträgt z.B. der Durchmesser der kugeligen Zellen des auf gekochten Kartoffeln, Brot u.s.w. auftretenden, durch die Abscheidung eines blutroten Pigments ausgezeichneten Micrococcus prodigiosus nur 0,0005 mm, die Länge des stäbchenförmigen Tuberkulosepilzes (Fig. 4, C) nur 0,00150,005 mm, so daß die Beobachtung derselben häufig erst durch besondere Färbungsmethoden [1], [2] ermöglicht wird. Berücksichtigt man noch, daß die Spaltpilze in bezug auf ihre äußere Form sehr einfach gebaut sind, so erscheint es leicht begreiflich, warum die Unterscheidung der Arten zurzeit noch in vielen Fällen überaus schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich ist. Große Verdienste hat sich in dieser Beziehung R. Koch erworben, dem die Trennung der verschiedenen Bakterienkeime und Züchtung (Reinkultur) auf festem Nährboden gelang. Viele Arten sind durch mehr oder minder energische, durch sogenannte Geißeln (Fig. 2, B) bewirkte Eigenbewegung ausgezeichnet. In einfachster Form stellen die Bakterien kugelrunde Zellen (Kokken) dar. Formen mit kurzen, stabförmigen Zellen werden als Bakterium, längere Stäbchen als Bazillus, einfache Zellfäden als Leptothrix, engschraubig gewundene Fäden als Spirillum, weitschraubige Fäden als Vibrio und Schraubenfäden von erheblicherer Länge als Spirochaete bezeichnet. Häufig besitzen die Membranen große Quellungsfähigkeit, so daß die einzelnen Individuen in Gallerte eingebettet erscheinen; derartige Entwicklungszustände bezeichnet man als Zoogloea (Fig. 3, B, C, D).
Ueber den Wert der genannten Formen als Artcharaktere gehen die Meinungen schon seit langer Zeit weit auseinander. Die Anhänger von Cohn und R. Koch halten jene Formen für konstant, also eine Systematik für möglich und berechtigt, Nägeli, Billroth, Zopf und andre Forscher dagegen meinen, daß es sogenannte pleomorphe Arten gibt, welche die Fähigkeit haben, sich jeweils den Verhältnissen, unter denen sie gerade leben, anzupassen, also mehrere der obigen Formen in ihrem Entwicklungsgange durchlaufen und mit wechselnden Funktionen auftreten können. Nach der letzteren Anschauung könnten sonach unter geeigneten Bedingungen aus den harmlosen »typhusähnlichen« Bazillen die gefährlichen Typhusbazillen, aus den Mikrokokken der Harnstoffgärung Cholerabazillen entstehen. Es konnte bisher die Richtigkeit weder der einen noch der andern Anschauung einwandsfrei bewiesen werden.
Die Vermehrung der Spaltpilze erfolgt auf vegetative Weise, in den meisten Fällen durch sehr ausgiebige Zweiteilung (Spaltung) der Individuen und durch sogenannte ungeschlechtliche[498] Dauersporen, bei denen der plasmatische Zellinhalt innerhalb der Membran unter Abscheidung einer neuen Haut zur Spore wird (Endosporen; Fig. 2, C).
Die Bakterien finden sich in Staub, Luft, Wasser, Erde u.s.w. Ihre Lebensdauer sowohl als auch ihre Lebenszähigkeit ist sehr verschieden. Im vegetativen Zustande werden sie im allgemeinen bei einer Temperatur von 60° getötet, das Optimum ihrer Entwicklung liegt zumeist bei 30°. Die Sporen sind ungleich widerstandsfähiger, sie ertragen in einzelnen Fällen Hitzegrade bis zu 130° und jeden natürlichen Kältegrad.
So einfach die Bakterien äußerlich gebaut sind, so ungemein mannigfaltig ist ihr Stoffwechsel, ihre Ernährungsweise. Da ihnen das Blattgrün (Chlorophyll) fehlt, so können sie nicht wie die chlorophyllführenden Pflanzen Kohlensäure und Wasser in organische Substanz umsetzen (assimilieren), sondern sie sind in bezug auf ihre Ernährung auf organische Substanzen angewiesen. Eine merkwürdige Ausnahme hiervon machen die von S. Winogradsky entdeckten Organismen, welche die Nitrifikation des Erdbodens bewirken. Diese Lebewesen können in bezug auf ihre Ernährung ohne organische Verbindungen auskommen, obschon sie kein Chlorophyll enthalten. Sie oxydieren Ammoniak zu salpetriger Säure und diese zu Salpeter, als Kohlenstoffquelle benutzen sie die Kohlensäure [3], [4]. Man bezeichnet nun die Bakterien, die auf lebenden Organismen vorkommen, als Parasiten (im engeren Sinne), dagegen als Saprophyten (Fäulnisbewohner), wenn sie tote organische Substanz zersetzen. Die Zersetzungserscheinungen, welche die Spaltpilze hervorrufen, nennt man Fermentwirkungen und dementsprechend die Bakterien auch wohl organisierte Fermente. Die Zersetzungsprozesse, meist Oxydationen, werden ganz allgemein als Gärungen (s.d.) bezeichnet [5]. In betreff der Wirkungsweise der Bakterien bestehen zurzeit zwei Theorien: die molekular-physikalische Nägelis, nach der sich die energischeren Bewegungen der Plasmamoleküle u.s.w. der Bakterien auf die kleinsten Teilchen des Substrates übertragen und letzteres dadurch zum Zerfall bringen; die rein chemische Theorie, nach der die Bakterien Stoffe abscheiden, die erst ihrerseits die Zersetzung des Substrates auf chemischem Wege bewirken. Solche Stoffe werden in der Tat in sehr zahlreichen Fällen abgeschieden; man bezeichnet sie als unorganisierte Fermente oder Enzyme.
Zu den saprophytischen Bakterien gehören die morphologisch höchst entwickelten Formen, an deren Spitze die überall in verunreinigtem Wasser an Steinen, Algen u.s.w. in Gestalt von schleimigen Ueberzügen vorkommende Cladothrix dichotoma (Fig. 1) steht. In Gesellschaft derselben treten stets zahlreiche andre saprophytische Formen auf (Spirillen, Kokken, Zoogloeen), die von manchen Forschern als Entwicklungsformen der Cladothrix betrachtet werden. Bisher in es indes noch nicht gelungen, durch kontinuierliche Beobachtung des Entwicklungsganges die Zusammengehörigkeit jener Formen unzweifelhaft festzustellen. Zu den wichtigsten saprophytischen Wasserbakterien gehört ferner Crenothrix Kuehniana, der sogenannte Brunnenfaden, der in seinen Fadenscheiden Eisenoxydhydrat aufspeichert. Letzteres findet sich schließlich im Wasser als braune Flocken. Der Brunnenfaden tritt in Wasserleitungen und Brunnen zuweilen in großer Menge auf und macht dann das Wasser ungenießbar. Der Heubazillus (Bacillus subtilis, Fig. 2) entwickelt sich in dem durch Abkochen von Heu gewonnenen Extrakt. Die Sporen ertragen das Abkochen des Abgusses und bilden schon nach wenigen Tagen auf der Oberfläche der Flüssigkeit eine Kahmhaut (Fig. 2, A). Nach Erschöpfung des Nährsubstrates von seiten des Spaltpilzes schreitet derselbe zur Endosporenbildung (Fig. 2, C). Leuconostoc mesenterioides (Fig. 3) ist der Erreger der[499] sogenannten Schleimgärung des Rübenzuckersaftes. Der Pilz tritt in Form von großen, froschlaichähnlichen Schleimklumpen auf. Auf der Oxydation des Alkohols zu Essigsäure (in Bier, Wein, Fruchtsäften) durch Bacterium aceti, der sogenannten Essiggärung, beruht die Essigfabrikation. Die saprophytischen Bakterien sind ganz besonders für die Landwirtschaft und ihre Nebenbetriebe von großer Bedeutung [6], [7]. Die Wirkung des Kompostdüngers ist wahrscheinlich mehr vom Gehalt an spezifischen Bodenbakterien als von der Menge der Pflanzennährstoffe abhängig. Die Buttersäuregärung, d.h. die Umwandlung von Zucker in Buttersäure beim Reifen des Käses, des Sauerkohls, bewirkt Bacillus amylobacter [8]. Der Milchsäurebazillus ist die Ursache des Sauerwerdens der Milch, der Kompotte u.s.w., indem er durch Spaltung des Milchzuckers Milchsäure und Kohlensäure erzeugt. Bacterium termo bewirkt die Fäulnis von Eiweiß, Fleisch u.s.w., eine Erscheinung, die in der Technik vielfache praktische Verwertung findet, z.B. in der Gerberei (vgl. Leder). Die Beziehungen der Bakterien speziell zu letzterem Gewerbe sind namentlich von Hänlein in neuester Zeit genauer untersucht und auch in gemeinverständlicher Weise dargestellt worden [9]. Die Physiologie der Gärungserscheinungen überhaupt wurde in jüngster Zeit am eingehendsten und vielseitigsten von Grimbert erforscht [13]. Eine große Zahl der parasitischen Bakterien sind harmlos und darum von untergeordnetem Interesse, so z.B. Sarcina ventriculi (Fig. 4, A) im Magen und Darm, die verschiedenen Mikrokokken, Leptothrix buccalis u.s.w. in der Mundhöhle des Menschen. Sehr wichtig dagegen sind die sogenannten pathogenen parasitischen, bei Infektionskrankheiten auftretenden Bakterien. Es seien hier nur genannt: Spirochaete Obermeieri (Fig. 4, B) im Blute bei Rückfalltyphuskranken, der Tuberkulosepilz (Bacillus tuberculosis, Fig. 4, C), der sogenannte Kommabazillus der asiatischen Cholera (Spirochaete cholerae asiaticae, Fig. 4, D), Streptococcus pyogenes (Fig. 4, E) und Staphylococcus aureus als Eitererreger, der Milzbrandbazillus (Bacillus anthracis).
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Bakterienforschung, wirksame Bekämpfungsmittel der pathogenen Bakterien aufzusuchen, vor allen Dingen Maßregeln ausfindig zu machen, wie der Verbreitung und Wirkung am zweckmäßigsten entgegengetreten werden kann. Am frühesten suchte man dieses Ziel auf sehr mannigfaltige Weise durch Vernichtung der Keime durch sogenannte Desinfektion (s.d.) zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Bestrebungen besitzen große Bedeutung für die Wohnungs- und Gewerbehygiene, die Städte- und Straßenreinigung [10], das Wasserversorgungswesen [11] u.s.w. Eine sehr übersichtliche Darstellung des bisher auf diesem Wege Erreichten findet sich in [12]. Allein im weiteren Verlauf der Forschung gelangte man immer mehr zu der Erkenntnis, daß eine absolute Desinfektion sich in den allermeisten Fällen praktisch entweder überhaupt nicht oder doch nur sehr schwer durchführen läßt. Pasteur, nach ihm Koch, Behring u.a. schlugen daher ein neues Verfahren ein, das darin besteht, durch sogenannte Schutzimpfungen in ganz analoger Weise wie bei der Pockenimpfung Immunität zu erzielen. Pasteur behandelte in dieser Weise Hühnercholera, Milzbrand, Rauschbrand, Schweinerotlauf und Hundswut, Koch die Tuberkulose, Behring die Diphtherie. Wenn sich auch zurzeit ein abschließendes Urteil über die Ergebnisse dieser Impfungen noch nicht fällen läßt, so steht doch schon so viel fest, daß sie dem Ungeheuern Aufsehen, das ihr Bekanntwerden hervorrief, bisher noch nicht entsprochen haben. Angesichts der zahlreichen Mißerfolge, zu denen jene Schutzimpfungen führten, namentlich aber angesichts der neuesten Beobachtungen bei der asiatischen Cholera, zufolge welcher bei typischen Cholerafällen keine oder nur wenige Kommabazillen aufgefunden werden konnten und umgekehrt zahlreiche Cholerabazillen bei völlig gefunden Personen, mehren sich die Anhänger von v. Pettenkofers, der im Gegensatz zu Koch der sogenannten Disposition mindestens die gleiche Bedeutung wie den Bakterien für die Infektionskrankheiten beimißt. Das Wesen dieser Disposition ist aber noch völlig unbekannt.
Man sieht, daß hier die Forschung noch in den Anfangsstadien der Erkenntnis sich befindet, was heute als großer Fortschritt gepriesen wird, wird morgen als Irrtum erkannt. Im Hinblick hierauf erscheint es als dringendes Erfordernis, in der praktischen Verwertung der Ergebnisse der bakteriologischen Forschung, namentlich in hygienischer, volkswirtschaftlicher und gesetzgeberischer Beziehung mit möglichster Vorsicht und Besonnenheit vorzugehen. Vgl. a. Trinkwasseruntersuchung.
Literatur: [1] Hüppe, Die Methoden der Bakterienforschung, 4. Aufl., Wiesbaden 1889. [2] Zimmermann, Die botanische Mikrotechnik, Tübingen 1892. [3] Winogradsky, Recherches sur les organismes de la nitrification, Annales de l'Institut Pasteur, 1891, S. 92 ff. [4] Wortmann, Ueber die neuesten Untersuchungen bezüglich der Nitrifikation und ihre physiologische Bedeutung, Landwirtschaftliche Jahrbücher 1891, Bd. 20, S. 175 ff. [5] Jörgensen, Die Mikroorganismen der Gärungschemie, 2. Aufl., Berlin 1890. [6] Kramer, Die Bakteriologie in ihren Beziehungen zur Landwirtschaft, Wien 1890, Bd. 1. [7] Migula, Bakterienkunde für Landwirte, Berlin 1890; Ders., System der Bakterien, 18971900. [8] Adametz, Bakteriologische Untersuchungen über den Reifungsprozeß der Käse, Landwirtschaftliche Jahrbücher, 1889, Bd. 18. [9] Hänlein, Bakterienstudien im Gebiete der Gerberei, Deutsche Gerberzeitung 1893, Nr. 62 und 63. [10] Marpmann, Die Untersuchung des Straßenstaubes auf Tuberkelbazillen, Zentralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde 1894, Bd. 14, S. 229234. [11] Reinsch, Die Bakteriologie im Dienste der Sandfiltrationstechnik, Zentralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde 1894, Bd. 16, S. 881896. [12] Behring, Bekämpfung der Infektionskrankheiten;[500] Infektion und Desinfektion; Versuch einer systematischen Darstellung der Lehre von den Infektionsstoffen und Desinfektionsmitteln, Leipzig 1894. [13] Grimbert, Fermentation anaérobie produite par le bacillus orthobutylicus, Annales de l'Institut Pasteur, 1893, S. 353403; Fischer, A., Vorlesungen über Bakterien, Jena 1897; Lafar, E., Technische Mykologie, ein Handbuch der Gärungsphysiologie, Jena 1897.
Fünfstück.
Buchempfehlung
Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.
48 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro