[354] Haftfestigkeit nennt man im Eisenbetonbau den Gleitwiderstand, den das einbetonierte Eisen dem Herausziehen entgegensetzt. Sie wird auf die Einheit der umhüllten Oberfläche bezogen.
Die Haftfestigkeit kann versuchsmäßig auf verschiedene Weise ermittelt werden. Entweder kann direkt der Widerstand gemessen werden, den ein einbetonierter Eisenstab dem Herausziehen entgegensetzt, oder man kann sie aus Biegeversuchen durch Rechnung ermitteln. Die über die direkt gemessene Haftfestigkeit bekannten Zahlen zeigen Unterschiede, die von der Betonsorte, der Versuchsanordnung und der Oberflächenbeschaffenheit des Eisens abhängen. Alle diese Verhältnisse sind durch die Versuche von Staatsrat C. v. Bach in Stuttgart geklärt worden, bei welchen auch erstmals festgestellt wurde, daß der Gleitwiderstand mit zunehmender Länge des einbetonierten Eisens abnimmt. Die Erklärung für diese Erscheinung ist folgende:
1. Wenn der Eisenstab aus dem Betonprisma herausgezogen wird (Fig. 2), so ist an der Eintrittsstelle das Eisen gezogen, der Beton gedrückt. Aus den zwar kleinen, aber verschiedenen Längenänderungen beider Stoffe ergibt sich aber ein Gleiten des Eisens und ein Ueberwinden der Haftfestigkeit an jener Stelle. Der Gleitwiderstand, der auch nach Eintritt einer Bewegung in geringerem Maße noch wirksam ist, vermindert die Spannung im Eisen und im Beton. Gegen das Innere des Betonprismas wird also die Spannung und die Dehnung des Eisens geringer, ebenso die Verkürzung des Betons. Der Weg der minimalen Gleitung nimmt also gleichfalls ab, womit eine kleine Zunahme des Gleitwiderstandes verbunden ist. Dessen[354] größter Wert oder die eigentliche Haftfestigkeit wird aber dort eintreten, wo die Längenänderungen beider Materialien verschwindend klein geworden sind, so daß ein Gleiten nicht mehr einzutreten braucht. Infolge dieses Größtwertes des Gleitwiderstands wird die Zugkraft im Eisen vollends rasch auf Null sinken, so daß weiter nach hinten Eisen und Beton spannungslos sein werden. In Fig. 2 stellen die oberen Kurven die wahrscheinliche Verteilung des Gleitwiderstandes längs des Eisens bei verschieden großen Z vor. Die ausgezogene Linie bezieht sich auf den Größtwert von Z, wo das Gleiten bis aus Ende des Betons vorgeschritten ist. Die unteren Linien stellen jeweils den entsprechenden Verlauf der Zugkraft Z im Eisen vor.
Da die von den Kurven der Gleitwiderstände eingeschlossenen Flächen die Zugkräfte Z darstellen, so ergibt sich der aus den Versuchen als gleichmäßig verteilt berechnete Wert kleiner als die eigentliche Haftfestigkeit. In Fig. 1 ist dieses Verhältnis übersichtlich dargestellt. Für die verschiedenen Längen der Betonprismen kann die gleiche Linie der Gleitwiderstände angenommen werden; bei l = 0 ist also das hintere Ende zu denken, während bei l = 100,150 bis 300 mm jeweils die vorderen Enden der Betonprismen zu denken sind. Die stark ausgezogene Kurve stellt dann die Gleitwiderstände längs des Eisens dar. Der durch Ringe bezeichnete Linienzug entspricht den beobachteten Gleitwiderständen nach den Bachschen Versuchen. Bei der angenommenen Kurve für den Gleitwiderstand zeigt sich eine befriedigende Uebereinstimmung insofern, als die Höhen der Rechtecke, welche den von der Kurve begrenzten Flächen gleich sind, gut mit den gemessenen Werten des Gleitwiderstands übereinstimmen. Insbesondere ist die Abnahme des vermittelten Gleitwiderstands mit zunehmender Eisenlänge deutlich zu ersehen.
2. Beim Durchdrücken des Eisenstabs durch das Betonprisma ist die Sache etwas anders. An der Eintrittsstelle (Fig. 4) ist das Eisen gedrückt, während der Beton spannungslos ist. Da die Haftung nicht hinreicht, um dem Beton dort die gleiche Verkürzung zu geben, so werden auch hier im vorderen Teil Gleitungen eintreten müssen. Der größte Wert des Gleitwiderstands oder die Haftfestigkeit wird dort erreicht, wo die Gleitungen verschwinden, d.h. wo die spezifischen Verkürzungen beider Materialien infolge der durch die Gleitwiderstände vor sich gehenden Kräfteübertragung gleichgroß geworden sind. Von dieser Stelle an treten keine Gleitwiderstände mehr auf, und die im Eisen und Beton wirkenden Kräfte bleiben konstant bis zur Austrittsstelle des Eisens. Da dort am Eisen keine Kraft wirkt, der Beton aber gedrückt ist und sich daher verkürzt, so müssen daselbst nochmals Gleitwiderstände auftreten, die schnell ihren Größtwert erreichen. Je größer D wird, um so näher rücken die beiden Kulminationspunkte der Kurve zusammen, bis sie endlich beim größten Wert von D zusammenfallen und die Gleitwiderstände die durch die ausgezogene Kurve dargestellte Verteilung angenommen haben. Die unteren Kurven in Fig. 4 stellen den Verlauf der Druckkraft in Eisen bei verschiedenen Werten von D vor. In Fig. 3 ist wieder die Beziehung des durchschnittlichen Wertes des Gleitwiderstands bei verschiedenen Prismenlängen zur tatsächlichen Verteilung und zu den beobachteten Werten dargestellt.
Frühere Versuche zur direkten Ermittlung der Haftfestigkeit sind angestellt worden von Bauschinger, der 40 bis 47 kg/qcm gefunden hatte, von Tedesco, der mit 6 Tage alten Mörtelprismen 2025 kg/qcm fand, und vom »Service français des phares et balises« mit 2536 mm dicken Rundeisenstäben, die mit Portlandzement 60 cm tief in Steinblöcken verankert waren und zu dem Ergebnis führten, daß die Haftfestigkeit überwunden wurde, als die Streckgrenze in den Eisen erreicht war. Ferner gehören hierher die Versuche von Mörsch, der 20 mm starke Eisen durch Betonwürfel von 20 cm Seitenlänge (vgl. Fig. 5) und dem Mischungsverhältnis 1 : 4 hindurchdrückte und bei einem Alter von vier Wochen und den Wasserzusätzen von 10, 12,5 und 15 Volumprozent Haftfestigkeiten von 48,8, 31,2 und 29,1 kg/gern erhielt.
Die Ergebnisse amerikanischer Versuche sind in Engineering News 1904, Nr. 10, veröffentlicht. Die Haftfestigkeit von Eisenstäben verschiedener Querschnittsform wurde für die Mörtelmischung 1 : 3 und verschiedene Betonmischungen untersucht. Bei den Würfeln aus Zementmörtel mit 15 cm Seitenlänge ergaben sich folgende gemittelte Werte für die Haftfestigkeit τ1: Quadrateisen 12,5/12,5 mm τ1 = 30,2 kg/qcm, Rundeisen 12,5 mm Durchmesser τ1 = 35,8 kg/qcm, Flacheisen 25,4/6,5 mm τ1 = 20,5 kg/qcm, Quadrateisen 6,5/6,5 mm τ1 = 25,8 kg/qcm. Die Betonprismen von 20/20 cm Querschnitt und 25 cm Höhe enthielten quadratische Eisen von 25/25 mm und ergaben Haftfestigkeiten von 3441 kg/qcm.
Die von Staatsrat v. Bach im Auftrag des Eisenbetonausschusses der Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie angestellten sehr sorgfältigen und eingehenden Versuche wurden an[355] quadratischen Betonprismen von 22 cm Seitenlänge mit den Höhen 10, 15, 20, 25, 30 cm ausgeführt im Mischungsverhältnis 1 : 4 Rheinsand und -kies. Derjenige Wasserzusatz erwies sich als der günstigste, bei dem es noch möglich war, die Versuchskörper noch gut herzustellen, dies waren 12% dem Gewicht nach. Das Verhältnis des Sandgehalts zum Kiesgehalt hatte innerhalb gewisser Grenzen keinen wesentlichen Einfluß auf den Gleitwiderstand, sofern der Wasserzusatz bei kleinerem Sandgehalt entsprechend geringer wurde.
Der Gleitwiderstand wurde erhöht durch Erschütterungen, die der fertige Betonkörper vor seinem Abbinden dadurch erfährt, daß er auf der Holzunterlage steht, die durch Einstampfen andrer Körper erschüttert wurde. Diese Erhöhung war um so bedeutender, mit je geringerem Wasserzusatz gearbeitet wurde, und erklärt sich dadurch, daß sich infolge der Erschütterungen um den Eisenstab herum der zur guten Verbindung erforderliche Mörtelschlamm ansammelt.
Der Gleitwiderstand ergab sich bei rascher Durchführung des Versuchs, d.h. bei rasch ansteigender Belastung, erheblich größer als bei langsamer Durchführung, wo die Last auf jeder Stufe längere Zeit wirkte. Auch beim Durchdrücken der Eisenstäbe ergab sich ein etwas größerer Widerstand als beim Herausziehen.
In Fig. 6 sind die hauptsächlichsten Ergebnisse dieser Versuche aufgetragen; sie beziehen sich alle auf Betonprismen 1 : 4 mit 15% Wasserzusatz. Die Vorversuche sind mit kurzer, die Hauptversuche mit langer Belastungsdauer ausgeführt worden. Verlängert man die Kurven der einzelnen Versuchsreihen nach l = 0 hin, so zeigt sich, daß alle drei Kurven nach einem Punkte hinlaufen, denn für l = 0 müssen die Unterschiede zwischen rascher und langsamer Durchführung und zwischen Herausziehen und Hindurchdrücken verschwinden.
In der Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1911 gibt v. Bach weitere Versuche mit der Mörtelmischung 1 : 3 bekannt. Das Ansteigen des Gleitwiderstandes mit abnehmendem l ist dabei sehr ausgeprägt. Von 28,8 kg/qcm bei l = 40 cm steigt der Gleitwiderstand auf 36,2, 47,2 und 54,9 kg/qcm bei den einbetonierten Längen von 15, 6 und 3 cm.
Bei den Plattenbalken, wo der Gleitwiderstand hauptsächlich in Frage kommt, liegen die auf Zug beanspruchten Eisen nicht in der Mitte, sondern in der Nähe des Randes der Betonrippe. Der Gefahr des Absprengens der unteren Betonumhüllung wird durch die Bügel vorgebeugt. In dieser Hinsicht geben die Versuche der französischen Kommission Aufschluß, wovon die Probekörper in Fig. 7 dargestellt sind. Der Beton wurde mit 300 kg Zement auf 400 l Sand und 800 l Kies mit einem Wasserzusatz von 8,8 Gewichtsprozenten hergestellt und war bei der Probe 3 Monate alt. Beim Herausziehen der Eisen ergaben sich folgende Widerstände:
Wichtiger als die direkten Gleitversuche sind für die Anwendung die Versuche mit solchen Eisenbetonbalken, bei welchen ein Gleiten der Armierung infolge Biegung beobachtet wurde. Die ausgedehntesten Versuche dieser Art sind im Auftrag des[356] Deutschen Ausschusses für Eisenbeton an der Materialprüfungsanstalt Stuttgart 1908/09 angestellt worden und erstreckten sich über Probebalken nach Fig. 8 von verschiedenen Mischungsverhältnissen, verschiedenen Alters, verschiedener Lagerungsweise und verschiedenen Eisenformen. Die Körper wurden mit zwei verschiedenen Wasserzusätzen α und β hergestellt, wovon der erstere bei Eisenbeton nicht wohl unterschritten werden kann, während der letztere als obere Grenze anzusehen ist. Das Gleiten der Eisen, die alle ohne Haken verwendet wurden, konnte an den Stirnenden beobachtet werden. Zum Vergleich sind in nachstehender Tabelle auch noch die Zahlen für die Zug- und Druckfestigkeiten der einzelnen Betonsorten angegeben. Es zeigt sich, daß im allgemeinen der Gleitwiderstand um so höher ausfällt, je größer die Fertigkeit des Betons ist. Bei feuchter und trockener Lagerung der Versuchsbalken ergab sich kein bemerkenswerter Unterschied im Gleitwiderstand. Die Haftfestigkeit τ1 ist in der Tabelle berechnet nach der Formel
Werte von τ1 bei 45 Tage alten, feucht gelagerten Balken verschiedener Zusammensetzung.
Zur Ermittlung des Einflusses der Oberflächenbeschaffenheit des Rundeisens wurden noch Balken aus 1 Zement, 2 Rheinsand, 3 Rheinkies hergestellt, die folgende Werte lieferten:
Die mit Flacheisen, , ⊥ und , armierten Balken lieferten niedrigere Werte von τ1, indem ein Zersprengen des Betons zwischen dem Auflager und dem Lastangriff eintrat. Ebenso wurde der Beton von den amerikanischen Spezialeisen zersprengt. Der Wert von τ1 betrug bei Verwendung von Johnson-Eisen (s. Spezialeisen) 33,7 kg/qcm und stieg bei den Diamond- und Lug-Eisen bis 36,3 kg/qcm.
Die aus den Biegeversuchen berechneten Werte stimmen befriedigend mit denjenigen direkter Zugversuche überein. Indessen zeigt sich auch bei den Balken der Gleitwiderstand abhängig von der Haftungslänge, je kleiner der Abstand zwischen Auflager und Lastangriff war, um so größer wurde der Gleitwiderstand berechnet, und zwar ergab sich bei sonst gleichen Umständen
Die Wahrnehmung, daß der Gleitwiderstand von der Festigkeit des Betons abhängt, ist noch weiter bestätigt worden durch Versuche mit gleichen Betonbalken verschiedenen Alters aus 1 Zement, 2 Rheinsand, 3 Rheinkies mit Wasserzusatz α. Sie ergaben folgende Zahlen:
[357] Versuche, die mit Balken angestellt wurden, die mehr Eisen und Bügel enthielten, ergaben ähnliche Werte, ebenso Balken mit abgebogenen Eisen, sofern für diese, der Kraftverteilung entsprechend, eine sinngemäße Berechnung des Gleitwiderstands bei Biegung vorgenommen wird, vgl. [10].
Literatur: [1] Du Calcul des ouvrages en ciment avec ossature métallique par M M. Ed. Coignet et N. de Tedesco, Paris 1894. [2] Annales des ponts et chaussées 1898, III. [3] Versuche über den Gleitwiderstand einbetonierter Eisen von C. v. Bach, Heft 22 der Mitteilungen über Forschungsarbeiten, Berlin 1905. [4] Commission du ciment armé, expériences, rapports etc. relatives à l'emploi du beton armé, Paris 1907. [5] Versuche mit einbetonierten Thacher-Eisen von C. v. Bach, Berlin 1907. [6] C. v. Bach, Heft 7274 der Mitteilungen über Forschungsarbeiten 1909. [7] Ders., Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1911, S. 859. [8] Ders., Heft 39, 4547 der Mitteilungen über Forschungsarbeiten 1907. [9] Ueber das Wesen und die wahre Größe des Verbunds zwischen Eisen und Beton, Dissertation von Dr.-Ing. Kleinlogel, Berlin 1911. [10] Mörsch, Eisenbetonbau, 4. Aufl., 1912.
Mörsch.
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