Bügel

[111] Bügel im Eisenbetonbau sind Eiseneinlagen von mehr nebensächlicher Bedeutung und haben den Zweck, die Hauptarmierung in ihrer Lage zu erhalten. Die Bügel werden hauptsächlich angewendet bei Säulen- und Plattenbalken, ferner bei Gewölben zur Verbindung der unteren Armierung mit der oberen.

Die Bügel bei den Säulen können entweder als Schleifenbügel, als Umfangsbügel oder als Diagonalbügel angewendet werden (vgl. Fig. 13). Versuche des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton (Heft 5) haben ergeben, daß die Schleifenbügel keine Vorteile vor den Umfangsbügeln haben, daß letztere vielmehr vorzuziehen sind, weil weniger Stoßstellen im Umfang vorkommen. Die Diagonalbügel haben den Nachteil, daß sie das Einstampfen des Betons im Kern der Säule erschweren. Die Nachteile der Schleifenbügel, welche nur mit Schwierigkeit zum dichten Anliegen an den Längseisen zu bringen sind, sind durch die sogenannten Sperrbügel (D.R.P.) vermieden. Letztere entstehen aus den Schleifenbügeln dadurch, daß die beiden Teile zwischen den Längsstäben schraubenförmig miteinander verdreht werden, so daß der Bügel. vollständig straff zwischen die Längseisen hereinpaßt.

Bei den Säulen haben die Bügel den Zweck, die Längseisen in ihrer Lage zu erhalten, damit sie nicht für sich ausknicken können. Außerdem sollen sie in Verbindung mit den Längseisen den Beton am seitlichen Ausweichen unter hohem Druck hindern. Der Abstand der Bügel darf also höchstens so groß werden, daß die nötige Sicherheit der Längsstäbe gegen Ausknicken erreicht wird. Mit fünffacher Sicherheit erhält man nach der hierfür maßgebenden Tetmajerschen Formel den Bügelabstand zu rund dem Zwölffachen des Durchmessers der Längsstangen. In der Anwendung geht man jedoch nicht über einen Bügelabstand von 35 cm hinaus.

Wenn die Umschließungsbügel sehr eng beieinander liegen, so daß ihr Abstand gleich der Ganghöhe einer umschnürenden Spirale ist, dann tritt eine ähnliche Wirkung wie bei den richtig umschnürten Pfeilern ein. Bei großen Abständen kann ein Einfluß der Bügel auf die Bruchlast der Säule kaum nachgewiesen werden (s. Säulen aus Eisenbeton).

Bei den Plattenbalken haben die Bügel zunächst die Rippen mit der darüberliegenden Platte fest zu verbinden, so daß beide statisch zusammenwirken müssen. Sie haben aber noch weiter den Steg gegen den Einfluß der Schubkräfte zu verstärken. Wird nämlich ein an beiden Enden frei aufliegender Eisenbetonbalken, der nur eine gerade Rundeisenarmierung enthält, einer bis zum Bruch gehenden Probebelastung unterworfen, so zeigen sich schon frühzeitig in der Nähe der Auflager Risse, die nach der Mitte ansteigend etwa unter 45° verlaufen, und die davon herrühren, daß die Zugfestigkeit des Betons in schräger Richtung überwunden wird. Sie unterscheiden sich von den infolge des Biegungsmomentes in der Balkenmitte auftretenden Biegungsrissen dadurch, daß sie später auftreten und bei fortschreitender Belastung viel rascher in die Höhe steigen. Daß diese Schubriffe auf die Ueberwindung der Zugfestigkeit des Betons in schräger Richtung zurückzuführen sind, zeigen Versuche mit Balken, deren Stegbreite verschieden ist. Es berechnet sich dann die Schubspannung τ0, welche der schiefen Zugspannung gleich gesetzt werden kann, beim Auftreten der schiefen Risse etwa gleichgroß, und die entsprechende Last ist dann proportional der Stegbreite. Ist nun ein solcher schiefer Riß eingetreten, so wirken in der Rißfläche des Betons keine schiefen Zugspannungen mehr, und der links abgeschnittene Teil (vgl. Fig. 4) ist im Gleichgewicht unter dem Einfluß der Querkraft Q, der Eisenzugkraft Z und der Kraft D im Betondruckgurt. Diese drei Kräfte müssen sich in einem Punkt schneiden, also wirken D und Z geneigt. Daß Z am linken Teil in geneigter Richtung von oben nach unten wirken muß, erkennt man aus Fig. 5, denn beim Oeffnen des Risses findet eine Drehung beider Balkenteile um den Druckgurt statt. Je geringer nun die Breite des zwischen den Eisen verbleibenden Betons ist, um so rascher muß dem schiefen Riß unter sonst gleichen Umständen der wagerechte über dem Eisen folgen, und es ist leicht denkbar, daß bei geringer[111] Stegbreite beide Risse zugleich erscheinen. Wenn dann der Zusammenhang der Elfen mit dem Beton infolge ihres Herunterdrückens gegen das Balkenende hin zerstört ist, kommt der Gleitwiderstand nicht mehr zur Wirkung, die Zugkraft wird dann vom Riß bis zum Endhaken gleichgroß bleiben und der Bruch tritt ein, sobald die Haken dem Zug nicht mehr standhalten können. Je mehr der wagerechte Riß über den Eisen fortschreitet, um so mehr wirkt Z horizontal, um so mehr geneigt muß dann die Druckkraft D werden, da beide Kräfte sich auf Q schneiden müssen und die Folge ist gewöhnlich, daß sich auch die Deckenplatte rechts vom Steg losreißt.

Sind nun Bügel vorhanden, welche die unteren Trageisen umfassen und oben verankert sind so zeigt sich daß die Zerstörung des Balkenendes wirksam verhindert wird. Es treten zwar bei höheren Belastungen auch schräge Risse in der Nähe der Balkenenden auf, aber diese Risse kommen später und bleiben seiner. Das Herunterdrücken der Eiseneinlagen links und das Abheben der Deckenplatten rechts vom Riß bis ebenfalls verhindert. Nach Fig. 6 ist die günstige Wirkung der Bügel so zu erklären, daß an dem schief geführten Schnitt außer den schiefen Zugspannungen des Betons und den Gurtkräften Z und D noch die Zugkräfte in den Bügeln den äußeren Kräften am linken Teil das Gleichgewicht halten. Dadurch bleiben zunächst die schiefen Zugspannungen kleiner, der schiefe Riß tritt also erst später auf, und dann wird das Herunterdrücken der unteren Eisen durch die Bügel gehindert. Die Bügel werden also auf Zug beansprucht und nicht auf Abscherung, wie früher fälschlicherweise angenommen wurde.

Die Bügel werden zweckmäßig in solcher Zahl angeordnet, daß sie imstande sind, in einem unter 45° geführten Schnitt die Querkraft durch ihre Zugfestigkeit aufzunehmen von der schiefen Zugfestigkeit des Betons muß man ebenso wie von seiner normalen Zugfestigkeit der Sicherheit wegen absehen. Auf Schub könnten die Bügel nur wirken mit einer Spannung, die wenig mehr als ihr Gleitwiderstand im Beton beträgt. Die Länge, auf welche die Bügel der Querkraft Q widerstehen müssen, kann ungefähr gleich dem Abstand von Zug und Druck also gleich z gesetzt werden. Ist der Bügelabstand e, und bezeichnet B die auf einen Bügel entfallende Zugkraft, so ist Q = B z/e oder der Bügelabstand e = B/Q · z oder die auf einen Bügel kommende Zugkraft

B = Q/z · e = b0 · τ0 · e,

wo b0 die Stegbreite bedeutet. Die Bügel können also auf Zug so gerechnet werden, als ob die Schubspannung

τ0 = Q/ z · b0

wie eine vertikal gerichtete Zugspannung im Steg wirken würde.

Die Bügel werden entweder als Einzelbügel oder Umschließungsbügel angeordnet. Die ersteren sind von Hennebique als Flacheisenbügel ausgebildet worden (vgl. Fig. 7 und 8) In der Anwendung dürfte es kaum vorkommen, daß die Bügel allein an der Aufnahme der Querkraft teilnehmen. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, die gegen die Trägerenden hin für die Momentenaufnahme entbehrlich gewordenen Trageisen nach oben schräg abzubiegen und im Druckgurt zu verankern. Die Versuche haben gezeigt, daß man auf diese Weise imstande ist, die schiefen Zugspannungen am besten aufzunehmen und die Trägerenden auch ohne Verwendung von Bügeln vollständig bruchsicher auszubilden. Man verzichtet indessen niemals auf die Anwendung der Bügel, weil man eine Verankerung zwischen Deckenplatte und Rippe nicht entbehren kann. In Wirklichkeit werden also beide Maßregeln den Querkräften entgegenwirken. (Vgl. a. Plattenbalken.)

Die Bügel bei den Gewölben sind entweder Schleifenbügel, welche die oberen und unteren Eisen verbinden, oder sie bilden zickzackförmig gebogene Drähte, die den gleichen Zweck erfüllen.


Literatur [1] Rudeloff, Heft 5 des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton. – [2] Mörsch, Deutsche Bauztg. 1907, Nr. 30, 32, 35. – [3] Ders., Eisenbetonbau, 4. Aufl., Stuttgart 1912. – [4] C v Bach Heft 10, 12 und 20 des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton.

Mörsch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 111-112.
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