Heliotrop [1]

[35] Heliotrop , ein aus einem oder zwei Heilbaren, kleinen Spiegeln und einer Zielvorrichtung (Fernrohr oder Diopter) bestehendes Instrument, mit dem bei trigonometrischen Messungen entfernte Dreieckspunkte durch Reflexion des Sonnenlichts signalisiert werden.

Eine der einfachsten und zweckmäßigsten, daher vielfach angewendeten Konstruktionen zeigt Fig. 1. Von der Sonne S wird durch den Heliotropenspiegel H (in Fig. 1 parallel zur Zeichenebene gedreht) Licht zum Zielpunkt Z gesendet, wenn die Spiegelebene rechtwinklig zur Strahlebene S H Z eingerichtet ist und der Winkel S H Z durch das Einfallslot halbiert wird. Der Strahl H Z wird nach Z gelenkt mit Hilfe der Absehlinie m f, welche gebildet wird durch ein Diopter, dessen Okular ein in der Spiegelmitte befindliches Schauloch m und dessen Objektiv ein Fadenkreuz f ist. Um den Strahl S H nach H Z zu richten, muß daher die Spiegelfläche so gerichtet werden, daß ein vor f aufgestellter Schirm R Sonnenlicht erhält. Dies ist der Fall, wenn der infolge der Durchbrechung m auf dem Schirm R sich zeigende unbeleuchtete Fleck die auf dem Schirm markierte Ziellinie f zentrisch deckt. Die Anordnung des Instrumentes ergibt sich aus der Figur. Der um zwei Achsen drehbare Spiegel H[35] und das Diopter werden getragen von einem Brett B. Dieses Brett wird mit der Zentralschraube C auf dem Signalpunkt P aufgestellt. Die Absehlinie m f (welche zu C zentrisch ist) wird durch Drehung um C und Neigung durch die Stellschraube D auf Z gerichtet. Ein Röhrchen R, welches in seinem Innern den Schirm mit der Ziellinienmarke trägt, wird in die Ziellinie heruntergeklappt und der Spiegel gerichtet, wie oben angegeben.

Wegen der Aenderungen, welche die Richtung der Sonnenstrahlen gegenüber der Spiegelfläche fortwährend erfährt, muß der Spiegel, ihrer Bewegung folgend, fortwährend nachgestellt werden. Dazu ist ein den Heliotrop bedienender Gehilfe notwendig. Da der scheinbare Sonnendurchmesser rund 1/2° beträgt und somit der Spiegel innerhalb dieses Spielraumes Sonnenlicht erhält, ist sowohl diese Einstellung des Spiegels leicht zu erzielen, als auch die Zielgenauigkeit eines Diopters hinreichend. Wenn der Stand der Sonne zur Ziellinie ein derartiger ist, daß nicht direkt Sonnenlicht auf den Spiegel H fällt, wird ein Hilfsspiegel zur indirekten Leitung erforderlich. Eine Zugabe sind farbige Gläser zur Zeichengebung (optische Telegraphie) bezw. zur Dämpfung des Lichtes.

Die beschriebene Anordnung ist zuerst bei der ostpreußischen Gradmessung und preußischen Küstenvermessung verwendet und von Bertram angegeben worden (vgl. [1]), um die Unbequemlichkeit, welche die Korrektion des ursprünglichen, von Gauß 1821 erfundenen Instrumentes ([2], [3]) mit sich bringt, zu vermeiden. Die Konstruktion des Gaußschen Instrumentes ergibt sich aus Fig. 2. Zwei sich rechtwinklig schneidende Spiegelebenen, ein Spiegelkreuz H h, reflektiert bei entsprechender Stellung der Spiegelebenen Licht von der Sonne S in die Linie A Z nach der Richtung A und Z. Zur Einrichtung der Linie A Z auf den Zielpunkt Z dient ein um seine geometrische Achse drehbares Fernrohr F, vor dessen Objektiv das Spiegelkreuz angebracht ist. Wird der kleine Spiegel h annähernd parallel zur Fernrohrachse gerichtet, so kann der Zielpunkt eingestellt werden. Bei feststehendem Fernrohr wird dann die Okularsonnenblende vorgelegt und durch Drehung des Fernrohrs um seine Längsachse die Spiegelachse rechtwinklig zur Strahlebene gerichtet, was mit Hilfe der Schattenscheibe B, deren Schattenbild eine Linie bilden muß, beurteilt wird. Sodann wird das Spiegelkreuz um die Achse C so gedreht, daß ein Sonnenbild im Fernrohr zentrisch zum Fadenkreuz erscheint und demnach auch zum Zielpunkt Z gesendet wird. Die erforderliche Stellung von Spiegelkreuz und Fernrohrachse wird durch Berichtigung erzielt ([2] oder [4]). Noch vor der Fertigstellung dieses Instrumentes verwendete Gauß [3] und [5] aushilfsweise einen Sextanten als Heliotrop (Vize-Heliotrop); vgl. a. [4].

Eine etwas abweichende Anordnung hat Steinheil [4] bei seinem Instrument angewendet. Hierbei dienen (Fig. 3) zur Richtung des Spiegels H (mit Achse und Kugelgelenk) die durch die unbelegte Mitte m (kleiner unbelegter Kreis) desselben gehenden Strahlen, welche durch eine Sammellinse L zu einer im Brennpunkt derselben aufgestellten weißen Fläche P (Papierscheibe, Kreide) geführt, dann von hier zurück, aus der Linse L parallel austretend, und von der Rückseite der Spiegelmitte m nach A (Auge) reflektiert werden. Das Instrument ist so einzustellen, daß das auf diesem Wege in A erscheinende matte Bild von P dem Auge A in der Zielrichtung Z erscheint.

Eine Vereinfachung dieses Prinzips weist der Galtonsche Heliotrop auf [6].

Eine von Reitz [7] angegebene Konstruktion zeigt Fig. 4. Vor dem Objektiv eines Fernrohrs F befindet sich der zentrisch bei m durchbrochene Heliotropenspiegel H, welcher Strahlen von S nach Z senden soll (H ist in der Figur parallel zur Zeichenebene gedreht). In der Fernrohrziellinie und rechtwinklig dazu steht die Ebene eines zweiten kleinen Spiegels h, welcher die von H reflektierten Strahlen in das Fernrohr sendet, so daß Z Licht erhält, wenn H so um seine zwei Achsen gedreht wird, daß ein Sonnenbild (geschwächt durch ein Blendglas vor dem Okular oder dem kleinen Spiegel) zentrisch zum Fadenkreuz in der Ziellinie gesehen wird [8]. Zur Sichtbarmachung von Punkten nach allen Richtungen hin (z.B. zur Rekognoszierung bei Dreiecksnetzen oder für Küstenstationen) gab Reitz besondere Konstruktionen an, die er als Periheliotrop bezeichnete [9]. Erwähnt sei noch der dem Bertramschen nachgebildete Heliotrop von Stanley [10].

Die einfachen Konstruktionen, wie besonders die Bertramsche, fanden wegen der bequemen, durch einen Gehilfen ausführbaren Handhabung seit der hannoverschen und preußischen Gradmessung bei Triangulierungen mit großen Zielweiten (erster, seltener zweiter Ordnung) ausgedehnte Verwendung. Die bei der ostpreußischen Gradmessung von Bessel zuerst angewendeten Signalkugeln aus versilbertem Kupfer haben keine allgemeine Anwendung gefunden, da, abgesehen von der geringeren Sichtbarkeit, die Abhängigkeit der Lage des reflektierenden Punktes von Sonnenstand und Beobachtungszeit eine umständliche Zentrierung der Richtungen nach Stundenwinkel, Deklination der Sonne, Polhöhe und Signalkugelhalbmesser erforderlich machen [11].

Das Heliotropenlicht erscheint bei der Entfernung, wie sie ein Dreiecksnetz erster Ordnung (s. Triangulierung) bietet (rund 60 km), bei günstiger Beleuchtung als eine kleine, helle, sternähnliche Scheibe und ist lehr scharf einstellbar. Bei ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen (Dunst) und besonders bei starkem Sonnenschein und Lichtwallung (Flimmern) sowie schlechtem Hintergrund (Wald) kann die Einstellung schwierig und ganz unbrauchbar werden. Zu stark[36] erscheinendes Licht kann durch Verkleinern der Spiegelfläche (dazu Zeichengebung erforderlich) oder besser durch Verwendung von Gitterblenden aus Flortuch vor dem Beobachtungsfernrohr gelindert werden [12]. Die geeignetsten Beobachtungszeiten sind die Stunden vor Sonnenuntergang oder nach Sonnenaufgang. Erfahrungsgemäß sind bei sonnenheller Witterung täglich nicht mehr wie durchschnittlich zwei Stunden zum Heliotropieren geeignet. Für kürzere Entfernungen (Dreieckspunkte zweiter und dritter Ordnung) werden daher Pyramiden- oder Scheibensignale (s. Triangulierung) zur Sichtbarmachung verwendet und nur ausnahmsweise Heliotropen. Anderseits reicht das Heliotropenlicht (bei kleinen Spiegeln von wenigen Zentimetern Durchmesser) für die meisten meßbaren Richtungen (100 km) aus; nur in besonderen Fällen (z.B. die trigonometrische Verbindung zwischen Spanien und Algier) sind Nachtbeobachtungen erforderlich geworden und dementsprechend eine anderweite Signalisierung durch Reflektoren oder Linsen (optische Kollimatoren), in deren Fokus ein Leuchtkörper (Lampe, Magnesium- oder elektrisches Licht) angebracht ist; vgl. hierüber [13]. Neuerdings sind Nachtbeobachtungen mit derartigen Signallampen, besonders in Nordamerika, wieder mehr in Gebrauch gekommen.


Literatur: [1] Zeitschr. f. Vermessungsw. 1878, S. 34 u. 193; 1885, S. 122; 1895, S. 26; Zeitschr. f. Instrumentenkunde, 1897, S. 1 u. 201; Bessel und Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen, Berlin 1838, S. 65; Baeyer, Die Küstenvermessung, Berlin 1849, S. 52. – [2] Astronom. Nachr., Bd. 5, S. 329. – [3] C.F. Gauß Werke, Göttingen 1903, Bd. 9, S. 461. – [4] Bauernfeind, Elemente der Vermessungskunde, Stuttgart 1890, Bd. 1, S. 174; Jordan, Handbuch der Vermessungskunde, Stuttgart 1906, Bd. 3, S. 30. – [5] Astronom. Nachr., Bd. 1, S. 106, und Zeitschr. f. Vermessungsw., 1885, S. 125. – [6] Bericht über die wissenschaftl. Apparate auf der Londoner internationalen Ausstellung 1876, Braunschweig 1878, S. 163. – [7] Protokolle über die Verhandlungen der allgemeinen Konferenz der europäischen Gradmessung, Neuchâtel 1871. S. 21. – [8] Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1881, S. 338. – [9] Ebend. 1883, S. 265. – [10] Stanley, Surveying and levelling instruments, London 1895, S. 482. – [11] Bessel und Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen, Berlin 1838, S. 64. – [12] Zeitschr. f. Instrumentenkunde, 1883, S. 308, – [13] Ebend. 1883, S. 225.

Reinhertz.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 35-37.
Lizenz:
Faksimiles:
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