Nivellieren [2]

[564] Nivellieren. – Seit 1908 fertigt das Zeißwerk in Jena eigenartige, von seinem Mitarbeiter Wild gut durchgearbeitete Nivelliere. Die beiden zusammengesetzten Linsensysteme O1 und O2 des Fernrohrs, Fig. 1, haben gleiche Brennweiten und einen unveränderlichen Abstand. Die Innenfläche je einer Linse beider Systeme trägt ein Strichkreuz mit entfernungsmessenden Strichen. Das Okular kann umgesteckt und jedes der beiden Linsensysteme O1 und O2 kann daher als Objektiv benutzt werden. Das Fernrohr hat also zwei Absehlinien. Nur das Strichkreuz des Systems, das dem Okular zunächst liegt, ist sichtbar. Die Bildebene des Objektivs wird in die Strichkreuzebene eingeführt durch Verschieben der Zwischenlinse Z, einer Zerstreuungslinse. Diese wird innerhalb des Fernrohrs sicherer geführt als der Okularauszug am Ende des gewöhnlichen Fernrohrs. Außerdem wird die Absehlinie durch die unvermeidlichen kleinen Lageänderungen der Zwischenlinse beim Verschieben nicht so stark verlegt wie durch eine gleichgroße Lageänderung des Fadenkreuzes beim Verschieben des Okulars. Das Fernrohr kann um 180° um seine Achse gedreht, aber nicht umgelegt werden. Mit ihm verbunden ist eine Wendelibelle ohne Teilung (s. Bd. 6, S. 150). Durch zwei gleichmäßig angeordnete Glasprismen P1 und P2 mit je einer senkrechten und je zwei schrägen Spiegelflächen und durch ein rechtwinklig-gleichschenkliges Prisma P3 werden die Bilder der Hälften beider Blasenenden der Libelle dem Auge des Beobachters am Okular sichtbar gemacht; Fig. 2. Ein drehbarer Spiegel an der andern Libellenlangseite beleuchtet die Blase. Es ist möglich, die beiden Bilder mit einer Kippschraube scharf übereinanderzustellen und dadurch die Libelle einspielen zu lassen, vgl. P3 rechts. Die drei Prismen und der Spiegel können mit der Libelle durch Berichtigungsschrauben gehoben und gesenkt und zur Beseitigung der Libellenkreuzung seitlich verstellt werden. Die beiden Prismen P1 und P2 lassen sich zusammen in der Längsrichtung der Libelle verschieben. Das Prisma P3 ist um eine senkrechte Achse drehbar. Von einem Standpunkte aus kann man in je zwei Libellen- und Fernrohrlagen, also viermal an der Nivellierlatte ablesen. Das Mittel der vier Ablesungen bei einspielender Libelle gibt stets die wagerechte Sicht an:

l = 1/4 (l1 + l2 + l3 + l4).

Im allgemeinen wird man aber nur viermal ablesen für die Prüfung und Berichtigung des Nivelliers. Beim Nivellieren selbst benutzt man in der Regel nur eine Libellenlage. Die Tangente des Spielpunktes im Vertikalschnitte der Umdrehungsachse der Libelle (s. Bd. 6, S. 149) muß dann der Absehlinie parallel gestellt werden. Man richtet hierzu die Absehlinie auf das [564] Mittel l der Lattenablesungen und verschiebt die Prismen so, daß die beiden Bilder der Blasenenden in Prisma P3 scharf übereinanderstehen. Man kann auch die beiden Tangenten der Spielpunkte der Wendelibelle mit einer Absehlinie parallel stellen und das Nivellier dann in zwei Libellenlagen benutzen. Dazu richtet man z.B. die Absehlinie in der ersten Fernrohr- und Libellenlage auf die Ablesung l + 1/2 (l1l2) und verstellt die Prismen wie oben angegeben worden ist. Will man nun noch einen Unterschied der Ablesungen in den beiden Libellenlagen beseitigen, so hebt oder senkt man die Libelle. Ein Vorteil des Instruments ist, daß aus den vier Ablesungen die Lagen der Spielpunkttangenten zu den beiden Absehlinien ermittelt werden können, und daß es von einem Standpunkte aus berichtigt werden kann. Letzteres ist aber auch bei den gewöhnlichen Nivellieren mit geteilter Wendelibelle möglich, wenn die beiden Achsen der Libelle parallel sind. Nach unsrer jetzigen Kenntnis der Wendelibellen ist die Annahme berechtigt, daß die Achsen genügend genau parallel hergestellt werden können und sich bei richtiger Libellenfassung auch dauernd so erhalten [1]. Das Zeißwerk hat für seine größeren Nivelliere noch eine andre neue Vorrichtung geschaffen, mit der der Abstand der Absehlinie vom vorhergehenden Teilstrich der Latte gemessen wird. Vor das Objektiv wird eine planparallele, um eine wagerechte Achse drehbare Glasplatte gefleckt. Steht die Glasplatte winkelrecht zur Absehlinie, so geht diese ungebrochen hindurch. Wird die Platte um ihre Achse schief gestellt, so verschiebt die Absehlinie sich senkrecht, ohne ihre Richtung zu ändern. Die Größe der Verschiebung liest man an einer geteilten Trommel ab, die sich mit der Plattenachse dreht. Mit dieser Vorrichtung wird eine Strichlatte benutzt. In eine Holzlatte mit Halbdezimeterteilung ist ein Invarband mit Halbzentimeterteilung eingelassen. Das Invarband ist nur am Fußende der Latte befestigt. Am oberen Ende wird es durch eine starke Sender gehalten. Da der Ausdehnungswert des Invars, s.d., S. 388, sehr gering ist, sind selbst bei Feinnivellements tägliche Lattenvergleiche nicht erforderlich. Das Strichkreuz hat die Form der Fig. 3. Näheres über die Wild-Zeißschen Nivelliere s. [2]. Sie sind günstig beurteilt worden. Eingehende Versuche darüber, ob sie andern Nivellieren überlegen sind, wurden noch nicht veröffentlicht.

Fennel in Kassel hat das einfache Nivellier (s. Bd. 6, S. 642) mit einem Fernrohr ausgerüstet, das dem Wild-Zeißschen Fernrohre ähnlich ist. Die einfache Libelle und der Fernrohrträger haben Berichtigungsvorrichtungen. Wenn die Kreuzungspunkte der beiden Strichkreuze scharf in den optischen Achsen der Objektive liegen und wenn sich der optische Mittelpunkt der Zwischenlinse bei ihrer Verschiebung so bewegt, daß die beiden Absehlinien immer zusammenfallen oder parallel sind, kann das Nivellier von einem Standpunkt aus nach zwei Lattenablesungen berichtigt werden. Sonst muß hierzu mit gleichen und ungleichen Zielwerten nivelliert werden [3] und [4]. Verbesserungsvorschläge in [4]. – Bei einem andern Nivellier von Fennel mit Kippschraube und fester, einfacher Libelle fehlt die Zwischenlinse im Fernrohr. Die Bildebene wird in die Strichkreuzebene durch Verschieben eines der beiden Objektive eingeführt. Es ist nur eine Berichtigungsvorrichtung vorhanden, und zwar für die Libelle. Auch hier ist die Berichtigung von einem Standpunkte aus nur möglich, wenn die beiden Absehlinien zusammenfallen oder parallel sind [5].

Aimonetti hat vorgeschlagen, das gewöhnliche Ringfernrohr mit Wendelibelle so einzurichten, daß Okular und Objektiv miteinander vertauscht werden können. Dann gibt das Mittel von vier Ablesungen bei einspielender Libelle auf einem Stande die Ablesung für die wagerechte Sicht [6].

Ein von Wanschaff nach Anregung von v. Lenzi gebautes Nivellier soll das Nivellieren mit geneigter Sicht vereinfachen (s. Bd. 6, S. 651). Die Verbesserung der Lattenablesung wird an einem Strahlenmaßstabe auf einem Glaszylinder ermittelt, der die Libelle umgibt. Der Zylinder dreht sich selbsttätig, wenn der Okularauszug verstellt wird, und stellt immer den Teil des Maßstabes nach oben, der der Bildweite und damit dem Lattenabstande entspricht. Abgelesen wird an der Mitte der Libellenblase. Die Genauigkeit der Maßstabstellung hängt ab von der Genauigkeit, mit der der Okularauszug eingestellt werden kann. Diese ist, nach den Bildweiten bemessen, für große Lattenabstande geringer als für kleine. Das Ablesen am Maßstabe ist wegen seiner Strahlenform bei großen Lattenabständen ebenfalls ungenauer als bei kleinen [7].

Wie Reiß hat auch Fennel Nivelliere gebaut mit Libellen mit Schiebemaßstäben [8]. Nach neueren Forschungen sind die Schiebemaßstäbe an Libellen zuerst 1872 von Brosset in Paris und Bellieni in Nancy nach Angabe von Goulier für Nivelliere angewendet worden [9]. In [10] findet man neben andern geschichtlichen Angaben auch solche über Libellen mit beweglichen Maßstäben.

Bei den Ergänzungsmessungen zum bayerischen Feinnivellement 1901 wurden Latten benutzt mit der Goulierschen Einrichtung für den Maßvergleich. In der Kastenlatte sind nebeneinander eingeschlossen ein Eisen- und ein Messingmaßstab von fast 3 m Länge. Sie sind am Fußende unter sich und mit der Latte verbunden. Die oberen Enden mit den Meßvorrichtungen können sich dagegen in der Längsrichtung frei ausdehnen. Aus den Längenänderungen des Eisenstabes gegen den Messingstab und die Holzlatte wird die Längenänderung des Lattenmeters gefunden. Später benutzte man neue Latten mit einer Vergleichseinrichtung von Schmidt. In einer Rinne in einer Schmalseite der Latte ist ein Invardraht von etwa 3 m Länge und 1,7 mm Stärke am Fußende befestigt und durch eine Spiralfeder am oberen Ende kräftig ausgespannt. Hier liegt auch die Meßvorrichtung. Die sehr geringe Längenänderung des Invardrahtes bei Aenderung des Wärmezustandes kann vernachlässigt werden; s. Invar, S. 388. Zum Anschluß[565] an Höhenmarken mit seinen Bohrlöchern diente statt des Lattenschiebers eine Libelle. Die Fassung trägt an der einen Seite eine kegelförmige Spitze und an der andern eine Schneide mit einem kleinen Maßstabe [11].

Näbauer hat in [12] die Fehler theoretisch untersucht, die durch ein Zusammendrücken der Latte unter ihrem Eigengewichte und durch den Zug entfliehen, den der Lattenträger am den Handgriffen ausübt. Sie beeinflussen das Nivellement im allgemeinen nicht, höchstens beim Ueberwinden sehr großer Höhenunterschiede.

Nachdem die Berliner Sternwarte verlegt worden ist, sollen das alte Gebäude und mit ihm die Festlegung des Normalhöhenpunktes für das Königreich Preußen abgerissen werden. Für die neue Festlegung sind an der Straße von Berlin nach Manschnow, 39 km vom Mittelpunkte Berlins entfernt, fünf Steinpfeiler erbaut worden. Jeder trägt an der Oberfläche und an den vier Seitenflächen je einen Bolzen [13].

Ueber den Stand der Feineinwägungen in den Staaten, die an der internationalen Erdmessung beteiligt sind, s. [14].


Literatur: [l] Zeitschr. f. Instr. 1914, S. 54; Fennel, Die Genauigkeit der Reversionslibellen. – [2] Wild-Zeißsche Nivelliere: Ebend. 1909, S. 329; Wild. Zeitschr. f. Verm. 1912, S. 321; Hugershoff. Ebend., S. 297; Hohenner, Mitteil. a. d. Markscheiderwesen 1910, Heft 12, S. 25; Haußmann, Oesterr. Zeitschr. f. Verm. 1912, S. 339; Delezal, Der Landmesser 1913, S. 553. – [3] Zeitschr. f. Instr. 1911, S. 305; Fennel, Ein neues Nivellierinstrument. – [4] Zeitschr. f. Verm. 1913, S. 297; Koller, Nivellierinstrument mit festem biaxialem Fernrohr und fester Libelle. – [5] Der Landmesser 1913, S. 345; Wenner u. Schaub, Ein neues Nivellierinstrument der Firma Otto Fennel Söhne, Kassel. – [6] Zeitschr. f. Verm. 1911, S. 195. – [7] Zeitschr. f. Instr. 1913, S. 253; Wanschaff, Nivellierinstrument mit veränderlicher Libellenangabe nach v. Lenzi-Wanschaff. Zeitschr. f. Verm. 1914, S. 23; Eggert. – [8] Ebend. 1909, S. 328; Lüdemann, Fennels Nivellierinstrument mit Schiebeskala; Der Mechaniker 1909, S. 181; Dokulic, desgl. – [9] Zeitschr. f. Verm. 1909, S. 15; Fennel, Wer ist der Erfinder der verschiebbaren Libellenskala? – [10] Ebend., S. 121; Lüdemann, Ueber Libellenkonstruktionen, insbesondere über solche mit beweglichen Skalen. – [11] Schmidt, Ergänzungsmessungen zum bayerischen Präzisionsnivellement, München 1908. – [12] Zeitschr. des Vereins der höheren Bayerischen Vermessungsbeamten 1913, S. 35; Näbauer, Theoretische Untersuchung des Einflusses einer Verkürzung der lotrecht stehenden Latte auf das Nivellement. – [13] Zeitschr. f. Verm. 1914, S. 51; Wolff, Ersatz des Normalhöhenpunktes a. d. Berliner Sternwarte. – [14] Verhandlungen d. allgem. Konf. d. internat. Erdmessung in Budapest 1906, II. Teil, S. 93, und in London 1909, II. Teil, S. 184; Lallemand.

Hillmer.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 564-566.
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