[520] Tempern (Glühfrischen), Temperguß (schmiedbarer Guß), die Herstellung schmiedbarer Arbeitsstücke durch Gießen und darauffolgendes Glühen.
Glüht man weißes Roheisen längere Zeit bei Temperaturen über 1000°, so zerfällt das in ihm vorhandene Eisenkarbid Fe3C in 3Fe + C, wobei der Kohlenstoff (Temperkohle) vollständig in amorphem Zustand zur Abscheidung kommt. Die Temperkohle läßt sich leicht oxydieren, so daß das weiße Roheisen sich infolge der Kohlenstoffabnahme in schmiedbares Eisen umwandelt. Als Oxydationsmittel verwendet man oxydische Eisenerze (Roheisenstein Fe2O3, vereinzelt auch Spateisenstein FeCO3 oder Walzensinter). Die Entkohlung erfolgt [1] durch Kohlensäure (CO2), die sich an der Berührungsstelle der temperkohlenstoffhaltigen Stücke mit den oxydischen Erzen (Fe2O3)[520] bildet, teilweise auch aus den Heizgasen flammt und in das Innere der Roheisenstücke diffundiert; sie wird dann nach der Gleichung CO2 + C = 2CO reduziert, während das wieder auftretende Kohlenoxydgas (CO) in den Eisenerzen zu CO2 zurückverbrennen kann. Die früher vertretene Ansicht, daß die Oxydation des C an der Oberfläche der mit dem oxydischen Erze in Berührung befindlichen Eisenteile beginne und daß der feste C aus dem Innern in die C-armen äußeren Schichten wandere, um dort ebenfalls oxydiert zu werden, ist nicht richtig [1], [2].
Das Tempern wird zur Herstellung von schmiedbaren Gußstücken angewendet. Diese zeichnen sich vor Gußstücken aus grauem Roheiten (Gußeisen) durch höhere Fertigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Stöße und Erschütterungen aus; gegenüber dem Stahlguß (s.d.) ist das Verfahren für Teile geringen Gewichts und geringer Wandstärke lebensfähig und gegenüber dem Schmieden hat es besonders bei komplizierter Gestalt des Arbeitsstücks den Vorteil der leichteren Herstellung durch den Gießprozeß.
Das Verfahren im ganzen umfaßt die Herstellung der aus weißem Roheisen bestehenden Gußstücke, die in Sandformen (s. Eisengießerei) gegossen werden, hierauf folgt das Tempern (d.h. die Umwandlung des spröden weißen Roheisens in schmiedbares Eisen durch Entkohlung). Angewendet wird das Verfahren besonders zur Herstellung von Schlüsseln, Schloßteilen, Fenster- und Türbeschlägen, Riemenverbindern, Fittings, Förderwagenrädern u.s.w. Die ungetemperten Gußstücke bestehen aus Roheisen, dessen Zusammensetzung folgende ist: Kohlenstoffgehalt < 3%, Silicium bis zu 0,8% (Grafitausscheidung darf noch nicht auftreten; ein hoher Siliciumgehalt begünstigt die Bildung von Temperkohle und verringert den Schwindungskoeffizienten); Mangan, Schwefel und Phosphor dürfen nur in geringem Maße vorhanden sein. Das Schmelzen des Roheisens geschieht in Kupolöfen (am billigsten, Nachteil: Kohlenstoff- und Schwefelaufnahme), Flammöfen (teurer Betrieb) und Tiegelöfen (am teuersten, nur für kleinere Betriebe). Die vom Formsand sorgfältig gereinigten Gußstücke werden in gußeisernen zylindrischen Töpfen wechselnder Größe (Höhe bis zu 1 m, Durchmesser bis zu 0,6 m, Wandstärke bis zu 35 mm) zwischen die Tempermasse eingepackt; für größere Gußstücke verwendet man gemauerte Ofenkammern. Die Töpfe werden in entsprechender Anzahl in den mit Steinkohlen- oder Gasfeuerung versehenen Ofen eingesetzt. Das langsame Anfeuern bis auf Kirschrotglut dauert 11/22 Tage, die volle Feuerung wird 38 Tage unterhalten, worauf man langsam abkühlen läßt. In dieser langen Dauer des Temperprozesses, infolge deren man auch in der Wandstärke der Gußstücke auf etwa 25 mm beschränkt ist, liegt ein entschiedener Nachteil des Temperns. Die Tempermasse wird aus bereits gebrauchtem und aus neuem Material gemischt. Am häufigsten verwendet man Roteisenerz, das schwefelfrei sein muß und in Erbsengröße verwendet wird. Die getemperten Stücke werden nach dem Abkühlen von anhaftender Tempermasse gereinigt und, falls sie sich beim Tempern verzogen haben, gerichtet.
Literatur: [1] Metallurgie 1908, 5. Heft, S. 7. [2] Borchers, W., Hüttenwesen, Halle a. S. 1908. [3] Handbücher über Eisenhüttenkunde von Ledebur, Wedding u.a. [4] »Stahl und Eisen« 1903, S. 22. [5] Ebend. 1906, S. 305 (Roheisen für den Temperprozeß); 1902, S. 813 (Einfluß des Siliciums beim Glühfrischen).
A. Widmaier.