Anwachsung

[601] Anwachsung, im römischen und gemeinen Recht Akzession (accessio) genannt, im allgemeinen alles, was zu einem Gegenstand als Erweiterung hinzukommt, sodann, da der Zuwachs einer Sache gewöhnlich in einem untergeordneten Verhältnis zur Hauptsache steht, die Nebensache, Zubehör (s. d.). In dieser Bedeutung wird der Ausdruck nicht bloß von körperlichen Sachen, sondern auch von Forderungen, Rechtsverhältnissen etc. gebraucht (vgl. Zinsen, Bürgschaft, Besitz). Endlich bedeutet A. auch das Hinzukommen, Zuwachsen, und in dieser Hinsicht ist es ein juristischer Kunstausdruck für eine besondere Art des Eigentumserwerbs gewesen (vgl. Eigentum). Nach Art. 65 des Einführungsgesetzes zum deutschen Bürgerl. Gesetzbuch bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über Anländungen (alluvio und avulsio), entstehende Inseln und verlassene Flußbetten, die gleichfalls Fälle der A. bilden, unberührt. Nach dem gemeinen und den meisten Landesrechten fällt das Eigentum an dem allmählich an einem Ufergrundstück sich anschwemmenden neuen Land (alluvio) dem Eigentümer dieses Grundstückes zu, während das Eigentum eines durch ein Naturereignis losgerissenen und an einem andern Grundstück angeschwemmten ganzen Stück Landes (avulsio) erst dann in das Eigentum des neuen Besitzers übergeht, wenn es mit dem Ufer wieder verwachsen ist. Nach österreichischem Rechte (allgemeines österreichisches Bürgerliches Gesetzbuch, § 412) verliert der vorige Besitzer bei Anlandungen sein Eigentum nur dann, wenn er es in Jahresfrist nicht ausübt. Bezüglich der durch irgend ein Naturereignis allmählich oder plötzlich in einem Flußbett entstehenden Insel (insula in flumine nata) gilt der Rechtsgrundsatz, daß das Eigentum daran, gleichviel ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Fluß handelt, den Ufereigentümern zur Rechten und Linken gehört und zwar nach Maßgabe einer durch die Mitte des Flusses gezogenen Linie. Ähnlich wird die Eigentumsfrage geregelt, wenn ein Fluß sein Bett verläßt (alveus derelictus). Hier fällt das Eigentum an dem verlassenen Flußbett zur Hälfte den Besitzern der linken, zur Hälfte denen der rechten bisherigen Ufergrundstücke zu. Nach dem österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuch, § 409, können sich in einem solchen Fall die Grundbesitzer, welche durch den neuen Lauf des Gewässers Schaden leiden, aus dem verlassenen Bett oder dessen Wert schadlos halten. Von accessio possessionis sprach das gemeine Recht in dem Sinne, daß derjenige, welcher eine Sache durch Ersitzung (s. d.) erwerben will, die Besitzzeit seines Vorgängers im Besitz der Sache zu der seinigen hinzurechnen kann. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hat in § 943 diesen gemeinrechtlichen Gedanken aufgenommen. Vgl. auch die Artikel: Verbindung, Vermischung, Verarbeitung und Anwachsungsrecht.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 601.
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