[576] Beispiel (lat. Exemplum), der einzelne konkrete, aus der Erfahrung entlehnte oder erdichtete Fall, insofern er zum Beleg eines Begriffes oder Satzes dienen soll. Was die Beweiskraft des Beispiels anlangt, so gilt diese mit Sicherheit nur dann etwas, wenn das B. als Instanz gegen die Allgemeingültigkeit einer Regel gebraucht wird; im entgegengesetzten Falle ist immer der Zweifel möglich, ob das Zutreffen der letztern nicht durch die besondern (zufälligen) Umstände des einzelnen Falles bedingt ist. Im Mittelhochdeutschen bezeichnet B. (bîspel, von bî, bei, und spel, Rede, Erzählung) eine poetische Erzählung, die zur Veranschaulichung eines moralischen Satzes dient. Zu den Beispielen gehört also auch die Tierfabel. Der fruchtbarste Verfasser von Beispielen im 13. Jahrh. war Stricker (s. d.); dem 14. Jahrh. gehört an der »Edelstein« von Boner; andre finden sich zerstreut in den Gedichten der Minnesinger des 12. und 13. Jahrh. (z. B. Reinmars von Zweter) oder sind größern Dichtungen, wieder »Kaiserchronik«, dem »Welschen Gast« des Thomasin von Zirklaere, dem »Renner« Hugos von Trimberg etc., einverleibt.