Diagnōse

[859] Diagnōse (Diagnōsis, griech.), Erkennung, Beurteilung; insbes. das Urteil, das sich der Arzt über das Wesen einer Krankheit bildet. Die Kunst, eine D. zu stellen, die Diagnostik, ermittelt die Art und das jeweilige Stadium der Krankheit; das Urteil über ihren mutmaßlichen Verlauf heißt Prognose (Vorhersage). Handelt es sich darum, unter zwei oder mehreren Möglichkeiten durch genaueste Sichtung aller Einzelerscheinungen die vorhandene Krankheit festzustellen, so spricht man von Differentialdiagnose. Die richtige D. ist Grundbedingung für ein rationelles Heilverfahren, daher die wichtigste, oft aber auch die schwierigste Aufgabe des Arztes. Um zu einer D. zu gelangen, beginnt der Arzt mit dem Krankenexamen über die Vorgeschichte und den ersten Anfang des Leidens (Anamnese). Dann berücksichtigt er die subjektiven Klagen des Patienten, die oft, aber durchaus nicht immer auf die erkrankten Organe hinweisen; endlich stellt er eine objektive Untersuchung mit physikalischen, chemischen oder optischen Hilfsmitteln an, die als physikalische Diagnostik den Hauptakt bildet. Das Ermitteln einzelner Symptome, wie Gelbsucht, Wassersucht, Fieber etc., kann nicht als D. gelten, da die D. nur aus der Summe der Symptome gewonnen werden kann. In Berlin besteht ein nach dem Vorbild einer Moskauer Anstalt begründetes Institut für medizinische Diagnostik, das Ärzten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung stellt, die ihnen gewöhnlich nicht zugänglich sind. Es umfaßt eine bakteriologische, chemisch-mikroskopische, pathologisch-anatomische und physikalisch-physiologische Abteilung sowie ein Laboratorium für experimentelle Pathologie. Untersuchungen werden nur auf Antrag von Ärzten ausgeführt, doch soll das Institut auch Lehranstalt sein und die Fortbildung praktischer Ärzte fördern. Vgl. Eichhorst, Lehrbuch der physikalischen Untersuchungsmethoden innerer Krankheiten (4. Aufl., Berl. 1896); Leube, Spezielle D. der innern Krankheiten (6. Aufl., Leipz. 1901, 2 Bde.); Vierordt, Diagnostik der innern Krankheiten (6. Aufl., das. 1901); Wesener, Lehrbuch der chemischen Untersuchungsmethoden zur Diagnostik innerer Krankheiten (Berl. 1890); Derselbe, Medizinisch-klinische Diagnostik (das. 1892); Klemperer, Grundriß der klinischen Diagnostik (10. Aufl., das. 1902); Seifert u. Müller, Taschenbuch der medizinisch-klinischen Diagnostik (10. Aufl., Wiesb. 1899); Tappeiner, Anleitung zu chemisch-diagnostischen Untersuchungen (8. Aufl., München 1902); Jakob, Atlas der klinischen Untersuchungsmethoden nebst Grundriß der klinischen Diagnostik etc. (2. Aufl., das. 1897); Ponfick, Topographischer Atlas der medizinisch-chirurgischen Diagnostik (Jena 1901ff.). – In der Systematik des Pflanzen- und Tierreichs bezeichnet D. die Gesamtheit derjenigen Merkmale der Gattungen und Arten, die eben hinreichen, um die letztern von den übrigen Arten der Gattung, bez. die Gattung von den übrigen Gattungen der Familie zu unterscheiden.[859]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 859-860.
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