[511] Gelbsucht (gallige Dyskrasie, Icterus, Morbus regius), Durchtränkung des Körpers mit Gallenfarbstoff, ein Symptom verschiedenartiger Krankheiten. G. kommt zustande durch Behinderung des Abflusses der in der Leber gebildeten Galle in den Darm. Solche Hindernisse ergeben sich durch Gallensteine in den Ausführungsgängen der Leber, durch katarrhalische Schwellung der dieselben auskleidenden Schleimhaut, wie sie häufig mit Katarrh des Zwölffingerdarms verbunden ist, durch schrumpfende Narben in der letztern, durch zähes, schleimiges Sekret. Geschwülste, wie z. B. Krebsknoten, Echinokokkusblasen, können den Hauptausführungsgang oder einzelne Nebengänge zusammendrücken und dadurch G. verursachen. Durch diese Hindernisse wird die Galle gestaut und infolgedessen von den Lymphgefäßen aufgesaugt und dem Blute zugeführt. Neben den Gallenfarbstoffen werden auch die andern Gallenbestandteile, vor allem die Gallensäuren, ins Blut aufgenommen. In manchen Fällen kann ein greifbares Hindernis für den Gallenabfluß nicht wahrgenommen werden; es ist dann die G. nicht selten durch ein Zusammenwirken einer zähen dickflüssigen Beschaffenheit der Galle mit katarrhalischer Schwellung und Verengerung der haarfeinen kleinsten Gallenwege zu erklären. Dies trifft namentlich auf die bei Vergiftungen und Infektionskrankheiten auftretende G. zu. In manchen Fällen muß man aber gewisse, nicht genauer bekannte Störungen in den Leberzellen selbst annehmen, infolgederen diese ihr Sekret statt nach den Gallengängen in die Blut- und Lymphgefäße entleeren. Jedenfalls ist jede G. eine hepatogene, d. h. durch Vermittelung der Leber entstandene; die Lehre von einer hämatogenen, d. h. durch Bildung von Gallenfarbstoff im Blut entstandenen G. (Blutikterus) hat sich als irrig erwiesen. Die Beimischung von Gallenfarbstoff zum Blut verursacht zunächst gelbgrüne Farbe des Blutserums, der Gewebesäfte und der Gewebe selbst. Die gelbe (zuweilen bis schwarzgrüne) Färbung der Haut etc. tritt am frühesten und deutlichsten hervor an der weißen Augenhaut (der Sclerotica), der Bindehaut des Auges, an Lippen, Gaumenschleimhaut, Nägeln und zuletzt an der ganzen äußern Haut. Von den Sekreten des Körpers sind Harn und Schweiß gallig gefärbt, dagegen Speichel, Tränen, Verdauungssäfte nicht. Die Verdauung liegt bei völligem Abschluß der Galle vom Darm (Acholie) schwer danieder, besonders ist die Fettverdauung gestört, der Kot sieht häufig weißgrau wie Ton aus und stinkt aashaft. Die häufig vorkommenden nervösen Symptome sind z. T. auf die im Blute kreisenden Gallensäuren zurückzuführen: der Kranke ist verdrießlich, klagt über große Abgeschlagenheit und allgemeine Schwäche; zuweilen treten auch schwerere Erscheinungen von seiten des Nervensystems hervor, namentlich heftiger Kopfschmerz, Schwindel, Delirien, Konvulsionen, dann aber auch wieder lähmungsartige Zustände, tief geistige Depression, Betäubung, Schlafsucht, selbst völlige Bewußtlosigkeit. Solche Fälle werden als bösartige G. (Icterus gravis, perniciosus, Cholämie) bezeichnet. An ihrem Zustandekommen sind vielleicht komplizierte, noch nicht genauer bekannte Vergiftungsvorgänge infolge Störung der Leberzellenfunktionen beteiligt. Auch in den leichtern Fällen kommt ein höchst lästiges Hautjucken vor. Die Kranken haben einen bittern Geschmack im Mund und empfinden Widerwillen gegen Speisen, besonders gegen Fleisch, Fett, Milch. Zuweilen besteht Gelbsehen (s.d.), weil die brechenden Medien des Auges gelb gefärbt sind. Der Puls ist bei der G. oft auffallend verlangsamt, manchmal bis auf 40 Schläge in der Minute, da die im Blut vorhandenen Gallensäuren reizend auf den Hemmungsnerv des Herzens (nervus vagus) wirken. Die Körpertemperatur bei der G. ist niedrig, die Respiration verlangsamt. Die G. hält bald nur einige Tage, bald mehrere Wochen und Monate an, selten besteht sie zeitlebens. Dies hängt ausschließlich von den Ursachen der G., bez. der Gallenresorption ab. Sind diese Ursachen vorübergehend, wie beim Dünndarmkatarrh, so schwindet bald danach auch die G., indem die Galle wieder frei in den Darm abfließt und der in den Säften und Geweben des Körpers angehäufte Gallenfarbstoff allmählich aus dem Körper mit dem Harn ausgeschieden wird; war die G. sehr stark, so gehen gewöhnlich mehrere Wochen darüber hin. Wenn die der G. zugrunde liegende Störung des Gallenapparates derart ist, daß monatelang keine Galle in den Darm gelangt, diese vielmehr sich im Blut anhäuft, so magert der Kranke in hohem Grad ab, weil das Fehlen der Galle im Darm die Verdauung der Fette fast ganz unmöglich macht, und geht schließlich an Erschöpfung zugrunde. Die bösartigen Fälle von G. (s. oben) pflegen schon nach wenigen Tagen mit dem Tode zu endigen.
Die Behandlung der G. hat sich zunächst immer gegen das Grundleiden zu richten, das die Gallenresorption veranlaßt. Durch geeignete (fettarme) Diät, Trinkkuren in Karlsbad etc. bekämpft, man entzündliche Erkrankungen der Darm- u. Gallengangschleimhaut, durch Abführungsmittel regelt man die Darmtätigkeit. Sind Gallensteine die Ursache der G., so wird häufig deren operative Beseitigung erforderlich. Bei zäher, dickflüssiger Galle sind die in ihrer Wirksamkeit[511] allerdings vielfach angefochtenen »galleabführenden Mittel« (s.d.) anzuwenden. Die G. der Neugebornen bedarf gar keiner besondern Behandlung, sie geht nach wenigen Tagen von selbst vorüber. Vgl. Stadelmann, Der Ikterus und seine verschiedenen Formen (Stuttg. 1891); Bickel, Experimentelle Untersuchungen über die Pathogenese der Cholämie etc. (Wiesb. 1900). f
G. kommt auch bei Tieren aus ähnlichen Ursachen wie beim Menschen vor infolge eines Katarrhs des Darmes und der Gallengänge, infolge von örtlicher Erkrankung der Leber und als Begleiterscheinung mancher allgemeinen Erkrankungen (z. B. Brustseuche und Vergiftungen). Eine schwere G. der Schafe entsteht bei Lupinose (s.d.). Die G. wird bei Lebzeiten des Tieres an den sichtbaren Schleimhäuten (Mund, Nase, Augenlid) erkenntlich. Beim Schlachttier zeigt sich die gelbe und gelbgrüne Färbung am Fett, an allem (normal weißlichen) Bindegewebe, allen Häuten und Eingeweiden, bei hochgradiger G. selbst an Muskeln, Knochen und Knorpeln. G. ist für die Fleischbeschau wichtig, sie macht bei hohem Grade das Fleisch genußuntauglich, sonst minderwertig. Nicht mit G. verwechselt werden darf die normale Gelbfärbung, die durch Grasfütterung bei Rindern stets entsteht, sich aber auf das Fett beschränkt.