Dietrich von Bern

[900] Dietrich von Bern, einer der Haupthelden der deutschen Sage, stammte aus dem Geschlechte der Amelungen (s. Amaler) und bildet den Mittelpunkt des ostgotischen Sagenkreises. Nach der ältern Sage ist er Dietmars (d. h. Theodemers) Sohn, nach späterer Erzählung von einem Dämon gezeugt; aus seinem Munde schießt Feuer, sobald er zornig wird. Schon als Jüngling kämpfte er mit dem Riesen Sigenot und mit dem Recken Ecke, später im Rosengarten bei Worms auch mit Siegfried. Vor Ermrich, dem Bruder seines Vaters, mußte er aus seinem Reich in Italien nach Ungarn fliehen, wo er samt seinen Mannen (darunter der alte Hildebrand) von Etzel, dem König der Hunnen, gastlich aufgenommen wurde. Ein Kriegszug gegen Ermrich, zu dem ihm Etzel ein stattliches Heer mitgegeben, mißglückt, und er muß wieder zu den Hunnen zurückkehren. Später rückt er mit einem neuen Heere nach Italien, erobert nach einer gewaltigen Schlacht die Stadt Raben (Ravenna), vertreibt Ermrich und nimmt sein Reich wieder in Besitz. D. ist auch in die burgundisch-fränkische Siegfriedsage verflochten worden, und so begegnet uns seine gewaltige und doch bescheidene Gestalt, mit sichtlicher Vorliebe gezeichnet, im zweiten Teil des Nibelungenliedes an König Etzels Hof. Überhaupt sammelte sich um D. im Laufe der Zeit ein großer Sagenkreis, dem die deutschen Dichter des Mittelalters mit Vorliebe ihre Stoffe entlehnten (vgl. z. B. »König Laurin«, »Ecken Ausfahrt«, »Sigenot«, »Alpharts Tod«, »Dietrichs Flucht«, »Rabenschlacht« etc.), und selbst die Bauern singen und sagen noch spät von dem treuen, echt volkstümlichen Helden. – Die Hauptgrundlage seiner Sagengestalt bildet die historische Persönlichkeit des ostgotischen Königs Theoderich d. Gr., der seinen Sitz in Verona hatte, das im Mittelalter Bern hieß. Insoweit jedoch allerlei Riesen- und Drachensagen zu ihm in Beziehung gesetzt worden sind, hat seine Gestalt auch mythologische Züge in sich aufgenommen. Vgl. Uhland, Dietrich von Bern (in Pfeiffers »Germania«, Bd. 1, S. 304); Raßmann, Die deutsche Heldensage (Hannov. 1857–58, 2 Bde.); K. Meyer, Die Dietrichssage in ihrer geschichtlichen Entwickelung (Basel 1868); Jiriczek, Deutsche Heldensagen, Bd. 1 (Straßb. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 900.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: