Bern [2]

[634] Bern (Gesch. des Cantons u. der Stadt). Erst später als über die südlichere Schweiz verbreitete sich über den jetzigen Canton B. die römische Herrschaft; die Einfälle der Alemannen im 3. Jahrh. zerstörten dieselbe aber wieder. Burgunder siedelten sich im 5. Jahrh. an. Die Hunnen unter Attila zogen verwüstend durch die Gegend, u. im 8. Jahrh. machten die Franken sich dieselbe unterwürfig. Der nördliche Theil des heutigen B. gehörte zur Pipinschen Grafschaft. Zu Ende des 9. Jahrh. wurde B. ein Theil des Kleinburgundischen, u. nach dessen Untergang im 11. Jahrh., des Deutschen Reiches. Ein zahlreicher Adel beherrschte das Land; über ihn übten die Herzöge von Zähringen als Landvögte von Klein-Burgund, trotz manches Widerstandes, die Obergewalt. In Folge der Fehden mit dem Adel erhob Herzog Berchtold IV. 1179 Freiburg zur Stadt u. befestigte es. Darüber brach unter seinem Sohne Berchtold V. offene Fehde aus, aber der Adel wurde 1190 bei Peterlingen u. 1191 im Grindelwald von Letzterem geschlagen, u. nun ließ er durch Kuno von Bubenberg B. als neue Feste erbauen; nach einem Bären, den man bei Rodung des Eichenwaldes, der bisher den Platz der Stadt einnahm, tödtete, soll B. den Namen erhalten haben, u. zum Andenken an die Gründung der Stadt werden im Bärengraben fortwährend lebendige Bären unterhalten. Die Stadt erhielt Freiheiten u. fand daher viele Bewohner, an welche sich die Partei des Herzogs unter dem Adel anschloß. 1218 wurde B. vom Kaiser Friedrich II. zur freien Reichsstadt erklärt, u. ihre Privilegien wurden in der, noch jetzt aufbewahrten kaiserlichen Handfeste bestätigt. Bald wurde B. mächtig, siegte in vielen Fehden, hielt 1288 unter Ulrich von Erlach eine Belagerung Rudolfs von Habsburg aus, siegte 1339 unter Rudolf von Erlach über einen Bund des Adels mit den übrigen Städten bei Laupen u. trat 1353 dem Eidgenössischen Bunde bei. Von nun an wird die Geschichte B-s die der Schweiz, s.d. (Gesch.). Indessen führte B. zuweilen noch Fehde auf eigene Hand, zur Erwerbung von Gebiet, das es auch durch Kauf erlangte, schloß sich auch wohl von allgemeinen Kriegen (wie beim Bellenzer Krieg u. bei Sempach) aus. 1405 brannte B. ab. Zu Anfang des 15. Jahrh. war B. schon ein Land von Bedeutung u. sein Gebiet erstreckte sich von den Grenzen von Wallis bis an den Jura u. fast bis zum Rhein. 1415 eroberte B. den unteren Aargau vom Herzog Friedrich von Österreich u. nahm an der Eroberung von Baden, dessen Mitherr B. wurde, lebhaften Antheil. Anmaßungen des Adels brachte es 1470 zum Bruch zwischen diesem u. der Bürgerschaft, er verließ die Stadt, kehrte aber schon 1471 wieder zurück. 1475 eroberte B. einen großen Theil des Waadtlandes von Savoyen, bis es 1536 das ganze Land an sich riß. Am Burgundischen Kriege nahm B. lebhaften Antheil, ebenso an dem Schwabenkriege (1498), an den Kriegen Ludwigs XII. u. Franz' I. von Frankreich, so wie an der Eroberung der vier welschen Vogteien. Die Reformation fand 1528 nach kurzem Widerstande Eingang. Den 6. Jan. d. J. war auf dem Colloquium zu B. zwischen den schweizerischen Reformirten Luthers Abendmahlslehre verworfen worden. Mit Genf kämpfte B. wegen streitiger Besitzungen 1589 gegen Savoyen, jedoch ohne Erfolg, weil es sich mit Genf veruneinigte, wodurch die früheren Vortheile wieder verloren gingen. Ziemlich friedlich vergingen die nächsten Jahrhunderte, während welcher sich die ursprüngliche Demokratie der Verfassung allmählig in eine Oligarchie umwandelte. Daher kam es zu inneren Unruhen, hauptsächlich darüber, wer regierungsfähig u. wer es nicht sei. 1653 erhob sich das Landvolk unter Leuenberger, um sich von der Stadt unabhängig zu machen, wurde aber von den städtischen Mannschaften unter Erlach bei Herzogenbuchsee geschlagen. In den darauf folgenden Religionskriegen verloren die Berner u. Züricher die Schlacht bei Villmergen 1656, siegten aber 1712 bei demselben Orte in dem Kampfe gegen die katholischen Stände. 1749 versuchten eine Anzahl Mißvergnügte eine Veränderung in der Verfassung des Cantons im demokratischen Sinne zu bewirken, was aber mißlang. Beim Ausbruch der Französischen Revolution zeigten sich neue Unruhen, bes. suchten einzelne Theile sich von dem Canton loszureißen. Bis 1797 wußte die Regierung zwar diese Versuche zu vereiteln, aber sie unterstützend, rückten 1798 französische Truppen, die Berner in mehreren Gefechten besiegend, nachdem diese den eigenen Anführer, von Erlach, erschlagen hatten, in B. ein, u. der alte Canton wurde in die vier neuen, Bern, Waadtland (Leman), Aargau u. Ober-Land getheilt, auch die Verfassung auf französische Art gemodelt. Ober-Land vereinte sich schon 1803 freiwillig wieder mit B., die anderen sollten 1814, wo die alte Verfassung, auf Österreichs Veranlassung, etwas verbessert wieder eingeführt wurde, hierzu gezwungen werden; der Wiener Congreß entschied aber für ihre Unabhängigkeit, u. B. wurde durch einen Theil des ehemaligen Bisthums Basel für seinen Verlust entschädigt. Die Verfassung wurde ziemlich aristokratisch am 21. Sept. 1815 u. 26. Aug. 1816 gegeben; ein Großer Rath von 299 Mitgliedern u. ein Kleiner Rath von 27 versahen die Regierungsgeschäfte. In B., mit Luzern u. Zürich Vorort der Schweiz, trieb die Aristokratie von jetzt an wieder ihr altes Spiel, bis 1830 fast alle Cantone der Schweiz eine durchgreifende Reform der Verfassung verlangten. In B. weigerte sich zwar das Patriciat entschieden, aber eine Volksversammlung erklärte am 10. Jan. 1831, daß sie den Wunsch des Landes auf gewaltsame Weise erfüllen würden, wenn der Große Rath nicht den gesetzmäßigen Weg einzuschlagen vorziehen würde. Die Regierung berief daher einen Verfassungsrath von 240 Mitgliedern, der aus den 27 Amtsbezirken des Cantons erwählt wurde u. der im Juni 1831 die neue demokratische Verfassung vollendete, die jedem Staatsbürger gleiche Rechte u. Pflichten gab. Die neue Verfassung fand, außer bei den Patriciern, allgemeinen Beifall; aber diese suchten sie zu stürzen, Anfangs dadurch, daß die geübtesten bisherigen Beamten ihr Amt niederlegten u. alle andere Staatsdienste verschmähten; später, im Aug. 1832, wollte man die ehemaligen Patricier einer völligen Verschwörung beschuldigen, doch wurde der ehemalige Stadtschultheiß Fischer als ihr Führer angeklagt, nach sechsmonatlicher Haft vom Berner Obergericht freigesprochen[634] u. 1833 entlassen. Viele aus Frankreich ausgewiesene Polen hatten sich auf den Boden des Cantons B. geflüchtet; die anderen Cantone verboten ihnen den Eintritt in ihr Gebiet, Frankreich that desgleichen. Nach langen Unterhandlungen bewilligte ihnen Frankreich endlich zu Anfang 1834 freien Durchzug nach England, Amerika etc., aber statt dessen drangen sie im Febr. 1834 bewaffnet in Savoyen ein, um dort zu revolutioniren. Dieser Anschlag mißglückte, der Regierung von B. aber wurde die Schuld davon aufgebürdet, u. da fast zu gleicher Zeit deutsche Handwerksgesellen, welche demagogischer Umtriebe verdächtig waren, sich im Canton aufhielten, so ergingen. von mehreren Staaten drohende Noten an die Schweiz u. bes. an B., dessen Regierung aber das Asylrecht der Schweiz hartnäckig vertheidigte. Diese Streitigkeiten wurden um so heftiger, als 1835 die Vorortschaft der Schweiz an B. überging, doch wurden sie durch Vermittelung Österreichs noch in diesem Jahr beigelegt. 1834 wurde die Universität in B. eröffnet. Als Vorort der Schweiz hatte 1836 B. einen Streit mit der französischen Regierung, wegen eines Agenten dieser Regierung, Conseil, der unter falschem Namen die Schweiz durchreiste, um dort den Mitwissern an den Mordversuchen gegen Ludwig Philipp nachzuforschen. 1838 wurde die sogenannte Burgdorfer Partei, die aus den Reichen der Dörfer u. kleinen Städte bestand u. seit 1831 über das Regiment der Stadtpatricier gesiegt hatte, nun selbst gestürzt, u. die Partei der Legalliberalen od. der Liberalen des gemäßigten Fortschrittes, den Schultheiß Neuhaus an der Spitze, kam an das Ruder. Ihr entgegen trat die sogenannte Junge Rechtsschule, eine Partei der äußersten Linken, unter der Leitung des Professor W. Snell u. dessen Schwiegersöhnen Stämpfli u. Niggeler. Diese drang auf eine Revision der Verfassung, welche dem Canton eine mehr demokratische Unterlage geben sollte. Zu diesem Zwecke wurde ein Verfassungsrath durch Urwahlen des Volkes gebildet, welcher zum größeren Theile aus Radicalen bestand. Die neue Verfassung wurde am 31. Juli 1846 durch Stimmenmehrheit angenommen u. im Aug. desselben Jahres die neue Regierung gebildet. Regierungspräsident wurde Funk von Nidau. Zwar erfolgten mehrere materielle Verbesserungen, allein durch den Wegfall der Staatszehnten u. Bodenzinse entstand ein Deficit, welches die Regierung durch Einführung einer Grund-, Capital- u. Einkommensteuer decken mußte. Da nach dem Ausbruche der Februarrevolution 1848 von B. aus die beiden Freischaareneinfälle in Deutschland betrieben wurden, so schickte die deutsche Reichsgewalt im September Franz Raveaux als Gesandten nach B., welcher jedoch die begehrte Ausweisung der deutschen Flüchtlinge nicht erlangen konnte. 1849 vereinigten sich alle Parteien zum Sturz der Radicalen. Namentlich grollte die Geistlichkeit der Regierung wegen Berufung des der freien Richtung angehörigen Tübinger Privatdocenten Zeller als Professor der neutestamentlichen Exegese an die Universität B. Als im Mai 1850 die Erneuerungswahlen für den Großrath stattfinden sollten, wurde schon im Jan. die Wahlagitation mit Heftigkeit betrieben; auf der Versammlung von Abgeordneten aller Gemeinden zu Münsingen am 25. März, wo die Wahlen organisirt werden sollten, war der Sieg noch unentschieden; aber am Wahltage (5. Mai) selbst blieben die Radicalen in der Minorität. Doch hielt die neue Regierung an der Verfassung von 1846 fest u. war hauptsächlich darauf bedacht, die materiellen Schwierigkeiten der Verwaltung zu beseitigen. Die Spannung zwischen den beiden Parteien dauerte inzwischen fort u. erreichte bei den Neuwahlen 1854 einen hohen Grad; doch kam ein Compromiß zwischen beiden Parteien, die sich nach der Neuwahl ziemlich die Wage hielten, zu Stande, u. die hervorragendsten Männer von beiden Seiten traten in den neugebildeten Regierungsrath. – Vgl. Justinger, Berner Chronik vom Anfange der Stadt bis 1421, herausgeg. von Stierlin u. Wyß. Bern 1818; Bend. Tschachtiam, Berner Chronik von 1421–1466, herausgeg. von denselben, ebd. 1819 f., 2 Bde.; Valerius Anshelms, genannt Rüd, Berner Chronik vom Anfange der Stadt B. bis 1526, herausgeg. von denselben, ebd. 1825–33, 6 Bde.; Tscharner, Historie der Stadt B., ebd. 1765 f., 2 Bde.; A. v. Tillier, Geschichte des eidgenössischen Freistaates B., ebd. 1838, 5 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 634-635.
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