Eierkunde

[436] Eierkunde (Oologie; hierzu die Tafeln »Eier europäischer Vögel I u. II«, mit Namenregister), die Lehre von den Vogeleiern, beschäftigt sich speziell mit dem Studium der Kalkschale des Vogeleies und leistet in Verbindung mit der Nesterkunde (Kaliologie) der Ornithologie, speziell der Systematik wesentliche Dienste. Man kennt die Eier ungefähr des sechsten Teils der bekannten Vogelarten: alle europäischen, die Mehrzahl der nordamerikanischen und australischen sowie viele der übrigen Arten. Die Eier werden nach Ermittelung ihres Vollgewichtes entleert und der Sammlung (Oothek) einverleibt. Als oologische Bestimmungs- und Beschreibungsmittel kommen in Betracht:

1) Größe und Gewicht, jene durch Multiplikation des Maßes der Längen- und Breitenachse ausgedrückt, dieses durch Wägen des vollen und des leeren Eies ermittelt. Das Volumen des größten bekannten Eies, von dem ausgestorbenen Aepyornis maximus, entspricht dem von 50,000 Kolibrieiern und dem von etwa 6 Straußeneiern. Die Eier des afrikanischen Straußes sind die größten Eier der gegenwärtig lebenden Ornis; sie messen bis ca. 160☓130 mm und wiegen ca. 1400–1500 g. Das größte Ei der europäischen Vogelwelt ist das des Höckerschwans, die kleinsten sind die der beiden Goldhähnchenarten. Jenes mißt durchschnittlich 128☓70 mm, dieses 12☓9 mm; jenes wiegt gefüllt 414 g, leer 53 g; dieses gefüllt 32 cg, leer 4 cg. (S. Taf. I, Fig. 24, 25; Taf. II, Fig. 12.)

2) Die Gestalt oder Form. Als Basis für die Bestimmung der Eiformen dienen das Verhältnis der Maße ihrer Längen- und größten Breitenachse und die Entfernung des Schneidepunktes der letztern mit der Längenachse von einem der Pole der letztern. Dieser Schneidepunkt fallt genau oder annähernd in die Mitte der Längenachse bei den gleichhälftigen Eiern. Bei der kugeligen Form sind beide Achsen gleich oder nahezu gleich lang (alle Radien ungefähr gleich); bei der walzigen ist die Längenachse bedeutend größer, beide Pole gleich oder doch fast gleich abgerundet; bei der spitzwalzigen sind die Pole zugespitzt. Unter den ungleichhälftigen Eiformen ist die ova le oder typische Eiform die häufigste; bei ihr unterscheidet man die Eier als kurz-, lang-, gestreckt-oval, abgestumpft, zugerundet, zugespitzt etc. Der Schneidepunkt der Achsen wechselt zwischen ca. 2/5 und 4/5 der halben Längenachse. Liegt er dem stumpfen Pol noch näher, und fällt der »Mantel« des Eies nach dem entgegengesetzten, zugespitzten Pol hin gleichmäßig und nahezu kegelförmig ab, so entsteht die Kreiselform, die zurBirnform wird, wenn der Mantel etwas vor dem zugespitzten Pol eine gleichmäßige Einbuchtung zeigt. Die letztern beiden Formen sind häufig bei den Watvögeln, kommen jedoch auch in andern Familien vor.

3) Die Struktur der Kalkschale und ihrer Überzüge gilt als das sicherste, jedoch nur durch Lupe und Mikroskop zu gewinnende Bestimmungsmittel. Hierbei handelt es sich um die die Kalkschale durchsetzenden Poren, um ihre Verbreitung und Stellung auf der Eifläche, ihre Gestalt, Größe, Tiefe etc., sodann um die von den Poren nur z. T. abhängige Oberfläche der Kalkschale, die Übergänge von glattem Schliff und Emailglanz bis zu Grobkörnelung und nahezu Glanzlosigkeit aufweist. Auch die Protuberanzen der innern Schalenfläche sowie die Beschaffenheit des ihr anliegenden Schalenhäutchens und ihre amorphe Kalk- oder Kreidebedeckung sind von Belang.

4) Färbung und Zeichnung. Unter Färbung (Grundfarbe) versteht man die meist eintönige Farbe der gesamten Oberfläche, die sich in sehr vielen Fällen, namentlich bei den grünen Tinten, durch die ganze Schale bis zu deren Innenfläche verbreitet, während die Zeichnung, fast ausnahmslos aus einer oder mehreren dunklern Nuancen der Grundfarbe zusammengesetzt, sich zwar auf verschiedene Kalkschichten, aber nicht auf der innersten abgelagert findet. Die rein weiße Grundfarbe ist die häufigste, von etwa 12.000[436] Vogelarten legen etwa 4200 einfarbige Eier. Über 3200 davon sind rein weiß, ca. 800 blaugrünlich bis zum tiefsten Blaugrün, die übrigen ca. 200 verteilen sich auf die aus Gelb, Rot, Braun und Schwarz gemischten Farben. Vor allem zeichnen sich die Steißhuhn- (Crypturus-) Eier ebenso durch eigenartige prächtige Mischungen wie durch herrlichen Glanz aus.

Die Zeichnung der Eier ist geradeso mannigfaltig wie die Färbung. Man unterscheidet Punkte, Flecke, Flatschen (große Flecke), Strichel, Schmitzen, Haarlinien (Haarzüge), Wurmlinien, Zickzacklinien u.a. Die Zeichnungen sind gleichtönig in der Farbe und fest umgrenzt oder abgetönt und verwaschen (brandfleckig). Sie erscheinen einzeln oder zusammengedrängt, gleichmäßig über die Oberfläche verbreitet oder lokal angehäuft; gewöhnlich sind sie dies an einem der beiden Pole, besonders am stumpfen Ende, bilden nicht selten auch einen Gürtel, in der Nähe der Pole bis zur Mitte der Achse (Kranz). Dabei kommt jede einzelne Zeichnungsform für sich allein oder mehrere zusammen zur Verwendung, oder eine oder die andre herrscht vor, auch bedeckt eine die andre teilweise. Die Zeichnungsfarben sind im allgemeinen dieselben wie die Grundfarben, aber immer in dunklern Nuancen. Nur das tiefe, reine Schwarz, das dunkle Schwarzviolett und Schwarzbraun fehlen der Grundfarbe. Wie die Zeichnungsformen, so erscheinen auch die Zeichnungsfarben eintönig oder gemischt (einfarbig oder mehrfarbig), in letzterm Fall aber wohl ausnahmslos als Nuancen ein und desselben Farbentons; nur das reine Schwarz macht hiervon eine Ausnahme. Der, Farbenton selber steht übrigens meist in naher Verwandtschaft zu dem der Grundfarbe. Man unterscheidet Ober- und Schichtenzeichnung. Letztere, meist vom gleichen Farbenton wie erstere, verändert diesen jedoch je nach der Anzahl von Kalkschichten, die sich über jede frühere Zeichnung gelagert haben, nicht unwesentlich und trennt ihn in 3–4 unterscheidbare Stufen der Farbenskala. Die Oberzeichnung ist teils glanzlos, teils matt, teils spiegelglänzend; in vollkommenstem Grade ist sie dies bei den schönen Eiern der Jassana oder des Blätterhühnchens (Parra). – Die Abbildungen der beifolgenden zwei Tafeln »Eier« bieten Beispiele für fast sämtliche in Frage kommende oologische Kriterien, soweit sie eben darstellbar sind. Außerdem war für die Auswahl die Absicht maßgebend, die Eier der interessantesten und zugleich bekanntesten heimischen Vogelarten aus den verschiedensten Familien darzustellen. Vgl. Bädeker, Die Eier der europäischen Vögel (Iserl. 1855–63, mit 80 Tafeln; Suppl. 1867); Thienemann, Fortpflanzungsgeschichte der gesamten Vögel (Leipz. 1845–56, mit 100 Tafeln); Gräffner, Die Vögeleier Mitteleuropas (3. Aufl. des Werkes »Die Eier der Vögel Deutschlands« von Naumann u. Buhle, zuletzt Magdeb. 1896); v. Reichenau, Die Nester und Eier der Vögel (Leipz. 1880); Willibald, Die Nester und Eier der in Deutschland etc. brütenden Vögel (3. Aufl., das. 1886); Rey, Die Eier der Vögel Mitteleuropas (Gera 1899 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 436-437.
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