Eisenbahnarbeiterbewegung

[508] Eisenbahnarbeiterbewegung, die Bestrebungen der Eisenbahnarbeiter zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Diese Bestrebungen haben vielfach zu Organisationen geführt. Die Vereinigte Gesellschaft der Eisenbahnbediensteten von England, Schottland und Irland wurde 1872 gegründet und zählt über 90,000 Mitglieder. Der französische Eisenbahnverband zählt etwa 60,000 Mitglieder. Der Zentralverband des Personals der schweizerischen Transportanstalten verfügt über eine gute Organisation, eine eigne Fachzeitung und gehört dem großen schweizerischen Arbeiterverband an. Die Arbeiterunion schweizerischer Transportangestellter, die hauptsächlich die Eisenbahnarbeiter umfaßt, steht mit dem Verband schweizerischer Transportangestellter im Kartell. In Italien haben sich die verschiedenen Eisenbahnvereine zu einer Gewerkschaft (Lega dei Ferroviari italiani) verschmolzen und sind gleichzeitig der sozialdemokratischen Arbeiterpartei beigetreten. In Österreich ist der 1894 gegründete Verband sämtlicher Eisenbahnerfachorganisationen mit dem Sitz in Wien wegen sozialdemokratischer Agitation 1897 aufgelöst worden. Der Verband zählte 24,000 Mitglieder. Die Eisenbahnerorganisationen in Spanien, Portugal, Belgien und in den skandinavischen Ländern machen weniger von sich reden. Die holländische Organisation hat eine ziemliche Stärke erreicht. In Deutschland bestehen christliche Eisenbahnerorganisationen in Bayern und Trier (für ganz Preußen). Ein Versuch auf einem Kongreß in Magdeburg 1890, eine Gewerkschaft der Staatseisenbahner zu gründen, wurde erstickt. Der Anfang 1897 in Altona gegründete Verband der Eisenbahner Deutschlands ist von der Eisenbahnverwaltung für sozialdemokratisch erklärt und der Beitritt verboten worden. Die erste große, ein ganzes Staatsgebiet umfassende Vereinigung ist der Bayrische Eisenbahnerverband, der, Ende 1896 unter tätiger Mithilfe von Mitgliedern der Zentrumspartei begründet, es schon im ersten Jahre seines Bestehens auf etwa 10,000 Mitglieder brachte und 1902 rund 19,000 Mitglieder zählte. Zweck des Verbandes ist: Erzielung möglichst günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, Hebung des Standesbewußtseins, Pflege der geistigen Ausbildung und des geselligen Verkehrs der Mitglieder, Schaffung von Unterstützungskassen. Das bisherige Vorgehen des Verbandes ist völlig einwandfrei gewesen. In Italien ist man im Interesse der Ruhe und Ordnung und der Sicherheit des Landes 1898 zu einer völligen Militarisierung des Personals der Eisenbahnen, Posten und Telegraphen geschritten. Nach dem Gesetz vom 17. Juli d. J. steht der Militärverwaltung unter anderm das Recht zu, die Verwaltung der Eisenbahnen zu übernehmen, sobald die Zivil- (Privat-) Verwaltungen den Verkehr nicht mehr aufrecht zu erhalten vermögen. Mehrfache Versuche der Eisenbahnarbeiter, eine Verbesserung ihrer Lage, höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit, durch umfassende Arbeitseinstellungen zu erzwingen, sind fast ausnahmslos an der überlegenen Macht der Verwaltungen und der ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel gescheitert. In der neuesten Zeit haben die Ausstände in Holland und in Australien besonderes Aufsehen erregt. S. auch Eisenbahnbeamtenvereine.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 508.
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