Estienne

[131] Estienne (Etienne, gewöhnlich lat. Stephanus), berühmte franz. Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie, deren namhafteste Glieder folgende sind:

1) Henri I., geb. um 1460 in der Provence aus edler Familie, gest. 1520 in Paris, errichtete 1501 in Paris mit Wolfgang Hopyl eine Druckerei.

2) Robert, Sohn des vorigen, geb. 1503 in Paris, gest. 7. Sept. 1559 in Genf, studierte die alten Sprachen, arbeitete nach dem Tode des Vaters gemeinschaftlich mit seinem Stiefvater Simon de Colines, begründete 1526 eine eigne Druckerei, wurde 1539 von Franz I. zum Typographus regius für das Hebräische, Griechische und Lateinische ernannt und siedelte, um den Angriffen der Theologen wegen seiner Bücher, besonders der Bibel, zu entgehen, 1551 nach Genf über, wo er zur reformierten Kirche übertrat. In seinem Hause wurde schließlich sogar von der Dienerschaft lateinisch gesprochen. Seine Drucke (man zählt 382), welche die Bibel in den verschiedenen Sprachen, griechische und besonders römische Klassiker, meist von ihm selbst mit Vorreden und Noten versehen, Schulbücher etc., aber auch die Schriften der Schweizer Reformatoren umfaßten, wurden wegen ihrer Schönheit und Korrektheit selbst denen seines Sohnes Heinrich vorgezogen. Als Autor ist E. durch den mit Jean Thierry de Beauvais verfaßten »Thesaurus linguae latinae« (Par. 1531, 2 Bde., u. ö.; zuletzt Basel 1740, 4 Bde.) bekannt. Vgl. Crapelet, Robert E., imprimeur royal (Par. 1839).

3) Charles, Bruder des vorigen, geb. 1504 in Paris, gest. daselbst 1564, studierte Medizin, übernahm bei der Übersiedelung Roberts nach Genf dessen Pariser Druckerei, geriet in Schulden und starb im Gefängnis.

4) Henri II., Sohn von E. 2), geb. 1528 in Paris, gest. Anfang März 1598 in Lyon, siedelte 1551 mit dem Vater nach Genf über, edierte seit 1554 selbständige Werke, begründete 1557 eine eigne Druckerei in Genf mit Unterstützung von Huldrich Fugger aus Augsburg, vereinigte aber 1559 dieselbe mit dem Geschäft seines Vaters und lebte nun diesem und den Wissenschaften. Schon 1547–49 und 1556–57 war er in Italien, 1550–51 in England und den spanischen Niederlanden, von Genf aus auch öfters in Frankreich, später besonders in Deutschland, so regelmäßig zur Messe in Frankfurt a. M. Als jedoch der »Thesaurus linguae graecae« einen großen Teil seines Vermögens verbraucht hatte, ein entsprechender Absatz sich nicht fand, weil sein Korrektor Joh. Scapula hinterlistig einen handlichen und billigen Auszug desselben veröffentlicht hatte, noch dazu seine zweite Frau, die treffliche Barbe de Wille, starb (1581), bemächtigte sich seiner mit dem allmählichen Ruin des Geschäfts eine unstete Ruhelosigkeit. Er erkrankte auf einer Reise in Lyon und starb dort im Spital unter Spuren völliger Geisteszerrüttung. E. besaß eine seltene Kenntnis des Griechischen. Seine Ausgaben, darunter nahe an 30 editiones principes, umfassen fast die gesamte griechische Literatur. Ausgezeichnet durch umfangreiche Benutzung von Handschriften und allerdings oft zu weit gehende Konjekturalkritik, sind sie z. T. bis in die neuere Zeit die Grundlage des Textes geblieben. Sein Hauptwerk ist der schon von seinem Vater vorbereitete »Thesaurus linguae graecae« (Genf 1572, 5 Bde.; 2. Ausg., Lond. 1815–25, 8 Bde.; 3. Ausg. von Hase, W. und L. Dindorf, Fix, v. Sinner, Par. 1831–65, 9 Bde.). Auch in seiner Muttersprache zeichnete er sich als eleganter Schriftsteller aus. Vgl. Feugère, Essai sur la vie et les ouvrages de Henri E. (Par. 1853); Clément, Henri E. et son œuvre française (das. 1898).

5) Paul, Sohn des vorigen, geb. 1566 in Genf, gest. um 1627, übernahm 1598 das väterliche Geschäft, mußte aber 1605, politischer Umtriebe verdächtig, aus Genf fliehen.

6) Antoine, ältester Sohn des vorigen, geb. im Juni 1592 in Genf, wirkte seite 1618 als Buchdrucker zu Paris, ward 1623 Buchdrucker des Königs, druckte besonders für die Oratorianer, so den Chrysostomos, die Septuaginta u. a., und starb 1674 verarmt und erblindet im Hotel-Dieu zu Paris. Er ist der letzte berühmte Buchdrucker der Familie; diese selbst starb erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus. Vgl. Renouard, Annales de l'imprimerie des E. (2. Aufl., Par. 1843, 2 Bde.); Dupont, Histoire de l'imprimerie (das. 1854, 2 Bde.); Bernard, Les E. et les types grecs de François I (das. 1856).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 131.
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