Bibel

[813] Bibel (griech. Biblia, »Bücher«; auch die Schrift, Heilige Schrift, Wort Gottes), Name des Religionsbuches der Christenheit. Die B. zerfällt in zwei Teile, gewöhnlich mit abgekürztem Ausdruck das Alte und das Neue Testament genannt, statt des vollständigern und richtigern: Bücher des Alten und des Neuen Testaments. Das Wort Testament ist das beibehaltene lateinische Wort der Vulgata, womit sie das griechische diatheke (Bund, s. d.) übersetzt.

Ordnung und Einteilung der biblischen Bücher.

Bezüglich der Ordnung und Einteilung des sogen. Alten Testaments, d. h. der von dem nachexilischen Judentum als inspirierte Religionsurkunden gefaßten Überreste der althebräischen Literatur, folgt unsre deutsche Lutherbibel der Vulgata (s. d.) und diese wieder der griechischen Übersetzung der Alexandriner (sogen. Septuaginta, s. d.), nur daß hier die Apokryphen, die Luther als Anhang geordnet hat, mitten unter den kanonischen Büchern sich befinden. Während diese Ordnung den Inhalt berücksichtigt, so daß auf die historischen Bücher die poetischen, auf diese die prophetischen folgen, teilten die palästinischen Juden nach Autorität und Zeit der Sammlung ein und unterschieden Thorah (Gesetz), Nebiim (Propheten) und Ketubim (Schriften). Die Thorah sind die fünf Bücher Mosis. Die Propheten zerfallen in die frühern, d. h. die geschichtlichen Bücher, Josua, Richter, Samiel und Könige, und in die spätern, diese wieder in drei große: Jesaias, Jeremias, Ezechiel, und in zwölf kleine. Die Schriften (griech. Hagiographa) teilen sich in die poetischen Bücher: Hiob, Sprüche und Psalmen; die Megilloth-Rollen: Hoheslied, Ruth, Klagelieder, Prediger. Esther, und die übrigen: Daniel, Esra, Nehemia und Chronika. Da man die zwölf kleinen Propheten, ebenso die beiden Bücher der Chronika, auch Esra und Nehemia je als Ein Buch ansah, so zählt der Talmud 24 Bücher, Josephus und die Kirchenväter aber nur 22, weil sie Ruth mit den Richtern, die Klagelieder mit Jeremias verbinden.

Die historischen Bücher des Alten Testaments enthalten nach einer allgemeinen Urgeschichte der Menschheit (1. Mos. 1–11) die Geschichte des hebräischen Volkes bis um die Mitte des 5. Jahrh. v. Chr. Die prophetischen Bücher enthalten die Reden und Gesichte der Propheten vom 8. Jahrh. v. Chr. bis in die Mitte des 5. Jahrh. herab. Die poetischen Bücher repräsentieren lyrische (Psalmen), didaktische (Hiob),[813] gnomische (Sprüche Salomos) und erotische (Hoheslied) Dichtungen. Die Apokryphen (s. d.) des Alten Testaments schließen sich ihrem Inhalt nach an die kanonischen Bücher an, z. B. das Buch Sirach an die Sprüche Salomos. Dagegen artet die Geschichte in ihnen vollends zur eigentlichen Legende aus (so namentlich im zweiten Makkabäerbuch) und wird zur Durchführung lehrhafter Zwecke (wie in den Büchern Tobias und Judith) benutzt.

Der zweite Teil der B., das die ältesten Schriftdenkmäler des Christentums enthaltende Neue Testament, zerfiel ursprünglich in das Evangelienbuch und in das Apostelbuch, woran sich die Apostelgeschichte und die Apokalypse anschlossen. Auch diese Sammlung ist aus historischen, didaktischen Schriften und einer prophetischen Schrift zusammengesetzt. Im Apostelbuch schieden sich die 14 dem Paulus beigelegten Briefe leicht von den sieben Schreiben andrer Apostel, die eine weniger lokal beschränkte Bestimmung hatten und darum gewöhnlich katholische, d. h. allgemeine Briefe genannt wurden.

Die Bücher des Alten Testaments sind in hebräischer, einige Stücke in den Büchern Daniel und Esra in chaldäischer, das Neue Testament ursprünglich und ganz in griechischer (genauer: hellenistischer) Sprache geschrieben. Diese war seit der Bibelübersetzung der Septuaginta auch in den gottesdienstlichen Gebrauch der Juden übergegangen.

Das erste Zeichen von dem Vorhandensein der alttestamentlichen Sammlung ist ihre Erwähnung im Prolog des Jesus Sirach (um 130 v. Chr.); Philo kennt das Alte Testament als ein Ganzes, Josephus nachweisbar auch die jetzigen alttestamentlichen Bücher. Dieselben haben sich aber erst allmählich zusammengefunden. Die jüdische Tradition, wonach unter Esra die »große Synagoge« (s. d.) die Sammlung zustande gebracht haben soll, ist nachweisbar ebenso unhistorisch wie die Sage, daß Esra durch göttliche Eingebung die alttestamentlichen Bücher wiederhergestellt habe. Wohl aber war er an der Redaktion der ältesten der drei Sammlungen beteiligt, d. h. an der Abfassung des Gesetzes, dessen Verlesung an den Sabbaten nach einem feststehenden Lesekreis schon zu Jesu Zeiten als alte Gewohnheit galt. Die Samaritaner kennen noch keine andern heiligen Schriften. Den gottesdienstlichen Gebrauch der Propheten ersehen wir aus Luk. 4,16–21. Man nannte die Lesestücke aus dem Gesetz Paraschen, die aus den Propheten Haphtharen. Die dritte, gemischte Sammlung stand selbst zur neutestamentlichen Zeit noch nicht in allen ihren Teilen fest. Auf alle drei Sammlungen wurden von seiten der Kirchenväter Name und Begriff des Kanon angewendet. S. Kanonische Bücher.

Genauer können wir den Verlauf der Bildung des neutestamentlichen Kanon verfolgen. Die christliche Literatur beginnt mit den Briefen des Apostels Paulus (53–63) und findet ihren Abschluß erst in der ersten Hälfte des 2. Jahrh. Nur sehr allmählich tritt der Gebrauch dieser Bücher in der Kirche hervor und zwar zunächst noch ohne irgend einen Anspruch auf kanonische Autorität. So findet sich auch bis in die zweite Hälfte des 2. Jahrh. herab noch keine Berufung auf neutestamentliche Schriften als beweiskräftige Instanzen, nur namentliche Anführungen einzelner Sentenzen, meist Sprüche Jesu. Zuerst suchten sich die häretischen Sekten für ihre abweichenden Lehrmeinungen eine sichernde Unterlage in einem Kanon zu schaffen. Marcion (um 140) legte sich eine Sammlung an, die aus einem Evangelium (Lukas) und zehn Paulinischen Briefen bestand. Erst im fernern Verlauf des 2. Jahrh. entstehen in den Gemeinden Syriens, Kleinasiens, Nordafrikas, Italiens und Südgalliens Sammlungen apostolischer Schriftwerke, die übereinstimmend die 4 Evangelien, die Apostelgeschichte, die 13 Briefe des Paulus, einen Brief des Petrus und einen des Johannes enthielten. Nur diese Schriften galten dem Eusebios von Cäsarea (s. d.) als »allgemein anerkannt« (Homologumena), während er die übrigen Petrus- und Johannes- sowie die Jakobus- und Judasbriefe unter die widersprochenen Schriften (Antilegomena) stellt, zu denen ihm, wiewohl in untergeordneter Weise, noch die Taten des Paulus, der Hirt des Hermas, die Apokalypse des Petrus, der Brief des Barnabas und die Lehren der Apostel gehören. Am längsten waren zwischen Abendland und Morgenland der Hebräerbrief und die Apokalypse des Johannes streitig; aber um 400 ließ man sich diese endlich auch im Osten, jenen auch im Westen des Reiches gefallen. Augustinus ließ auf seinen Synoden zu Hippo (393) und zu Karthago (397) das Neue Testament in seinem jetzigen Umfang kanonisieren, indem er zugleich dem Alten die Apokryphen einverleibte, und im Verlauf der nächsten Jahrhunderte bestätigten mehrere Päpste, 1000 Jahre später auch das Konzil von Trident diesen Kanon. Bekannt ist Luthers sehr unabhängiges Urteil über einzelne Bücher, wie Esther, die Apokalypse und den Jakobusbrief. Nach seinem Vorgang unterschieden daher die ältern Lutheraner wieder zwischen kanonischen und deuterokanonischen (apokryphischen) Büchern des Neuen Testaments; leider folgten die spätern Theologen den Reformierten, die den katholischen Kanon des Neuen Testaments festhielten, ohne daß er jedoch in den deutschen Bekenntnisschriften so, wie in einigen reformierten geschieht, symbolisch fixiert worden wäre. Während nun im kirchlichen Gebrauch sämtliche Bücher des Alten und Neuen Testaments auf gleich übernatürlicher Höhe (s. Inspiration) nebeneinander stehen, hat seit Semler (»Von der freien Untersuchung des Kanon«, Halle 1771–75) die Wissenschaft mit immer größerm Eifer sich der Erforschung der Zeit und des Ursprunges der biblischen Schriften gewidmet, und man ist allmählich innerhalb der freilich eng gezogenen Grenzen einer nach wissenschaftlicher Methode verfahrenden Theologie zu wirklicher Unbefangenheit bezüglich des historischen Urteils und zu Ergebnissen, die auf vielen Hauptpunkten übereinstimmen, gelangt.

Kapitel- und Verseinteilung gehören erst der Periode des gedruckten Tertes an (16. Jahrh.), wiewohl jene bezüglich des Neuen, diese bezüglich des Alten Testaments schon auf mittalterlicher Grundlage ruht. ‚‚

Textgeschichte. Übersetzungen.

Während es Sache der sogen. höhern Kritik ist, die Entstehungsverhältnisse der einzelnen biblischen Bücher zu untersuchen und letztere aus dem Bann einer rein übernatürlichen Abteilungsweise erlöst in ihrem geschichtlichen Zusammenhange begreifen zu lehren, beschäftigt sich die sogen. niedere Kritik mit den Veränderungen, die der alt- und neutestamentliche Text im Laufe der Zeiten erfahren hat. Das Material für die Feststellung des erstern liefern die Synagogenrollen und Privathandschriften des Mittelalters, auch die ältesten Drucke (seit 1488 und 1494), für die neutestamentlichen tun die z. T. sehr viel ältern griechischen Handschriften und die Zitate der Kirchenväter die gleichen Dienste. Unter den Handschriften des Neuen Testaments sind die wichtigsten der Codex Sinaiticus,[814] den Tischendorf 1844 und 1859 entdeckte und nach Rußland brachte, aus dem 4. oder dem Anfang des 5. Jahrh.; der Codex Vaticanus (4. Jahrh.); der Codex Alexandrinus (5. Jahrh.) u. a. Die ältesten Aus gaben des griechischen Textes sind diejenige in der sogen. Komplutensischen Polyglotte (s. d.) und die des Erasmus (1514 und 1516). Die kritischen Ausgaben eröffnete Mill (Oxf. 1707). In neuester Zeit hat Tischendorf einen vielfach gereinigten Text hergestellt (8. Ausg., Leipz. 1864–72, 2 Bde.; dazu Prolegomena von Gregory, das. 1884–94, 3 Tle.). Ebenbürtig mit ihm arbeiteten in England Tregelles (1857–79) und Westcott und Hort (1881, 2 Bde.), in Deutschland Weiß (Leipz. 1899). In Verbindung mit zahlreichen Gelehrten versucht v. Soden (Berl. 1902 f.) »die Schriften des Neuen Testaments in ihrer ältesten erreichbaren Textgestalt auf Grund ihrer Textgeschichte« herzustellen. Die empfehlenswerteste Handausgabe des Neuen Testaments ist die der Württembergischen Bibelanstalt (3. Aufl., Stuttg. 1901; mit deutscher Übersetzung, 2. Aufl., das. 1901). Für die Erforschung der Urgestalt aller Teile der B. kommen endlich die Übersetzungen, besonders die alten und unmittelbaren, in Betracht. So die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die unter dem Namen Septuaginta (s. d.) weltberühmt geworden ist, und die chaldäische (s. Targum); in Bezug auf das Alte und Neue Testament die syrischen Übersetzungen, besonders die Peschito (s. d.); ferner die lateinischen, deren ältere Gestalt, gewöhnlich Itala genannt, in das 2. Jahrh. hinausreicht, während die spätere, die sogen. Vulgata (s. d.), von Hieronymus herrührt. Auch ägyptische, äthiopische, arabische, persische, armenische, gotische, georgische, slawonische Übersetzungen entstanden; einige derselben sind schon mehr oder weniger mittelbare, d. h. von Septuaginta, Peschito, Itala oder Vulgata abhängige Übersetzungen. Letzteres gilt namentlich von den mancherlei Versuchen des mittelalterlichen Abendlandes. In Deutschland zählt man von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis zur Reformation 18 vollständige Bibeldrucke, 14 in oberdeutscher, 4 in niederdeutscher Mundart (vgl. Walther, Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters, Braunschw. 1889–92, 3 Tle.). Sie alle mußten dem direkt auf die Ursprachen zurückgehenden Meisterwerk Luthers den Platz räumen (Neues Testament 1522, erste ganze B. 1534), die sich bis auf den heutigen Tag im kirchlichen Gebrauch fast unangefochten behauptet hat (revidierte Ausgabe, Halle 1892). Von neuern deutschen Übersetzungen sind zu erwähnen: De Wette (Heidelb. 1809–12, 6 Bde.; 4. Aufl. 1858, 3 Bde.; 1886); Bunsen (fortgeführt von Kamphausen u. Holtzmann, Leipz. 1858–65, 9 Bde.); Textbibel des Alten und Neuen Testaments (in Verbindung mit zahlreichen Fachgelehrten hrsg. von Kautzsch, das Neue Testament in der Übersetzung von Weizsäcker, Tübing. 1899; die Weizsäckersche Übersetzung des Neuen Testaments gesondert in 9. Aufl., das. 1899). Für das Neue Testament kommt weiter die Protestantenbibel (hrsg. von P. W. Schmidt; Neues Testament, Leipz. 1872–73; 3. Aufl. 1879) in Betracht. Über die katholischen Übersetzungen s. Bibelverbot.

Auch in den übrigen europäischen Ländern rief die Reformation Bibelübersetzungen hervor. Die Grundlage der englischen Übersetzungen ist Tindales B. (1526), in ihrer Verbesserung (1539) die »große B.« oder »Cranmers B.« genannt. 1881 wurde eine nach wissenschaftlichen Grundsätzen bearbeitete »Revised version« veröffentlicht. Die französischen Reformierten haben im kirchlichen Gebrauch die Genfer B. von 1551. In Holland ist die kirchliche Übersetzung die im Auftrag der Dordrechter Synode verfaßte »Staatenbibel« von 1637. Durch die Mühwaltung der Bibelgesellschaften (s. d.) liegt gegenwärtig die B. in 108, einzelne Teile in gegen 400 Sprachen vor. Teils ursprachlich, teils übersetzt ist die vollständige B. bisher in etwa 27,000 Ausgaben gedruckt worden, über die das Britische Museum 1893 einen Katalog angefertigt hat. Vgl. Reuß, Die Geschichte der heiligen Schriften Alten Testaments (2. Aufl., Braunschw. 1890) und Neuen Testaments (6. Aufl., das. 1887); Diestel, Geschichte des Alten Testaments in der christlichen Kirche (Jena 1869); Nestle, Einführung in das griechische Neue Testament (2. Aufl., Götting. 1899). Populäre Darstellungen: im traditionellen Sinn Ostertag, Die B. und ihre Geschichte (5. Aufl., Basel 1892), im wissenschaftlichen Geist Zittel, Die Entstehung der B. (5. Aufl., Leipz. 1891); Mehlhorn, Die B., ihr Inhalt und geschichtlicher Boden (5. Aufl., das. 1901). – S. auch die Artikel: »Bibelverbote, Bibelwerke, Biblische Archäologie, Biblische Einleitung, Bilderbibel«. Das Faksimile eines Blattes der 42 zeiligen Gutenberg-Bibel ist dem Artikel »Buchdruckerkunst« beigegeben.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 813-815.
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