Geschäftsordnung

[676] Geschäftsordnung ist die Gesamtheit der Regeln für die geschäftsmäßige Behandlung und Erledigung der vor eine Behörde, Volksvertretung oder Körperschaft gehörigen Angelegenheiten. Es bestehen nicht nur für parlamentarische, sondern auch für andre Versammlungen, Gemeindekollegien, Fraktionen, Vertretungen von Gemeindeverbänden, Richterkollegien etc., Geschäftsordnungen. Nach Analogie der parlamentarischen G. wird vielfach auch anderwärts, z. B. in Volksversammlungen in Ansehung des Vorsitzes, des Schriftführeramts, der Meldung zum Worte, des Schlusses der Verhandlung, der Abstimmung etc., verfahren. Die Geschäftsordnungen der Landtage sind in manchen deutschen Staaten (Bayern, Königreich Sachsen etc.) z. T. durch Gesetz festgestellt, so daß die selbständige Regelung durch die Kammer nur so weit eintritt, als das Gesetz nicht bestimmt. In andern Staaten beruht die G. lediglich auf der Autonomie des Landtags, bez. seiner Kammern, so in Preußen, Württemberg etc. Auch der deutsche Reichstag hat nach der Reichsverfassung (Art. 27) das Recht, seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine G. selbst zu regeln (s. Reichstag). Die Geschäftsordnungen des österreichischen Herrenhauses und Abgeordnetenhauses (vom 25. Jan. 1875 und vom 2. März 1875) beruhen auf dem Gesetz vom 12. Mai 1873. In den Parlamenten, namentlich auch im deutschen Reichstag, bestehen vielfach besondere Geschäftsordnungskommissionen, welche die Ausführung der G. zu überwachen, Bedenken und Anträge, die in Ansehung der geschäftlichen Behandlung von Reichstagsangelegenheiten vorliegen, zu erörtern und nötigenfalls durch Vorberatung für die Beschlußfassung des Hauses vorzubereiten haben. Bemerkungen »zur G.« können in den Sitzungen jederzeit gemacht werden, d. h. das Wort zur G. wird auch außer der Reihenfolge der Redner, die zur Sache gemeldet sind, erteilt. Hierdurch wird zuweilen eine besondere Geschäftsordnungsdebatte veranlaßt, die sich zwischen die Debatte über den eigentlichen Gegenstand der Beratung einschiebt. Vgl. außer den Hand- und Lehrbüchern des Staatsrechts: R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, S. 207ff. (Tübing. 1860) und Kritische Erörterungen über Ordnung und Gewohnheiten des Deutschen Reiches (in der »Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften«, 1875, S. 38ff.); Schleiden, Die Disziplinar- und Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen über ihre Mitglieder (Berl. 1879,2 Hefte); Lingg, Zur G. des österreichischen Reichsrats (Prag 1897); Th. E. May, Treatise upon the law, privileges and proceedings of parliament (10. Aufl. 1893; deutsch von Oppenheim, 3. Aufl., Leipz. 1888); Milesi, La riforma positiva del governo parlamentare (Rom 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 676.
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