Golfstrom

[112] Golfstrom (Floridastrom), eine der am frühesten bekannt gewordenen großen Strömungen der Meere (s. »Meeresströmungen«, mit Karte). Seinen Namen erhielt der G. durch Franklin 1772, während er bis dahin allgemein Floridastrom hieß, weil sein bemerkenswertester Teil längs der Küste von Florida läuft. Schon 1513 durchfuhr Ponce de Leon zum erstenmal den G. vor der Stelle, wo er aus den »Engen«, zwischen Florida und den Bahamainseln, in das offene Meer hinaustritt, aber der eigentliche Entdecker des wahren Golfstroms im offenen Meer ist Alaminos, der Obersteuermann von Ferd. Cortez, der, 1519 von dem G. getragen, in der damals unerhört kurzen Zeit von zwei Monaten von Veracruz nach Spanien gelangte. Die wichtigsten Beiträge zu der jetzigen genauern Kenntnis des Golfstroms lieferten die Arbeiten der Küstenvermessung der Vereinigten Staaten seit 1845. Der Ursprung des Golfstroms ist in letzter Linie in die an der Nordwestküste von Südamerika entlang fließende Guayanaströmung (Südäquatorialströmung) zu verlegen, die mit der von dem Nordostpassat getriebenen Nordäquatorialströmung vereinigt auf die Ketten der Kleinen Antillen zufließt. Ein starker Weststrom tritt somit von Trinidad ab zwischen den Inseln in das Karibische Meer ein. Nicht alles Wasser aber, das der Nordostpassat nach W. getrieben hat, kann in das Karibische Meer eintreten, ein großer Teil desselben fließt außerhalb der Antillenkette, d.h. nördlich davon und nördlich von den Bahamas, nach NW. und vereinigt sich später nördlich von den Florida-Engen mit dem eigentlichen G.; dieser äußere Teil wird die Antillenströmung genannt und ist wichtig, weil ein sehr bedeutender Teil des Wärmevorrats im Nordatlantischen Ozean hiervon, und nicht von dem aus dem Mexikogolf gekommenen warmen Wasser herrührt. Immerhin ist der Golf von Mexiko der Staubehälter, das Reservoir des Golfstroms; in dieses Meeresbecken fließt das Wasser des Karibischen Meeres durch die Yucatanstraße, die bis zu 2000 m tief ist. Der Mexikogolf hat keine deutlichen Strömungen; erst auf der Höhe von Havanna oder nur wenig westlich davon wird der G. mit etwa 70 Seemeilen Breite und zwei Knoten Geschwindigkeit bemerkbar. Der Strom tritt nun in einen engern Kanal, nimmt an Geschwindigkeit zu und geht nach N. auf die Engen von Bemini zu. Daselbst hat der G. an der schmalsten Stelle (Fowey Rocks-Gun Cay) nach den neuesten Aufnahmen durch Pillsbury eine Breite von etwa 40 km, eine mittlere Mächtigkeit von 320 m[112] und im stärksten Stromstrich in den verschiedenen Tiefen folgende mittlere Geschwindigkeiten:

Tabelle

Diese Oberflächengeschwindigkeit erreicht der Rhein nur bei Hochwasser. Der G. reicht bis auf den Grund in der Floridastraße, da der Grund hart und frei von den seinen Sinkstoffen des stillen Wassers ist. Pillsbury glaubt ferner bestimmt eine monatliche Variation der Lage der Achse des Golfstroms und eine tägliche Periode der Geschwindigkeit des Golfstroms, die von der Deklination des Mondes abhängig sind, festgestellt zu haben; auch die Luftdruck- und Windverhältnisse im Merikogolf und im Atlantischen Ozean sind von Einfluß. Die geringe Breite von etwa 70 km behält der G. bis zum Kap Cañaveral bei; bei Charleston (32° nördl. Br.) ist er schon 150, bei Kap Lookout schon 200 und dem Kap Hatteras gegenüber (35° nördl. Br.) schon 250 km breit, hat aber an Mächtigkeit und Schnelligkeit erheblich eingebüßt. Seine Richtung wird nordöstlich und immer östlicher unter dem Einfluß der Erddrehung um ihre Achse und besonders unter der Wirkung der vorherrschenden Westwinde, in deren Bereich er von etwa 40° nördl. Br. ab gelangt; seine Geschwindigkeit zwischen der Gegend von New York und den Neufundlandbänken, deren Südkante er im Sommer streift, ist durchschnittlich höchstens noch 2,5 km in der Stunde. Übrigens berührt der G. nördlich von Kap Hatteras die amerikanische Küste nicht mehr selbst, vielmehr schiebt sich dort zwischen Küste und G. der sogen. kalte Wall, d.h. kaltes, aus der Tiefe aufquellendes oder auch in langsamer, nach SW. gerichteter Oberflächenströmung aus dem St. Lorenzgolf gekommenes Wasser.

An der Ostkante der Neufundlandbank begegnet der G. an seiner nördlichen Grenze und an der Oberfläche dem kalten Polarstrom (Labradorstrom), dessen Ursprung in der Baffinbai zu suchen ist. Die Grenzlinie zwischen diesen beiden großen ozeanischen Strömungen verschiebt sich mit den Jahreszeiten. Im Winter, von September bis März, drängt der kalte Polarstrom den warmen G. nach S. zurück, im Sommer dagegen, von März bis September, gewinnt der G. das Übergewicht und rückt weiter nach N. vor. Die Neufundlandbänke verdanken dem Begegnen dieser beiden Ströme vielleicht z. T. ihre Entstehung, da die von N. hergeführten Eisberge beim Eintritt in die warmen Gewässer des Golfstroms schnell schmelzen und die Gesteinstrümmer, die sie tragen, in das Meer sinken lassen. Halbwegs zwischen Amerika und Europa, etwa östlich vom 40. Meridian westl. L., hört der G. als deutlich erkennbare Strömung auf; er macht sich aber noch durch seine vergleichsweise hohe Temperatur als Golfstromdrift (s. Atlantischer Ozean, S. 46) bemerkbar. Der erwärmende Einfluß dieser Drift ist bis an die Küsten von Norwegen und Spitzbergen über allen Zweifel festgestellt.

Nachstehende Tabelle zeigt die Verteilung der Wärme an der Oberfläche des Golfstroms für alle Jahreszeiten an einigen seiner Hauptstellen:

Tabelle

Der thermische Gegensatz zwischen dem G. und dem oben erwähnten »kalten Wall« ist meist sehr bedeutend; auf der Höhe von Sandy Hook hat man im Sommer gefunden:

Tabelle

Die Grenze zwischen dem Wasser des »kalten Walles« oder auch der Labradorströmung und anderseits dem G. kann äußerst scharf sein; so beobachtete Admiral Milne auf dem Schiffe Nile bei einer Fahrt von Halifax nach Bermuda im Mai 1861 am Vorderteil des Schiffes eine Temperatur von 21° und am Hinterteil von 4,5°, also eine Differenz von 16,5° innerhalb der Distanz einer Schiffslänge. Dagegen gehen die Temperaturen an der Ost- und Südkante des Golfstroms allmählich in die des Atlantischen Ozeans über.

Sehr bemerkenswert ist die Spaltung des Golfstroms in abwechselnde Streifen oder Bündel von kaltem und warmem Wasser. Sie werden deutlich wahrnehmbar, sobald der G. bei Kap Hatteras in tiefes Wasser eintritt. Während die linke Seite dann noch auf dem flachen Wasser festgehalten wird, strebt der Strom, vermöge der Rotation der Erde, sich nach rechts auszudehnen und zerreißt allmählich, während zugleich bei der Zunahme der Tiefe kaltes Wasser aus den größern Meerestiefen nach oben gesaugt wird und später dem Laufe des Stromes folgt; doch sind diese Wärmeunterschiede zwischen den »Warmwasser- und Kaltwasserstreifen« innerhalb des Golfstroms meist sehr unbedeutend (1–2°) und nicht zu verwechseln mit dem kalten Küstenwasser.

Die Farbe des Golfstroms ist vom Golf von Mexiko bis zu den Küsten von Carolina indigoblau, und die Grenze zwischen der Farbe des gewöhnlichen Wassers des Atlantischen Ozeans und der des Golfstroms ist oft so deutlich gezeichnet, daß man sie mit dem Auge verfolgen kann. Auch in seinem weitern nördlichen und östlichen Verlauf hebt sich der G. durch seine blaue Farbe von den nördlich angrenzenden grünen Wasserstreifen des »kalten Walles« und des Labradorstroms merklich ab. Diese blaue Färbung hängt wohl kaum mit dem größern Salzgehalt des Wassers des Golfstroms zusammen, wie man früher annahm, sondern sie ist eine Folge der größern Durchsichtigkeit des warmen Wassers. Die verschieden große Durchsichtigkeit aber ist wieder bedingt durch den Gehalt an anorganischen und organischen Beimengungen; das kalte grüne Wasser ist reich an Plankton (s. d.), das warme ist daran arm. Vgl. Kohl, Geschichte des Golfstroms und seiner Erforschung (Brem. 1868); Petermann in den »Geographischen Mitteilungen« 1870, S. 201–244; »Report of the U. S. Coast Survey« (1866); Thomson, The Atlantic (Lond. 1877, 2 Bde.); Carpenter in den »Proceedings of the R. Geogr. Society«, Bd. 18, S. 393–407 (1874); Bartlett in den »Proceedings of the U. S. Nav. Inst.«, Bd. 7; P. Hoffmann, Zur Mechanik der Meeresströmungen an der Oberfläche der Ozeane (Berl. 1884); Pillsbury in »U. S. Coast Survey« Report, App. 10 (Washingt. 1891).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 112-113.
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