Harnsäure

[823] Harnsäure (Blasensteinsäure) C5H4N4O3 oder

Tabelle

wird als Diureïd der Trioxyakrylsäure aufgefaßt, sie enthält nach Fischer gleich den ihr nahestehenden Nukleïn- oder Xanthinbasen einen Atomkomplex C5H4, den Purinkern, und ist Trioxypurin. H. findet sich frei oder an Basen gebunden im Harn besonders der Reptilien und Vögel (daher im Guano), im Harn des Menschen, der fleischfressenden Säugetiere und der noch saugenden Kälber, im Harn und in den Nieren[823] vieler Insekten und Spinnen, ferner in Nieren- und Harnsteinen, Gichtknoten, spurenweise in tierischen Geweben und pathologisch im Blute des Menschen. Synthetisch kann sie aus Harnstoff und Glykokoll oder Trichlormilchsäure erhalten werden. Dargestellt wird H. aus Guano oder Schlangenexkrementen. Sie bildet ein farb-, geruch- und geschmackloses kristallinisches Pulver, löst sich sehr schwer in Wasser, leichter in Lösungen von Salzen wie Natriumphosphat, Borax etc., nicht in Alkohol und Äther, leicht in konzentrierter Schwefelsäure (und daraus durch Wasser unverändert fällbar), reagiert sauer und gibt bei Einwirkung chemischer Agenzien zahlreiche Umwandlungsprodukte. Beim Erhitzen zersetzt sie sich in Ammoniak, Kohlensäure, Harnstoff und Cyanursäure, mit Salpetersäure liefert sie Harnstoff und Alloxan. Letzteres gibt mit Ammoniak Murexid, und wenn man daher eine kleine Menge H. mit einigen Tropfen Salpetersäure befeuchtet und erhitzt, so färbt sich der trockne Rückstand mit Ammoniak purpurrot (Murexidreaktion), mit Kaliumpermanganat bildet H. Allantoin, und durch Reduktionsprozesse kann sie in Xanthin, Guanin, Hypoxanthin und Adenin übergeführt werden. Aus methylierten Harnsäuren kann durch einfache Reaktionen Kaffeïn erhalten werden. Die H. bildet zwei Reihen von Salzen (Urate), von denen die sauren, bei denen nur 1 Atom H der H. durch Metall vertreten ist, in kaltem Wasser schwer (das Kalisalz löst sich bei 20° in 800 Teilen Wasser), in heißem leichter löslich sind, sich oft beim Erkalten des Harns ausscheiden und die sogen. Harnsedimente (s. d.) bilden, die meist durch Harnfarbstoff rosarot bis ziegelrot gefärbt sind. Am häufigsten werden harnsaures Kali und harnsaures Natron abgeschieden. Aus einer Lösung der neutralen Salze fällt Kohlensäure saure Salze. Saures harnsaures Ammoniak C5H3N4O3.NH4 ist der Hauptbestandteil der Schlangenexkremente, findet sich aber auch in Sedimenten des Harns bei alkalischer Gärung. Saurer harnsaurer Kalk (C5H4N4O3)2Ca findet sich in Harnsteinen, Harnsedimenten, besonders in Gichtknoten. Saures harnsaures Lithium löst sich bei 19° schon in 368 Teilen Wasser, das Piperazinsalz in 50 Teilen bei 17°, und deshalb benutzt man lithiumhaltige Mineralwässer und Piperazin, um gichtische Ablagerungen von Harnsäuresalzen zu lösen. H. entsteht im Organismus aus den Nukleïnen, den Zellkernstoffen, die besonders reichlich im Fleisch vorhanden sind. Deshalb wird bei Milchdiät und vegetabilischer Kost weniger H. gebildet. Abgesehen von dem zu Harnstoff oxydierten Teil der Nukleinkörper der Nahrung entsteht bei gesteigerter Oxydationskraft des Organismus mehr H., während bei herabgesetzter mehr Basen gebildet werden. Die Harnsäurebildung ist aber auch abhängig vom Zerfall der Zellen im Körper, sie entsteht daher hauptsächlich in der Milz aus den Kernen der hier zugrunde gehenden weißen Blutkörperchen, und bei Leukämie findet besonders reichliche Harnsäurebildung statt. Normal entleert der Mensch 0,4–0,8 g H. an einem Tage, bei sehr reichlicher Fleischkost bis 1,5 g, mehr bei akuten fieberhaften Krankheiten und bis 4 g bei Leukämie. Bei Gicht wird die Ausscheidung der H. verzögert, so daß sich Harnsäuresedimente in den Gelenken bilden. Im Harn bilden sich Sedimente, wenn der Harn sehr konzentriert ist, bei fieberhaften Erkrankungen, bei Verdauungsstörungen, Gelenkrheumatismus etc. Ausscheidungen von H. im Körper bilden die Nierensteine, Niereninfarkte der Neugebornen, Blasensteine und die Ablagerungen in verschiedenen Geweben, besonders in den Gelenkknorpeln bei der Gicht. Ein Teil der im Körper gebildeten H. wird weiter zu Harnstoff oxydiert. Technisch benutzt man die H. zur Darstellung von Murexid, das aber durch die Anilinfarben in den Hintergrund gedrängt ist. H. wurde 1776 von Scheele zuerst dargestellt. Vgl. Minkowski, Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie der H. bei Säugetieren (Leipz. 1898); Schreiber, Über die H. unter physiologischen und pathologischen Bedingungen (Stuttg. 1899); Haig, H. als ein Faktor bei der Entstehung von Krankheiten (deutsch von Bircher-Benner, Berl. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 823-824.
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