Kapitalisierung

[590] Kapitalisierung, die Umrechnung von zeitlich begrenzten oder ewigen Renten in eine auf einmal fällige Summe. Bei ewigen Renten geschieht sie in der Weise, daß der Rentenbetrag mit einem dem Zinsfuß entsprechenden Kapitalisierungfaktor multipliziert wird, z. B. mit 25 oder 331/3, wenn der Zinsfuß 4 oder 3 Proz. beträgt. Doch kapitalisiert man auf diese Weise nicht allein Leibzinsen und feste Geldrenten, sondern auch Erträge von Grund und Boden, Häusern etc. Die durch Rechnung gefundene Summe stellt dann die Kapitalgröße dar, zu welcher der die Rente abwerfende Gegenstand zu veranschlagen ist. Unter K. oder Kapitalisation versteht man häufig auch den Prozeß privatwirtschaftlicher Kapitalbildung. Eine solche K. schließt den Begriff des Sparens auch vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus in sich. Denn es wird der Produktion eine solche Richtung gegeben, daß im ganzen weniger Genußmittel erzeugt und weniger persönliche Dienstleistungen während der Kapitalbildung verrichtet werden, als ohne die letztere möglich sein würde. Der Kapitalbesitz, insbes. der private Kapitalbesitz, kann sich vergrößern durch produktive Tätigkeit seines Inhabers, ebenso aber auch ohne eine solche durch günstige Gestaltung der Konjunkturen. Die private K. erfolgt entweder durch[590] Fixierung oder durch Umwandlung in Geld und bei genügend entwickeltem Kreditsystem in zinstragende Forderungsrechte. Sie bewirkt freilich im letztern Fall nur dann eine Mehrung des volkswirtschaftlichen Kapitals, wenn der Schuldner die ihm überlieferten ökonomischen Machtmittel wirtschaftlich als Kapital verwendet. Dies ist aber, da heute der Produktivkredit den Konsumtivkredit überwiegt, meist der Fall. Insofern kann man sagen, daß die genannte Art der K. nicht allein die Wirkung privaten Sparens ist, indem auf Genüsse, die augenblicklich hätten erzielt werden können, zugunsten eines zukünftigen Konsums oder auch im Interesse einer Erhöhung der ökonomischen Machtstellung verzichtet wurde, sondern daß sie auch eine Vergrößerung des volkswirtschaftlichen Kapitals zur Folge hat. Aus diesem Grund ist die kapitalbildende Ersparung von großer Wichtigkeit für den Einzelnen wie auch für die Gesamtheit. Der Trieb zum Sparen ist bedingt durch die Möglichkeit einer vorteilhaften Anlegung des Ersparten (Kassen, gesunder Kredit), durch die Gewißheit, seinen Zweck zu erreichen (Rechtssicherheit), durch die Notwendigkeit, späterer Not vorzubeugen (Familie), durch den Stand der intellektuellen und moralischen Bildung, Volkscharakter, Sitte, religiöse Anschauungen, Familiensinn, Verantwortlichkeitsgefühl etc. Vgl. die Literatur bei Artikel »Kapital«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 590-591.
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