Kapitalismus

[591] Kapitalismus, zumeist Bezeichnung für die kapitalistische Produktionsweise gegenüber der sozialistischen und kollektivistischen. Man versteht darunter jene Produktionsweise, die unter der Herrschaft und Leitung des Eigentümers des Kapitals, des Kapitalisten, vor sich geht. In der Tat bildet heute die Verfügung über ein ausreichendes Kapital eine unentbehrliche Bedingung für eine erfolgreiche Produktion und verschafft den Inhabern des Kapitals eine erhebliche Überlegenheit über die besitzlosen Arbeiter. Der kapitalbesitzende Unternehmer bestimmt Umfang und Richtung der Produktion, leitet und überwacht die Ausführung, stellt die Arbeiter an und entläßt sie. Er wird so ohne unmittelbare Arbeitsleistung zunächst Eigentümer des ganzen Produkts, während er die Arbeiter mit dem Arbeitslohn abfindet. Die Arbeiter erhalten also nicht das volle Produkt, sondern müssen den größern Teil desselben an den kapitalistischen Unternehmer abgeben. Dagegen richten sich hauptsächlich die Anklagen, die von seiten des Sozialismus gegen die »kapitalistische Produktionsordnung« erhoben werden. Man weist auch auf die sonstigen zahlreichen Unvollkommenheiten und Übelstände des K. hin, auf die durch die vielen Sonderinteressen der Kapitalisten hervorgerufene Planlosigkeit der Produktion, die Überproduktion und Krisen mit all ihren schädlichen Folgen begünstige. Namentlich Karl Marx hat den Nachweis zu erbringen gesucht, daß die kapitalistische Produktionsweise nicht das Endziel der wirtschaftlichen Entwickelung, sondern nur eine Stufe derselben sein könne, die über kurz oder lang durch eine sozialistische oder kommunistische ersetzt werden müsse. Daß der K. auch schlimme Seiten aufweist, kann nicht geleugnet werden, aber ebenso gewiß ist, daß die freie Betätigung persönlicher Kräfte und Interessen, die einen Grundzug des K. bilden, auch ihre vorteilhaften Seiten hat, und daß der kapitalistische Unternehmer, indem er das Risiko der Produktion auf sich nimmt, eine wichtige Funktion in der Staatswirtschaft ausübt. Namentlich ist es in hohem Maße fraglich, ob eine andre, etwa sozialistische Organisation eine gleiche Steigerung der Produktivkräfte zu bewirken vermöchte. – Das Wort K. wird übrigens auch gebraucht, um die Herrschaft der Geldinteressen zu bezeichnen (s. Geldherrschaft). So spricht man z. B. von K. in der Gelehrtenwelt. Vgl. Jentsch, Weder Kommunismus noch K. (Leipz. 1894); Sombart, Der moderne K. (das. 1902, 2 Bde.); Strieder, Zur Genesis des modernen K. (das. 1904), und Literatur bei Artikel »Kapital«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 591.
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