[588] Genußmittel (hierzu Tafel »Genußmittelpflanzen« mit Text), soviel wie Nahrungsmittel, dann speziell Produkte des Pflanzen- und Tierreichs sowie aus ihnen dargestellte Substanzen, die nicht, wie die eigentlichen Nahrungsmittel, zum direkten Ersatz der durch den Stoffwechsel verbrauchten Körpersubstanz, sondern des Wohlgeschmacks halber oder zur Erzielung einer bestimmten Wirkung auf das Nervensystem genossen oder benutzt werden. Die Nahrungsmittel enthalten in mehr oder minder ähnlicher Form die Stoffe, aus denen unser Körper besteht, und durch den Verdauungs- und Ernährungsprozeß werden diese Stoffe in Körperbestandteile umgewandelt. Der Wert der Nahrungsmittel bemißt sich mithin in erster Linie nach dem Gehalt an Bestandteilen, welche dieser Umwandlung fähig sind (vgl. Ernährung). Zu den meisten Speisen fügt die Kochkunst aber Würzen hinzu, und zu diesen kann man auch den Zucker zählen, der selbst ein Nahrungsstoff ist, und mehr noch Kochsalz und Säuren, die dem Verdauungs- und Ernährungsprozeß mehr oder minder zugänglich sind. Dagegen sind die Gewürze ausschließliche G. Als G. im engern Sinne bezeichnet man aber Substanzen, die nicht den Speisen zugesetzt, sondern selbst zu besondern Speisen oder Getränken zubereitet oder in andrer Form genossen werden. Die Gewürze wirken meist durch ätherische Ole oder Harze, die eigentlichen G. dagegen enthalten in der Regel narkotisch wirkende Stoffe, und es ist sehr merkwürdig, daß der Mensch in den verschiedensten Ländern eine Reihe sehr verschiedener Pflanzenteile als narkotische G. benutzt, die ein und denselben wirksamen Stoff, das Kaffeïn oder das ähnliche Theobromin, enthalten, nämlich Kaffee, Tee, Paraguaytee, Guarana, Kolanuß und Kakao. Das arabische Kath und die Kokablätter enthalten dagegen kein Kaffeïn. Diese G. sind sich in der Wirkung wohl ziemlich ähnlich, und auch die Betelnuß mit dem Betelpfeffer sind zu dieser Gruppe zu rechnen, während indischer Hanf, Opium und Fliegenschwamm als Berauschungsmittel wirken und der Tabak gleichsam den Übergang von der einen Gruppe zur andern bildet. Eine dritte Gruppe stellen die geistigen Getränke dar, deren wirksamer Bestandteil hauptsächlich der Alkohol ist, zu deren Bereitung indes bisweilen auch narkotische G., wie Hopfen, in Anwendung kommen.[588] Der Wert der G., besonders derjenigen, die den Speisen zugesetzt werden, beruht zum großen Teil darauf, daß sie zur Aufnahme der Nahrungsmittel einladen und die Absonderung der Verdauungssäfte anregen. Bei längerm Gebrauch ein und desselben Genußmittels stumpft sich aber dessen Wirkung ungemein ab. Sollen deshalb G. in vorteilhafter Weise wirken, so ist weiser Gebrauch und Wechsel geboten, namentlich auch von seiten der weniger bemittelten Volksklassen. Die Nichtbenutzung von Gewürzen bei einer nur aus wenigen Gerichten bestehenden eintönigen Kost führt zu schlechter Ernährung und läßt Gelüste nach andern Genußmitteln, besonders nach alkoholischen Getränken, entstehen. Die narkotischen G. befähigen den Körper, bei anhaltenden Strapazen und ungenügender Nahrungszufuhr, z. B. im Felde, das Gefühl des Hungers zeitweise zu unterdrücken und die Leistungsfähigkeit zu erhöhen; sie führen zur Erhöhung des Kraftgefühls. Man hat sie nicht mit Unrecht mit der Wirkung der Peitsche verglichen, die das Pferd zu größerer Leistung anregt. Der Verbrauch unsrer wichtigsten G., des Kaffees, des Tees und des Kakaos, hat sich in neuester Zeit sehr stark gehoben. Es betrug im deutschen Zollgebiet auf den Kopf der Bevölkerung der Verbrauch (in Kilogramm) an
Die Pflanzen, welche die eigentlichen G. liefern, gehören verschiedenen Pflanzenfamilien an. Der Weinstock (Vitis vinivera) gehört zu den Ampelidazeen. *Hopfen (Humulus lupulus) und Hanf (Cannabis indica) gehören zur Familie der Morazeen. *Kaffee (Coffea arabica) gehört zu den Rubiazeen, *Tee (Thea spec.) zu den Theazeen, der *Paraguaytee (Ilex paraguayensis) zu den Aquifoliazeen, die Guarana (Paullinia sorbilis) zu den Sapindazeen, die *Kolanuß (Cola acuminata) und der *Kakao (Theobroma Cacao) zu den Sterkuliazeen, der *Kokastrauch (Erythroxylon Coca) zu den Erythroxylazeen, Kath (Celastrus edulis) zu den Celastrazeen, *Betelnuß (Areca Catechu) zu den Palmen, Mohn, welcher das Opium liefert (Papaver somniferum), zu den Papaverazeen, *Tabak (Nicotiana spec.) zu den Solanazeen und der Fliegenschwamm (Agaricus muscarius) zu den Pilzen. (Die oben mit *bezeichneten Genußmittelpflanzen sind auf beifolgender Tafel abgebildet und beschrieben.) Vgl. Bibra, Die narkotischen G. und der Mensch (Nürnb. 1855); Moleschott, Physiologie der Nahrungsmittel (2. Aufl., Gießen 1859); Reich, Nahrungs- und Genußmittelkunde (Götting. 186061, 2 Bde.); Wittstein, Taschenbuch der Nahrungs- und Genußmittellehre (Nördling. 1878); König, Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genußmittel (4. Aufl., Berl. 1903 bis 1904, 3 Bde.). Die Fälschung von Genußmitteln ist wie die von Nahrungsmitteln (s.d.) mit besonderer Strafe bedroht; die Entwendung von Genußmitteln kann unter Umständen als sogen. Mundraub (s. Diebstahl) erscheinen.