[751] Krüppel, ein anormaler Mensch, dessen Gebrechen letztlich in Stellungs- und Gestaltsabweichung des Knochengerüstes besteht. Die meisten K. verkamen früher völlig durch Nichtausbildung und Nichtgebrauch ihrer geringen Kräfte, Verbitterung und Versumpfung, bei schlechter Behandlung oder zuweilen Verzärtelung, nicht selten auch dadurch, daß sie aus ihrem Elend eine Erwerbsquelle machten in Jahrmarktsbuden etc. Erst spät begann die systematische Fürsorge für K. Johann Edler v. Kurz in München begründete die zeitlich erste Krüppelfürsorgeanstalt in München 1832, Pastor Knudsen in Kopenhagen die sachlich höchststehende und zugleich die, welche am meisten Propaganda für die Sache gemacht, 1872 in Kopenhagen. In Deutschland bestehen jetzt reichlich 20 Anstalten mit über 1600 Plätzen: München (1832), Stuttgart, Ludwigsburg, Nowawes bei Potsdam (1886), Obersontheim (Württemberg), Reichenberg (Württemberg), Reutlingen, Cracau bei Magdeburg (1899), Kirchrode bei Hannover, Ketschendorf bei Fürstenwalde, Kreuznach, Dresden, Niederlößnitz, Stettin, Angerburg, Stellingen bei Altona, Rothenburg (Schlesien), Alt-Colziglow (Pommern), Bischofswerder (Westpreußen), Rostock, Marklissa, Blankenburg (Thüringen). Außer Deutschland ist die Fürsorge in den skandinavischen Ländern am besten und vielfach vorbildlich entwickelt. Alle deutschen haben sich zu einer zweijährigen Wanderkonferenz seit 1901 verbunden. Eine Krüppelanstalt hat eine dreifache Aufgabe: 1) Heilung oder Besserung der leiblichen Gebrechen durch Orthopädie, Chirurgie, Massage, Turnen, Hygiene, Bandagen, Protesen, Pflege. 2) Leibliche und geistige Erziehung nach den Grundsätzen der Pädagogik und Didaktik in ihrer Anwendung auf die besondern Verhältnisse. Dahin gehört vorbereitender Arbeits- und Handfertigkeitsunterricht schon während der Schuljahre. 3) Arbeitserlernung zum spätern Broterwerb. Solche Arbeiten sind für weibliche Zöglinge: Kleidermachen, Weißnähen, Putzmachen, Stricken etc. und häusliche Verrichtungen; für die männlichen: Schneiderei, Schuhmacherei, Schlosserei, Bandagenarbeit, Tischlerei, Buchbinderei; auch Ausbildung für Bureaus; daneben werden viele kleinere Arbeiten gelernt, als Stuhlflechten, Bürstenmachen etc., möglichst solche Arbeiten, die mehr Geschick als Kraft erfordern. Die Anstalten sind also Erziehungs- und Ausbildungsstätten, nicht Siechenhäuser, in denen die Gebrechlichen zeitlebens verpflegt werden. Nach einer begründeten Schätzung gibt es gegenwärtig in Deutschland unter 57 Mill. Einw. 320,000 K., darunter 67,000 Kinder. Von ihnen erhalten Tausende keinen Unterricht und reisen zum Proletariat heran. Daraus ist ersichtlich, wieviel für diese Unglücklichen getan werden muß. Es gibt nur eine Staatsanstalt[751] (München), die übrigen sind Privat-, resp. meist Vereinsanstalten. Ob ihre Verstaatlichung zu erstreben ist, mag zweifelhaft sein, aber neben der Neugründung einiger ist der Ausbau der meisten notwendig, wozu staatliche Zuschüsse gegeben werden sollten. Damit hat man in Skandinavien die besten Resultate erzielt. Auch sollte man, wie bei den Blinden, Taubstummen, Idioten und Epileptischen, die öffentliche Versorgungs-, resp. Erziehungspflicht gesetzlich festlegen. Die meisten Anstalten werden durch die Kostgelder (ca. 400 Mk. im Jahr) sowie durch Liebesgaben erhalten. Besondere Anstalten für die Ausbildung Erwachsener sollten begründet werden, denn die gemeinsame Ausbildung von Kindern und Erwachsenen in denselben Anstalten unterliegt gewichtigen Bedenken. Auch besondere Siechenabteilungen sollten den Krüppelheimen für Kinder und für Erwachsene angegliedert werden. Vgl. Vulpius, Das Krüppelheim (Heidelb. 1902); Zabel, Mecklenburgs Krüppelfürsorge (Rostock 1903); Krukenburg, Über Anstaltsfürsorge für K. (Langensalza 1903); Kägi, Zur Krüppelpflege (Basel 1903); Rosenfeld, Krüppelschulen (Nürnb. 1904); »Jahrbuch der Krüppelfürsorge« (hrsg. von Schäfer, Hamb., seit 1900).