[236] Potsdam (hierzu Karte der »Umgebung von Potsdam«), Hauptstadt der preuß. Provinz Brandenburg sowie des gleichnamigen Regierungsbezirks, Stadtkreis und zweite königliche Residenz, liegt rechts an der Havel, in die hier die Nuthe einmündet, auf dem Potsdamer Werder, einer Insel, die durch die Havel, einen Kanal und verschiedene Seen gebildet wird, 34 m ü. M. P. ist sehr regelmäßig gebaut und besteht aus der Alt- und Neustadt, zu der auch der Kiez, die Friedrichsstadt und das Holländische Revier gehören, und fünf Vorstädten, der Berliner, Nauener, Brandenburger, Jäger- und Teltower Vorstadt, welch letztere, auf dem linken Havelufer gelegen, mit der übrigen Stadt durch die 196 m lange Lange Brücke verbunden ist, auf der das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. aufgestellt ist.
Hauptplätze sind: der Wilhelmsplatz mit dem von Kiß entworfenen Denkmal Friedrich Wilhelms III., der Bassinplatz mit der katholischen und französischen Kirche, die Plantage mit dem Denkmal König Friedrichs II., der Alte Markt mit einem 24 m hohen Obelisk von Marmor und der Luisenplatz vor dem Brandenburger Tor mit dem Denkmal Kaiser Friedrichs III. Der Lustgarten, aus Paradeplatz und Park bestehend, ist mit 14 Büsten berühmter preußischer Feldherren aus dem Befreiungskrieg, 12 Marmorstatuen und 8 Kanonen aus verschiedenen Zeitaltern geziert. An gottesdienstlichen Gebäuden hat die Stadt 6 evangelische, eine römisch- und eine griechisch-kath. Kirche sowie eine Synagoge. Darunter sind besonders bemerkenswert: die Garnisonkirche (173036 erbaut) mit 88 m hohem Turm und der Gruft Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II.; die von Schinkel und Persius 183037 erbaute Nikolaikirche mit einer Kuppel; die Heiligegeistkirche (1728 erbaut) mit 90 m hohem Turm; die französisch-reformierte Kirche, nach dem Muster des Pantheons in Rom erbaut; die Friedenskirche (184550 im Stil einer altchristlichen Basilika erbaut) mit der Grabstätte König Friedrich Wilhelms IV., daneben das Mausoleum Kaiser Friedrichs III. und seiner Gemahlin (1890 von Raschdorff erbaut); endlich die römisch-kath. Kirche. An sonstigen Bauwerken sind hervorzuheben: das königliche Schloß (16671701 erbaut) mit Park, worin sich die Standbilder König Friedrich Wilhelms I., des Kaisers Alexander I. von Rußland, der Generale Blücher, Gneisenau, Kleist und Tauentzien befinden; das Rathaus (1753 nach dem Muster des Amsterdamer erbaut); das Exerzierhaus mit schönem Portal; das Militärwaisenhaus, ein kolossales Gebäude mit 130 m langer Front und 48 m hohem Turm mit Kuppel; das 1770 nach dem Muster des Trajanschen Triumphbogens in Rom erbaute Brandenburger Tor; das Kasinogebäude, von Schinkel in altgriechischem Stil ausgeführt; das Schauspielhaus, die Hauptwache etc. Die Zahl der Einwohner belief sich 1905 mit der Garnison (1. Garderegiment zu Fuß, das Gardejägerbataillon, das Lehrinfanteriebataillon, das Regiment Gardedukorps, das Leibgardehusarenregiment, zwei Gardeulanenregimenter, Nr. 1 und 3, zwei Gardefeldartillerieregimenter, Nr. 2 und 4, eine Gardemaschinengewehrabteilung Nr. 1 und die Leibgendarmerie) auf 61,414 Seelen, davon 55,235 Evangelische, 5427 Katholiken und 407 Juden. Die industrielle Tätigkeit ist nicht von Belang. P. hat Bronzewaren-, Möbel-, Konserven- und Motorfahrzeugfabrikation, 2 Dachpappenfabriken, eine Wachstuch- und eine Salmiakgeistfabrik, ferner Fabrikation von Seidenzeugen, Chemikalien, optischen Instrumenten, Zinkgußgegenständen, Sätteln und Geschirren, Dampfmahl- und -Sägemühlen, Spritfabriken, Bierbrauerei etc. Auch werden Schiffahrt und Fischerei sowie Gärtnerei und Blumenzucht in ausgedehnter Weise betrieben. Der Handel, unterstützt durch eine Reichsbanknebenstelle und andre Geldinstitute, ist nur von Belang in Zucker, Mehl, Getreide, Holz etc., auch ist P. Sitz der Deutschen Lebens-, Pensions- und Rentenversicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit. Dem Verkehr in der Stadt dient eine Straßenbahn. Dem Eisenbahnverkehr dienen die Staatsbahnlinien Berlin-P. (Wannseebahn) und Berlin-Magdeburg. An Bildungsanstalten und ähnlichen Instituten hat P. ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, eine Kriegsschule, eine Unteroffizierschule, ein Kadettenhaus, eine Haushaltungs-, Handels- und Gewerbeschule, eine Handelslehranstalt, ein Technikum, eine Präparandenanstalt, ein Militär- und ein Zivilwaisenhaus, eine Idiotenanstalt, eine Heilanstalt für Epileptische etc. Die Stadt ist Sitz des Oberpräsidiums der Provinz Brandenburg, einer königlichen Regierung, der preußischen Oberrechnungskammer, des Rechnungshofs für das Deutsche Reich, einer Oberpostdirektion, eines Hauptsteueramts, eines Landgerichts, einer königlichen Polizeidirektion, einer Oberförsterei etc., ferner einer [236] Kommandantur, des Kommandos der 1. Gardeinfanterie-, der 2. und 4. Gardekavallerie- und der 2. Gardefeldartilleriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 18 Magistratsmitglieder und 60 Stadtverordnete. P. ist Geburtsort Wilhelm v. Humboldts. Zum Landgerichtsbezirk P. gehören die elf Amtsgerichte in Baruth, Beelitz, Belzig, Brandenburg a. H., Dahme, Jüterbog, Luckenwalde, P., Rathenow, Treuenbrietzen und Werder.
Die Umgebung von P. (vgl. beifolgende Karte) gehört zu den lieblichsten Gegenden der Norddeutschen Tiefebene. 4 km nordöstlich liegt in der Havel, die sich daselbst seeartig erweitert und verzweigt, die gegen 2000 Schritt lange und 500 Schritt breite Pfaueninsel (sonst Kaninchenwerder) mit einem königlichen Lustschloß nebst Gartenanlagen. Näher bei P. liegt das Lustschloß Sanssouci (s. d.) und unweit davon das 176369 ausgeführte Neue Palais, Sommerresidenz Kaiser Wilhelms II. Das 215 m lange Hauptgebäude hat einen mit einem Fronton gezierten Vorsprung, worüber sich eine antike Kuppel mit drei kolossalen, eine Krone emporhaltenden Grazien erhebt, ist mit korinthischen Pilastern, Statuen und Gruppen geziert und enthält an 200 Zimmer (darunter ein 33 m langer, 20 m breiter und 13 m hoher Marmorsaal). Hinter dem Schloß liegt ein 15 km im Umfang haltender Wildpark, vor demselben der sogen. Antikentempel, ein Gebäude mit dem zweiten Exemplar der Rauchschen Statue der Königin Luise; 1 km von beiden entfernt liegt, durch parkähnliche Anlagen mit dem Garten von Sanssouci und dem vom Neuen Palais verbunden, das Schloß Charlottenhof, das Friedrich Wilhelm IV. sich 1826 als Kronprinz einrichtete, mit einer Villa in römischem Stil nach Modellen aus Pompeji. Aus dem Nauener Tor Potsdams gelangt man zum Marmorpalais im Neuen Garten, am Heiligen See, mit schönem Park und Orangerie, maurischem Tempel, Eremitage, Grotten etc. Der Pfaueninsel gegenüber liegt das Dorf Sakrow, mit einer von dem König Friedrich Wilhelm IV. erbauten schönen Kirche. In der Teltower Vorstadt bei P. liegt der Brauhausberg und weiter südlich der Telegraphenberg mit dem astrophysikalischen und dem meteorologisch-magnetischen Observatorium (s. Tafel »Sternwarten III«) und dem geodätischen Institut, Spaziergängen und einer Burg; 4 km von P. bei Kleinglienicke Schloß Babelsberg (s. d.); in Kleinglienicke selbst das Lustschloß (ehemals Sommersitz des verstorbenen Prinzen Karl) und das Schloß des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen und dabei die prächtige Havelbrücke. Vor der Nauener Vorstadt liegt der Pfingstberg mit zwei Aussichtstürmen und Aufenthaltsräumen für die Mitglieder des königlichen Hauses und die 1826 angelegte russische Kolonie Alexandrowka, die eine griechische Kapelle und 13 auf russische Art erbaute Wohnhäuser enthält, und in der Jägervorstadt der Ruinenberg mit Aussichtsturm und dem Wasserbassin zur Speisung der großen Fontäne in Sanssouci. P., ursprünglich Poztupimi (»Bergabhang«), eine alte slawische Niederlassung, wird zuerst 993 bei der Überlassung an das Stift Quedlinburg urkundlich erwähnt. Unter den Askaniern entstand auf einer Havelinsel eine Burg; P. erhielt im 14. Jahrh. Stadtrecht, blieb jedoch bis zur Zeit des Großen Kurfürsten unbedeutend. Um die Verschönerung der Stadt machten sich die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. verdient. Durch das Potsdamer Edikt vom 8. Nov. 1685 lud der Große Kurfürst die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten zur Ansiedelung in seinen Staaten ein. Hier wurde 3. Nov. 1805 der geheime Allianzvertrag zwischen Rußland und Preußen geschlossen, den die Schlacht von Austerlitz vereitelte. Vgl. Schmidt, Geschichte und Topographie der Residenzstadt P. (Potsd. 1825); Kopisch, Die königlichen Schlösser und Gärten zu P. (Berl. 1854); »Geschichte der königlichen Residenzstadt P.« (hrsg. von A. R., Potsd. 1883); Sello, P. und Sanssouci (Bresl. 1888); Bethge, Die Hohenzollernanlagen Potsdams (Berl. 1889); Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 3. Teil (8. Aufl., Stuttg. 1906); Rau, Ein deutscher Fürstensitz (30 in Kupfer geätzte Naturstudien, Berl. 1892); »Alt-Potsdam« (16 Blätter in Lichtdruck, Potsd. 1904).
Der Regierungsbezirk Potsdam (s. Karte »Brandenburg«) umfaßt 20,639 qkm (374,85 QM.), zählt (1905) 2,329,885 Einw. (93 auf 1 qkm), darunter 2,103,866 Evangelische, 171,825 Katholiken und 36,107 Juden, und besteht aus den 21 Kreisen:
Über die zehn Reichstagswahlkreise des Regierungsbezirks die Karte »Reichstagswahlen«.
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