Lamprecht [2]

[90] Lamprecht, Karl, deutscher Geschichtsforscher, geb. 25. Febr. 1856 in Jessen bei Wittenberg, studierte in Göttingen, Leipzig und München Geschichte und Rechtswissenschaft, habilitierte sich 1882 in Bonn und wurde 1885 außerordentlicher Professor. 1890 als ordentlicher Professor der Geschichte nach Marburg berufen, siedelte er schon 1891 in gleicher Eigenschaft nach Leipzig über, wo er noch wirkt. Als Schriftsteller und Lehrer hat L. durchaus neue Bahnen eingeschlagen, die deutsche Geschichtschreibung nach Inhalt und Methode vertieft und sich dadurch die heftige Gegnerschaft der Anhänger der ältern Richtung zugezogen. Die »Initialornamentik des 8.–13. Jahrhunderts« (Leipz. 1882) erbringt den Nachweis, daß jede Ornamentik eine rohe Nachahmung der Natur und nicht ein Spiel mit mathematischen Elementen darstellt. Das »Deutsche Wirtschaftsleben im Mittelalter« (Leipz. 1885–86, 4 Bde.) erforscht die ländlichen Zustände des Mosellandes derartig, daß neben den wirtschaftlichen auch die sozialen, rechtlichen und politischen Entwickelungslinien in ihren gemeinsamen Zusammenhängen und gegenseitigen Beeinflussungen festgelegt werden. Sein Hauptwerk, die »Deutsche Geschichte« (Berl. 1891 ff., seit 1903 Freib. i. Br., bis jetzt 8 Teile [bis 17. Jahrh.], z. T. in 3. Aufl., und 3 Ergänzungsbände: »Zur jüngsten deutschen Vergangenheit«), berücksichtigt sämtliche Zweige der nationalen Entwickelung, die geistigen u. die materiell-politischen, gleichmäßig und gewinnt dadurch eine neue Periodenteilung, nämlich die Zeitalter symbolischen, typischen. konventionellen, individuellen und subjektiven Geisteslebens. Eine Reihe kleinerer methodologischer Schriften und Aufsätze legt dar, daß die bisherige Geschichtschreibung, soweit sie politische Geschichte und Verfassungsgeschichte darstellt, nur die oberflächlichen und äußerlichen Elemente der Entwickelung ins Auge gefaßt hat, während ihr die tiefern Vorgänge und die Entwickelung der Volksseele verborgen geblieben sind. L. ist Mitbegründer der »Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst« (Trier 1882 ff.), von ihm ist die Idee der Gründung einer »Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde«, die mit dem Sitz in Köln seit 1881 besteht, ausgegangen, und er hat auch 1896 zu dem Zustandekommen der »Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte«, deren geschäftsführendes Mitglied er ist, wesentlich beigetragen. Seit 1894 leitet L. das von Heeren und Ukert begründete Sammelwerk »Geschichte der europäischen Staaten« (Gotha, F. A. Perthes), das er 1901 in eine »Allgemeine Staatengeschichte« umwandelte, bestehend aus den drei Abteilungen: Europäische Staaten, Außereuropäische Staaten u. Deutsche Landesgeschichten, letztere unter Redaktion von Armin Tille (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 90.
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