Leopardi

[421] Leopardi, Giacomo, Graf, einer der größten neuern Dichter Italiens und ausgezeichneter Philolog, geb. 29. Juni 1798 in Recanati, gest. 14. Juni 1837 in Neapel, widmete sich mit solchem Eifer dem Studium der klassischen Literatur, daß er sich bereits mit 16 Jahren eine vollkommene Kenntnis des Lateinischen und Griechischen erworben und den größten Teil der alten Schriftsteller gelesen hatte. Schon in diese Zeit fallen seine ersten philologischen Arbeiten, wie seine Ausgabe und Übersetzung von Porphyrios' »De vita Plotini«, die »Commentarii de vita et scriptis rhetorum quorumdam« u.a. Ihnen folgte 1815 der »Saggio sopra gli errori popolari degli antichi« (gedruckt Flor. 1846, 5. Aufl. 1859), verschiedene Übersetzungen und Abhandlungen über Gegenstände der klassischen Literatur, die auch außerhalb Italiens Aufmerksamkeit erregten. Bei Leopardis hoher Begeisterung für ein einiges und starkes Italien wurde seine Beschäftigung mit dem klassischen Altertum für ihn eine Quelle des tiefsten Schmerzes über die traurigen politischen Zustände seines Vaterlandes, während gleichzeitig die angestrengte Geistesarbeit seinen von Jugend auf schwächlichen Körper mehr und mehr zerrüttete. So entwickelte sich jene trübe Gemütsstimmung und trostlose Weltanschauung, die schon in einem seiner ersten Gedichte, der »Ode an Italien« (1818), ihren Ausdruck fand. Im November 1822 begab sich L. nach Rom, wo er unter anderm seine kritischen Bemerkungen über Mais und Zohrabs Ausgabe der Chronik des Eusebios in den »Efemeridi letterarie« erscheinen ließ. Diese Arbeit verschaffte ihm die Bekanntschaft Niebuhrs, der ihn für eine Professur an der Universität Berlin zu gewinnen suchte. Doch erlaubte des Dichters zerrüttete Gesundheit nicht, den Vorschlag anzunehmen. Fast von Mitteln entblößt und durch zunehmende Krankheit genötigt, seinen gelehrten Studien zu entsagen, kehrte er im Mai 1823 nach Recanati zurück, wo jedoch seine melancholische Stimmung durch die Kleinlichkeit der Zustände und durch sein Verhältnis zu seinem streng katholisch gesinnten Vater neue Nahrung fand und ihn an die äußersten Grenzen des Skeptizismus und Pessimismus führte. In dieser Stimmung entstand unter anderm seine hochberühmte Ode »Bruto minore« (1823). Auch veranstaltete er hier die erste Sammlung seiner »Canzoni« (Bologna 1824). 1825 verließ er zum zweitenmal das väterliche Haus und lebte in den nächsten acht Jahren abwechselnd in Mailand, Bologna, Recanati, Florenz und Pisa. Zu seinem Lebensunterhalt fast allein auf den Ertrag seiner Feder angewiesen, wurde er tätiger Mitarbeiter an der Florentiner »Antologia«, veröffentlichte eine Ausgabe des Petrarca mit vortrefflichem Kommentar (Mail. 1826), eine italienische Chrestomathie (das. 1827–28) u.a. Eine zweite Sammlung seiner Gedichte erschien u. d. T.: »Versi« (Bolog. 1826); dieser folgten seine »Operette morali« (Mail. 1827; neue Ausg., Flor. 1834), eine Reihe meistens in dialogischer Form abgefaßter Aufsätze voll der feinsten Beobachtungen und eins der vollkommensten Muster italienischer Prosa. 1833 siedelte er nach Neapel zu seinem Freunde Ranieri über. Hier verfaßte er sein berühmtestes Gedicht »La Ginestra« (1836), und hier legte er die letzte Hand an eine neue Ausgabe seiner lyrischen Gedichte, die 1836 in Florenz als erster Band einer Sammlung seiner italienischen Werke erschien. An der Fortsetzung verhinderte ihn der Tod. Sein Bildnis s. Tafel »Klassiker der Weltliteratur III« (beim Artikel »Literatur«). Seine Gedichte sind nicht zahlreich (er selbst billigt 39) und gehören durch Schwung, Gedankentiefe und Schönheit des Ausdrucks zu den herrlichsten Blüten der italienischen Lyrik. Beste deutsche Übersetzung von P. Heyse (Berl. 1878,[421] 2. Aufl. 1889, mit den Prosaschriften), eine andre von Hamerling (Hildburgh. 1866). Eine Sammlung von Leopardis poetischen und prosaischen Werken und ein Teil seiner philologischen Schriften erschien in 4 Bänden (Flor. 1845–46 u. ö.). Beste Ausgaben der »Prose« von Chiarini (Livorno 1870) und Mestica (Flor. 1889), der »Operette morali« von Zingarelli (Neap. 1895) und Della Giovanna (Flor. 1895). Beste Ausgabe seiner poetischen Werke von Straccali (»I canti di G. L.«, Flor. 1892) und Scherillo (Mail. 1900). »Opere inedite« veröffentlichte Cugnoni (Halle 1878–80, 2 Bde.), »Scritti editi sconosciuti« Benedettucci (Recanati 1885), »Scritti letterari« Mestica (Flor. 1899, 2 Bde.); aus dem Nachlaß Ranieris veröffentlichte eine Kommission die »Pensieri di varia filosofia e di bella letteratura« (das. 1898–1900, 7 Bde.). Leopardis »Epistolario« erschien in 2 Bänden (Flor. 1849; 5. Aufl. in 3 Bdn., das. 1892); Costa, Benedettucci und Antona-Traversi gaben die »Lettere inedite di G. L., etc.« heraus (Città di Castello 1888). Vgl. Ranieri, Sette anni di sodalizio con G. L. (Neapel 1880); Teresa Leopardi, Notes biographiques sur L. et sa famille (Par. 1881); Montefredini, La vita e le opere di G. L. (Mail. 1881); Piergili, Nuovi documenti intorno agli scritti e alla vita di G. L. (Flor. 1882, 2. Aufl. 1889); De Sanctis, Studio su G. L. (Neapel 1885, neue Ausg. 1905); Antona-Traversi, Studj su G. L. (das. 1887), Documenti e notizie da servire ad una compiuta biografia di G. L. (Verona 1887) und Spigolature classiche Leopardiane (Parma 1889); Moroncini, Il L. filologo (Neapel 1891); Cesareo, Nuove ricerche su la vita e le opere di G. L. (Turin 1893) und La vita di G. L. (Mail. 1902); Graf, Foscolo, Manzoni, Leopardi (Tur. 1898); Mestica, Studi leopardiani (Flor. 1901); Zumbini, Studi sul L. (das. 1902–04, 2 Bde.); Chiarini, Vita di G. L. (Flor. 1905). Zur Bibliographie vgl. noch Piergili, Il primo saggio di una bibliografia Leopardiana (im »Bibliofilo«, Bd. 4); Cappelletti, Bibliografia Leopardiana (2. Ausg., Parma 1882); Mestica, Manuale della letteratura italiana nel secolo XIX, Bd. 1 (Flor. 1886); D'Ancona und Bacci, Manuale della letteratura italiana, Bd. 5 (das. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 421-422.
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