Hamerling

[692] Hamerling, Robert, Dichter, geb. 24. März 1830 in Kirchberg am Wald in Niederösterreich, gest. 13. Juli 1889 in Graz, war ein Sohn armer Eltern, die später nach Wien übersiedelten, absolvierte das. Gymnasium daselbst, wurde 1848 Mitglied der »akademischen Legion«, widmete sich dann philologischen, philosophischen und auch naturwissenschaftlichen Studien und wurde 1851 Hilfslehrer der klassischen Sprachen am akademischen Gymnasium in Wien. hierauf in Graz und 1855 Professor am Triester Gymnasium. Kränklichkeit und Unlust zum Lehramt veranlaßten ihn, im Herbst 1866 in den Ruhestand zu treten, was ihm durch seinen rasch aufgeblühten Dichterruhm erleichtert wurde. Er lebte seitdem in Graz den Musen, doch litt er schwer unter einem chronischen Magenleiden, wovon ihn erst der Tod erlöste. H. trat zuerst als Lyriker vor die Öffentlichkeit: »Ein Sangesgruß vom Strande der Adria« (Triest 1857); »Venus im Exil« (Prag 1858; 5. Aufl., Hamb. 1889); »Ein Schwanenlied der Romantik« (Prag 1862; 5. Aufl., Hamb. 1889); die Kanzone »Germanenzug« (Wien 1864; 5. Aufl., Hamb. 1890); die Sammlung »Sinnen und Minnen« (Prag 1860, in den folgenden Auflagen aufs Doppelte vermehrt; 7. Aufl., Hamb. 1886). In diesen formvollendeten Gedichten, von denen viele in Musik gesetzt wurden, erscheint H. vorwiegend als rhetorisch-sentimentaler Gedankenlyriker, von nationaler Begeisterung getragen und von reicher Bildung erfüllt. Der große Wurf gelang ihm jedoch erst mit dem epischen Gedicht in fünffüßigen Jamben: »Ahasver in Rom« (Wien 1866; 27. Aufl., Hamb. 1902; vgl. Wichner, über R. Hamerlings »Ahasver in Rom«, Progr., Krems 1901), das, mit Kaiser Nero im Mittelpunkte der Handlung, das Altertum auf dem Durchgangspunkt zum Christentum in farbenprächtiger Schilderung darstellt. Bald darauf schrieb er sein zweites Epos: »Der König von Sion« (Hamb. 1869, 9. Aufl. 1889; Prachtausgabe mit Illustrationen von Rößler und Dittrichs, das. 1890) in Hexametern, ein künstlerisch sein durchgebildetes Werk, das wie der »Ahasver« in viele fremde Sprachen übersetzt wurde und als Hamerlings vollendetste Leistung zu betrachten ist. Von epischen Dichtungen folgten später: »Amor und Psyche« mit Illustrationen von Thumann (Leipz. 1882, 11. Aufl. 1894) und das große gedankenreiche satirische Epos »Homunculus« (Hamb. 1888), worin H. mit mehr Geist und Einsicht als poetischer Kraft die Schäden der »seelenlosen« Zeit geißelte. Auch als Dramatiker hat sich H., aber ohne Erfolg, versucht mit der Tragödie »Danton und Robespierre« (Hamb. 1871, 4. Aufl. 1877), dem Scherzspiel »Teut« (das. 1872) und dem Lustspiel »Lord Luzifer« (das. 1880). Der ebenfalls in mehrere Sprachen übersetzte Künstler- und Liebesroman aus Alt-Hellas: »Aspasia« (Hamb. 1876, 3 Bde.; 3. Aufl. 1884), zeugt von bemerkenswerten Kenntnissen, ist aber ermüdend; wenig bedeutend sind seine von A. v. Goldschmidt komponierte Kantate »Die sieben Todsünden« (das. 1873, 6. Aufl. 1887) und die Novelle »Die Waldsängerin« (Berl. 1880; 4. Aufl., Hamb. 1890). Als Übersetzer bewahrte er sich durch eine Verdeutschung von Leopardis Gedichten (Hildburgh. 1865) und den »Hesperischen Früchten. Verse und Prosa aus dem modernen Italien« (Teschen 1884). Beifall fand auch eine Blumenlese aus der neuern deutschen Lyrik: »Das Blumenjahr in Bild und Lied« (8. Aufl., Leipz. 1888). Einen zweiten Band lyrischer Gedichte bol er in den »Blättern im Winde« (Hamb. 1887), eine Sammlung seiner Skizzen, Gedenkblätter und Studien u. d. T. »Prosa« (das. 1882, 2 Bde.; neue Folge, das. 1891, 2 Bde.)[692] Sein letztes von ihm selbst veröffentlichtes Werk war die Selbstbiographie »Stationen meiner Lebenspilgerschaft« (Hamb. 1889), die durch die Tagebuchblätter »Lehrjahre der Liebe« (das. 1890) ergänzt wurden. Nach Hamerlings Tod erschien sein philosophisches Lebenswerk: »Die Atomistik des Willens« (Hamb. 1890, 2 Bde.), das wesentlich gegen den Monismus und Pessimismus gerichtet ist, und »Letzte Grüße aus Stiftinghaus. Lyrischer Nachlaß« (das. 1894). 1892 wurde ihm in seinem Geburtsort ein Standbild errichtet, 1900 ein solches (von Kundmann) im Stadtpark zu Graz. Hamerlings ausgewählte Werke erschienen in einer Volksausgabe, besorgt von Rabenlechner (Hamb. 1900, 4 Bde.; 2. Aufl. 1901), »Ungedruckte Briefe« (Wien 1897–1901,4 Bdchn.). Vgl. Rosegger, Persönliche Erinnerungen an R. H. (Wien 1890); Möser, Meine Beziehungen zu R. H. (Berl. 1890); Gnad, Über R. Hamerlings Lyrik (Graz 1890); Knauer, Robert H. gegen den Pessimismus Schopenhauers und Hartmanns (Wien 1892). Am ausführlichsten handelte über ihn Rabenlechner in den Schriften: »H. Sein Leben und seine Werke« (Bd. 1, Hamb. 1896), »Die ersten poetischen Versuche Hamerlings« (das. 1896), »Hamerling« (Dresd. 1901) und »Verschollenes und Vergilbtes aus Hamerlings Wirken« (Programm, Triest 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 692-693.
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