Nashorn

[432] Nashorn (Rhinoceros L., hierzu Tafel »Nashorn«), Säugetiergattung aus der Ordnung der unpaarzehigen Huftiere, die allein die Familie der Nashörner (Nasicornidae) repräsentiert, große plumpe Dickhäuter mit schmalem, gestrecktem Kopf, unverhältnismäßig kleinem Maul mit vorstreckbarer Oberlippe, kleinem Auge, mäßig großem Ohr und einem oder zwei hintereinander stehenden, nur mit der Haut verbundenen Hörnern auf dem vordern Gesichtsteil. Der Hals ist kurz, stärker als der Kopf, der Leib kräftig, fast ganz oder größtenteils unbehaart. Die kurzen, wie beim Dachshund gekrümmten Beine sind ziemlich schmächtig, an den vorn und hinten dreizehigen Füßen ist der mittlere Huf etwa doppelt so breit wie die beiden seitlichen. Der Schwanz ist kurz. Die dicke, panzerartige Haut zerfällt oft in mehrere durch tiefe Falten getrennte Schilder, die nur durch diese Falten eine gewisse Beweglichkeit erhalten. Das Gebiß besteht aus sieben Backenzähnen in jedem Kiefer; Eckzähne fehlen, und die Schneidezähne durchbrechen entweder das Zahnfleisch gar nicht, oder fallen sämtlich oder zum Teil zeitig aus. Das indische N. (R. unicornis L.), 3,15 m lang, mit 60 cm langem Schwanz, 1,7 m hoch, mit verhältnismäßig kurzem Kopf, einem 60 cm hohen, mit der Spitze zurückgebogenen, kräftigen Horn, langen, spitzen, aufrecht stehenden Ohren und durch tiefe Falten in Schilder geteiltem, dunkel graubraunem, nacktem Hautpanzer, der mit hornartigen Warzenschildern bedeckt ist, bewohnt Vorderindien. Auf Java lebt ein kleineres, einhörniges (R. javanicus Cuv.), auf Sumatra ein großes, zweihörniges N. (R. sumatranus Cuv.) mit minder stark entwickelten Hautfalten. Auch Hinterindien und Malakka besitzen eine eigentümliche zweihörnige Art. Das afrikanische N. (Doppelnashorn, R. bicornis L.) ist 3,5 m lang, mit 60 cm langem Schwanz, 1,6 m hoch, hat eine glatte, dunkelbraune Haut und zwei Hörner, von denen das größere vordere 60–80 cm lang, nach rückwärts gebogen und zugespitzt ist. Es bewohnt Mittelafrika vom 18.° nördl. Br. bis 24.° südl. Br., und außer ihm kommen noch zwei zweihörnige Arten in Afrika vor, das fast ausgerottete stumpfnasige N. (R. simus Burch.) in Mittel- und Südostafrika und das Keitloa (R. keitloa Smith.) von Abessinien bis zum Kap. Die Nashörner leben am häufigsten in Wäldern in der Nähe von Sümpfen und Flüssen, an deren Ufern sie sich täglich im Schlamm wälzen. Sie schlafen am Tage, gehen nachts weit in die Steppen und Wälder hinein und brechen, gleich den Elefanten, durch die verschlungensten Dickichte schnurgerade Wege. Sie schweifen aber nicht wie die Elefanten umher, sondern verändern nur notgezwungen ihren Standort. Das N. frißt sehr große Mengen Kraut, Gras, Blätter, Zweige und Wurzeln. Es lebt meist einzeln oder in kleinen Trupps, bewegt sich zwar plump, aber ziemlich schnell und ausdauernd und schwimmt vortrefflich. Von Natur harmlos, zeigt es sich, wo es häufig verfolgt wird, ungemein bösartig. Es flieht vor Hunden, aber gereizt, stürzt es in blinder Wut auf jeden Feind und wird dann durch seine furchtbare Körperkraft höchst gefährlich. Das N. wirft nur ein Junges, das eine rötliche, faltenlose Haut besitzt und erst nach acht Jahren Mittelgröße erreicht. Die Mutter säugt das Junge zwei Jahre und verteidigt es mit beispiellosem Grimm. Ein Vogel, der Madenhacker, ist der fortwährende Begleiter des Nashorns; er sitzt beständig auf dessen Rücken und befreit es von dem Ungeziefer, von dem das Tier arg geplagt wird. Gefangene Nashörner werden verhältnismäßig zahm, zeigen sich sehr gutmütig und gewinnen entschiedene Zuneigung zu dem Wärter, haben sich aber bisher nicht fortgepflanzt. Das Horn liefert sehr schöne Säbelgriffe, namentlich aber fertigt man im Morgenlande Becher und Tassen daraus, die angeblich aufbrausen, sobald eine vergiftete Flüssigkeit hineingegossen wird. Aus der Haut verfertigen die Eingebornen Schilde, Panzer, Schüsseln, Reitgerten, Peitschen (Schamboks). Das Fleisch wird gegessen, das Fett sehr geschätzt. Den Alten war das N. sehr wohl bekannt. Pompejus brachte das erste einhörnige N. zu den Spielen nach Rom. Strabon sah ein N. in Alexandria. In den arabischen Märchen kommen beide Nashörner, das indische wie das afrikanische, nicht selten als zauberhafte Wesen vor. Marco Polo sah im 13. Jahrh. das sumatranische N., und 1513 erhielt Emanuel von Portugal ein lebendes N. aus Ostindien, dessen Abbildung Dürer in Holz schnitt. Bessere Nachrichten gab dann erst Bontius. Die zu den Nashörnern gehörigen Huftiere zerfallen in die Familien der Hyrakodontiden, Amynodontiden und Rhinocerotiden. Die beiden ersten besaßen keine Hörner, glichen äußerlich mehr den Tapiren, hatten ein volles Gebiß und starben früh aus. Die jüngere Familie der Rhinocerotiden zerfällt in vier Unterfamilien: hornlose Acerotheriinen, Dicerotheriinen mit zwei nebeneinander stehenden Hörnern, typische Rhinocerotinen und Elasmotheriinen, nur durch das Elasmotherium Sibiriens und Europas vertreten. Die erste und zweite Familie war wie die erste und zweite Unterfamilie der Rhinocerotiden in der Alten und Neuen Welt gleichzeitig verbreitet, während die Rhinocerotinen und Elasmotheriinen nur altweltlich sind. In der Neuen Welt war das Nashorngeschlecht am Schluß der Miocänzeit bereits gänzlich ausgestorben, in Europa starben die Rhinocerotinen und Elasmotheriinen erst in oder nach der Eiszeit aus. Die ältesten echten Nashörner kommen im Oligocän vor und erreichten in der Alten Welt vom Miocän an eine außerordentliche Entwickelung. R. tichorhinus Eisch. (s. Tafel »Diluvium II«, Fig. 5), mit verknöcherter Nasenscheidewand und mit wolligen Haaren bedeckt, findet sich im europäischen und sibirischen Diluvium und[432] war eines der häufigsten und bezeichnendsten Tiere der Eiszeit. Vollständige Leichen hat man im sibirischen Eis gefunden. Vgl. Brandt, Monographie der tichorhinen Nashörner (Petersb. 1877).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 432-433.
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