[11] Diluvĭum (hierzu Tafel »Diluvium I u. II«), auch Postpliocän, Pleistocän, Quaternär, Quartär genannt (letztere beiden Wörter gewöhnlich für D. und Alluvium gemeinschaftlich gebraucht), das alte Schwemmland, ist eine ebenso weitverbreitete wie wichtige Bildung, da sie den fruchtbaren Boden vieler Tiefländer, Hochebenen, Talböden und Talränder bildet. Der Name D. hat sich aus der Zeit erhalten, in der man in den betreffenden Gesteinen die Produkte der letzten großen Überschwemmung der festen Erde (»Sintflut«) nach den Traditionen der Bibel und den Sagen vieler Völker erblickte. Die Abgrenzung des D. sowohl nach unten gegen das Tertiär als nach oben gegen das Alluvium ist oft eine sehr schwierige. Die Diluviallagerungen bestehen nämlich, wie die tertiären und alluvialen, vorwiegend aus Kies-, Sand-, Lehm- und Tonbildungen. Ihrer Entstehung nach sind sie vorwiegend Absätze des fließenden Wassers; diluviale Meeresbildungen und in Binnenseen entstandene Absätze treten nur untergeordnet auf. Eine ganz hervorragende Rolle spielen im D. die sogen. glazialen Ablagerungen, die in Europa und Nordamerika ungeheure Flächenräume bedecken. Wie die neuern Forschungen ergeben haben, fällt in den Anfang der Diluvialzeit eine wenigstens auf der nördlichen Erdhälfte sehr intensive Kälteperiode, die sogen. Eiszeit (s. d.). Von Skandinavien u. von den Alpen, Pyrenäen, Vogesen, Schwarzwald, Harz, Karpathen, Kaukasus etc. breiteten sich damals gewaltige Eisströme aus, die dem tiefer liegenden Land ein ungeheures Gesteinsmaterial zuführten. Die Gesteinsblöcke, teils kleiner, teils größer bis zum Inhalt vieler Kubikmeter, wegen ihres fremdartigen Aussehens früher als Findlinge, Wanderblöcke oder erratische Blöcke, dann als nordische Geschiebe bezeichnet, sind in der Regel eingebettet in einen rauhen Lehm oder Mergel voller Mineralsplitter (Feldspat, Hornblende etc.) und kleiner Geschiebe. Diesen Geschiebelehm (Blocklehm, Geschiebemergel, Till, in Schweden krosstenslera, in Dänemark rollstenslera, in England und Amerika boulder clay) hält man jetzt, nachdem die sogen. Drifttheorie, nach der das D. auch Driftformation genannt wurde (s. Eiszeit), aufgegeben ist, für das zermalmte Material der Grundmoräne jener Gletscher u. Inlandeismassen. In Norddeutschland und Nordamerika findet nicht selten eine Wechsellagerung zwischen mehreren Zonen von ungeschichtetem Blocklehm und geschichtetem sandigen und auch tonigen Material mit Süßwasser- oder Meereskonchylien statt. Je nachdem diese geschichteten und Fossilien führenden Sedimente zwischen, unter oder über den Blocklehmabsätzen gelagert sind, werden sie als interglazial, präglazial oder postglazial[11] bezeichnet; sie sind teils Absätze des fließenden Wassers und, soweit sie interglazial oder postglazial sind, auch wohl des vom Inlandeis abfließenden Schmelzwassers, teils Seen- oder Meeresbildungen; teils stellen sie sich als Kiese und Sande dar, sind oft glimmerreich, führen dann Glimmersande oder Feldspatkörnchen und werden dann als Spatsande bezeichnet, teils sind es Tone (Glindower Ton, Bänderton). Präglaziale Bildungen kennt man in den Alpen, in Frankreich und Italien (vielerorts mit Skeletteilen von Elephas meridionalis), auch in der Pfalz (sogen. Klebsande u. Freinsheimer Tone), aber noch nicht in Norddeutschland. Hier sind (in Ost- und Westpreußen, in Schleswig-Holstein, auch in Dänemark) die ältesten, früher für präglazial gedeuteten, jetzt als interglazial erkannten Meeresbildungen (Cyprinenton, Yoldienton, Ledaton) charakterisiert durch die Führung von Cyprina islandica, Yoldia (Leda) arctica, Astarte borealis (Tafel I, Fig. 2 u. 10) etc., Mollusken, die auch für die alten Küstenterrassen u. Strandwälle in Norwegen und Schottland sowie an den französischen und italienischen Küsten bezeichnend sind. Auch die Diatomeenschichten von Rathenow und Niederohe haben gleiches Alter; ebenso die Süßwasserbildungen mit Paludina diluviana (Tafel I, Fig. 9), dem wichtigsten Leitfossil des norddeutschen Diluviums, von Berlin, vom Fläming und aus der Lüneburger Heide. Zu den jüngern, bez. spätern Interglazialbildungen gehören der Glindower Ton und die Sande der Umgegend von Berlin, mit zahlreichen Knochenresten und Süßwasserkonchylien, viele Süßwasserbildungen in Ost- und Westpreußen, Posen, Sachsen etc., Torflager in Holstein, an der Weichsel und bei Memel und als marine Absätze Cyprinenton in Holstein, Austernbänke bei Hamburg, Diatomeenlager bei Elbing und Dessau. Die postglazialen oder jungquartären Ablagerungen sind wesentlich durch Pflanzenreste ausgezeichnet. Unter mehr lokalen Verhältnissen entstanden in der Diluvialzeit, als die Flüsse sich noch nicht bis auf ihr jetziges Niveau eingeschnitten hatten, fast in allen größern, von der Vereisung unberührt gebliebenen Tälern Kies- und Schottermassen, die oft zahlreiche Reste von diluvialen Tieren beherbergen. An andern Stellen bildeten sich Kalktuffe (so an mehreren Stellen Thüringens, im Maintal, bei Kannstatt unweit Stuttgart), ferner Torfablagerungen (Uznach und Dürnten in der Schweiz, Sonthofen im Algäu) sowie Lehm (sogen. Höhlenlehm) und Knochenbreccien in Höhlen (Fränkischer Jura, Schwäbische Alb, Dechenhöhle in Westfalen, Kirkdale-, Kentshöhle und andre in England, mehrere im südlichen Frankreich) und in Spalten der Kalksteingebirge in den verschiedensten Gegenden. Von größter Verbreitung endlich sowohl in Europa als in Asien (China) und in Südamerika (Pampaslehm und Pampaston) ist der in vielen Fällen als eine äolische, d.h. durch Staubwinde zusammengetragene Bildung anzusehende Löß (in Rußland Tschernosjem), dessen mächtige Ablagerungen teils den Flußtälern folgen, teils auf flachen Hochebenen sich hinziehen (vgl. Löß).
Die organischen Reste der ältern Diluvialzeit tragen in vollkommner Übereinstimmung mit den für die Gesteine anzunehmenden Bildungsbedingungen einen nordischen Charakter, selbst an verhältnismäßig südlich gelegenen Fundstellen. Von Pflanzen sind nordische Hypnum-, Weiden- und Birkenformen, von Mollusken außer den oben genannten als echte Lößschnecken Pupa muscorum, Helix hispida und Succinea oblonga (Tafel I, Fig. 5, 6 u. 7) zu erwähnen, ferner von Säugetieren Renntier, Eisfuchs, Lemming etc., Urstier (Bos primigenius, Tafel I, Fig. 8) sowie Elephas antiquus und E. primigenius (Mammut) und Rhinoceros tichorhinus (Tafel II, Fig. 1, 2, 3, 4 u. 5), deren nächste Verwandte heute in warmen Zonen leben. Mammut und Rhinozeros waren, wie die Funde im Diluvialeis Sibiriens beweisen, mit dichtem Wollhaar bedeckt, und zwischen den Zähnen des Mammuts fanden sich zermalmte Reste nordischer Pflanzen, die dem Tier zur Nahrung gedient hatten. Besonders reiche Schätze von tierischen Resten liefern die Höhlen. In Süddeutschland ist der Höhlenbar neben Höhlenhyäne (Tafel II, Fig. 6 u. 7), Rhinozeros, Hirsch etc. vorherrschend, in England die Höhlenhyäne, während die Bären an Individuenzahl zurücktreten. Die südfranzösischen Höhlen bergen besonders zahlreiche Renntierreste. Der mächtige Riesenhirsch mit seinem weit ausladenden Geweih (Tafel II, Fig. 8) entstammt den diluvialen Torfmooren Irlands, der Mastodon giganteus, der an 4 m hoch war (Tafel II, Fig. 9), dem D. Nordamerikas. Der Löß enthält zahlreiche Repräsentanten einer Steppenfauna, so Antilopen, Wühlratten, Zieselmäuse, Zwergpfeifhasen, Pferdespringer etc. Endlich sind die Riesenformen, welche die Pampastone Südamerikas und die Diluvialbildungen Australiens und Neuseelands einschließen, ebenfalls diluvialen Alters. Erwähnt seien das Gürteltier (Glyptodon claviceps, Tafel I, Fig. 1) und die Faultiere Megatherium Cuvieri und Mylodon robustus (Tafel I, Fig. 3 u. 12) aus den Pampastonen, sämtlich Riesenformen von in der jetzigen Schöpfung nur durch viel kleinere Spezies vertretenen Typen, ferner ein großer flügelloser, dem Emu verwandter Vogel (Dinornis, Tafel I, Fig. 4) aus Neuseeland und ein dem Rhinozeros an Größe nahestehendes Beuteltier (Diprotodon, Tafel I, Fig. 11) aus Australien. Das größte Interesse knüpft sich aber an die menschlichen Reste an, die beweisen, daß der Mensch schon während des ältern D. im Kampf mit den Tieren der Eisperiode gelebt hat. Selten sind die Funde von Skeletteilen; die aus dem Neandertal bei Düsseldorf, aus Höhlen bei Lüttich und im Löß von Egisheim im Elsaß sind die bekanntesten. Viel häufiger sind die Spuren menschlicher Tätigkeit nachweisbar. Hierher gehören die Abbildungen der Tiere der Eiszeit (Mammut, auf einer Elfenbeinplatte eingeritzt, sowie z. T. mit Ocker und Manganerde gefüllte Ritz zeichnungen von Mammut, Pferd, Bison, Wisent, Renntier und Antilopen an Höhlenwänden in der Landschaft Périgord, Dordogne; rohe, in Horn ausgeführte Schnitzereien, Moschusochsen und Pferde darstellend, aus dem Keßler Loch bei Thayingen unweit Schaffhausen), die zu Instrumenten und Waffen um gestalteten Knochen, die bearbeiteten Feuersteine, die behufs Gewinnung des Marks zerschlagenen Knochen, die aufgehäuften Küchenabfälle, von Ruf; geschwärzte Schiefer- und Tonplatten. Diese Beobachtungen haben die Existenz des Menschen schon während des D. unumstößlich bewiesen, während alle Funde, die auf noch ältere Perioden hindeuten, als mindestens noch zweifelhaft bezeichnet werden müssen. Die vulkanische Tätigkeit lieferte während der Diluvialperiode ein mit demjenigen der heutigen Vulkane vollkommen übereinstimmendes Material und war in vielen Fällen auch an dieselben Stellen geknüpft, so daß die ältesten Ausbrüche der noch jetzt tätigen Vulkane schon während der Zeit des D. erfolgt sind. Vgl. die Literaturangaben bei »Eiszeit« und »Löß«.
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