Natūr

[452] Natūr (lat. natura, von nasci, »entstehen«), die uns umgebende Welt in ihren gesetzmäßigen Veränderungen und mit ihrem gesamten Inhalt, namentlich so weit sie dem Einfluß der Menschen noch unverändert gegenübersteht, daher auch im Gegensatz zur Kultur oder Kunst gebraucht. Zur N. gehören alle ursprünglichen, nicht durch die Hand des Menschen veränderten Dinge, die anorganischen Gebilde, Weltkörper und alle Lebewesen, der Mensch nicht ausgenommen, insofern auch die mit ihm vorgehenden Veränderungen von Naturgesetzen abhängen, wie die Statistik so deutlich zeigt. Der Mensch hat aber außer der objektiven Auffassung der Dingen och eine Auffassung derselben nach subjektiven Ideen. Diese erheben ihn über die N. zur Würdigung des Schönen, des Guten, des Zweckmäßigen. So ist er zwar nicht Bürger zweier Welten, wohl aber hat er von ein und derselben Welt zwei ganz verschiedene Anschauungsweisen: die natürliche und die religiöse oder ideale. Man spricht von der freien N. im Gegensatz zu den durch überlieferte Anschauungen, politischen Zwang, juristische Satzungen, Verkehr und Willkür eingeengten geselligen und bürgerlichen Verhältnissen, von denen man sich in der freien N. erholt, weil jeder Zwang da aufhört, wo nur unabänderliche, allgemein gültige Naturgesetze, aber keine willkürlichen menschlichen Satzungen herrschen. Die N eines Dinges ist seine Abhängigkeit vom Naturgesetz in der ihm eigentümlichen Form. Die N. eines Menschen ist seine durch vererbte Anlage (Naturanlage) bedingte Art, auf äußere Einflüsse zu reagieren (s. auch Naturell). Als die N. einer Handlung, eines Ereignisses, einer Erscheinung, einer Krankheit u. dgl. bezeichnet man deren gesetzmäßigen Verlauf, soweit er durch nicht menschliche Eingriffe beeinflußt ist. Insoweit die Eigentümlichkeit eines Menschen, eines Tieres, einer Pflanze oder irgend eines Körpers überhaupt von den ihrer N. fremden Einflüssen völlig unberührt bleibt, nennt man ihr Wesen natürlich. Der Gegensatz dazu ist das durch Absicht, Kunst, Erziehung, Dressur etc. Erworbene. Die Erziehung sucht den natürlichen Menschen den Ideen des Guten und [452] Schönen gemäß auszubilden. Man spricht auch von der schönen N. und deutet damit auf eine ideelle Auffassung der N. hin, die von dem Seelenzustand und Bildungsgrade des Beschauers abhängt. Die Erforschung der Gesetze der N. ist Gegenstand der Naturwissenschaft (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 452-453.
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