[553] Neugriechische Sprache. Das Neugriechische ist die direkte Fortsetzung jener jüngern Erscheinungsform des alten attischen Dialekts, die unter dem Namen der Koine Schrift- und Verkehrssprache des ganzen griechischen Sprachgebiets geworden war, etwa seit der Zeit Alexanders d. Gr. Auf diese Koine (Gemeinsprache) gehen alle heute gesprochenen griechischen Mundarten zurück, auch die in Unteritalien; nur das Zakonische im Peloponnes muß als ein direkter Nachkomme des alten lakonischen Dialekts betrachtet werden; sonst haben sich nur vereinzelt Eigentümlichkeiten alter Mundarten erhalten. Schon die gesprochene Koine war ohne Zweifel mundartlich nicht einheit lich; etwas genauer kennen wir bloß das sogen. hellenistische Griechisch in Asien und Ägypten. Später haben vielfach romanische, slawische und türkische Elemente in den Wortschatz des Neugriechischen Eingang gefunden. Die ältere Geschichte der neugriechischen Sprache beginnt erst gegenwärtig durch die Untersuchungen von Hatzidakis, Krumbacher, G. Meyer, A. Thumb und K. Dieterich etwas aufgehellt zu werden. Auch die lebenden Mundarten sind noch sehr ungenügend bekannt. Die Schriftsprache suchte noch in byzantinischer Zeit im allgemeinen die Normen des Attischen festzuhalten und entfernte sich dadurch immer mehr von der Volkssprache, die aber doch in die Produkte ungebildeter Schriftsteller, oft gegen deren Willen, Eingang fand (s. Neugriechische Literatur). Auch heute noch wird der Kampf um die Schriftsprache zwischen den Vertretern des Purismus, der sogen. καϑαρεύουσα, und den einer mehr oder weniger volkstümlichen Schreibweise sehr lebhaft geführt (vgl. Krumbacher, Das Problem der neugriechischen Schriftsprache, Münch. 1902). Das Neugriechische weicht in Lautbestand, Flexion und Syntax sehr erheblich vom Altgriechischen ab. Altes ι, υ, η, ει, οι, sind in den einen Laut i zusammengefallen, ebenso ε und αι in e; die Medien β, γ, δ sind zu Spiranten geworden, ζ klingt wie weiches s (= franz. z) etc. Die alte Quantität der Silben ist untergegangen, und nur der Wortakzent hat Geltung. Die meisten dieser laut lichen Veränderungen, denen man im allgemeinen den Namen Itazismus gibt, gehören schon der Koine an; trotzdem haben diejenigen unrecht, welche die neugriechische Aussprache durchaus schon für die Zeit der klassischen Literatur gellen lassen wollen. In der Nominaldeklination ist der Dualis ganz und der Dativ so gut wie ganz verloren; letzterer wird durch präpositionale Umschreibung oder durch den Genetiv, bez. Akkusativ, ersetzt. Benn Verbum werden Futur, Perfekt, Plusquamperfekt durch Umschreibungen mit Hilfsverben gebildet; auch Optativ und Infinitiv sind[553] verloren; letzterer wird, wie im Bulgarischen und Albanischen, durch einen Satz mit νά »daß« (aus ἵνα) vertreten. Auch der Wortschatz ist gerade in den Bezeichnungen für die gewöhnlichsten Dinge ganz erheblich verändert. Die älteste vulgärgriechische Grammatik verfaßte Nikolaos Sophianos im 16. Jahrh., neu herausgegeben von Legrand in der »Collection des monuments«. Dann folgte Girol. Germano (Rom 1622) und Simon Portius (Par. 1632), letztere neu herausgegeben mit wertvollem Kommentar von W. Meyer-Lübke (Par. 1889). Ganz veraltet ist Mullachs »Grammatik der griechischen Vulgärsprache« (Berl. 1856). Deutsche Lehrbücher schri even in jüngster Zeit: Vlachos (Leipz. 1864, 5. Aufl. 1899), Jeannarakis (Hannov. 1877), Sanders (Leipz 1881, 2. Aufl. 1890), Wied (3. Aufl., Wien 1900) und Mitsotakis (Berl. 1891; Chrestomathie 1896). Beiser als alle andern sind Thumb, Handbuch der neugriechischen Volkssprache (Straßb. 1895) und Pernot, Grammaire grecque moderne (Par. 1897). Von Wörterbüchern sind wichtig: Somavera, Tesoro della lingua Greca-volgare ed Italiana (Par. 1709), und Skarlatos Byzantios, Λεξικὸν τῆς καϑ᾿ ἡμᾱς Έλληνικῆς διαλέκιον (3. Aufl., Athen 1874); am ausführlichsten ist das Wörterbuch von Vlachos (Athen 1897) und das deutsch-neugriechische von Jeannarakis (Hannov. 1883); kürzer Legrand (Par. 1872, 2 Bde.) sowie Petraris (Leipz. 1897). Einen »Neugriechischen Sprachführer« lieferte Mitsotakis (Leipz. 1892). Eine wissenschaftliche historische Grammatik des Neugriechischen fehlt noch; Vorarbeiten dazu sind besonders Maurophrydis, Δοκίμιον ἱστοίας τῆς ἑλληνικῆς Υλὴσσης (Smyrna 1871) und die Arbeiten von Deffner, Morosi, Foy, Hatzidakis (s. d.), Krumbacher, Psichari, G. Meyer, A. Thumb, K. Dieterich u.a. Weitere Literatur findet man bei Thumb, Die n. S. (Freib. i. Br. 1892); G. Meyer, Neugriechische Studien I (Wien 1894) und im »Anzeiger der indogermanischen Forschungen« (seit 1890) verzeichnet.
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