Regentschaft

[707] Regentschaft, Ausübung der Staatsgewalt an Stelle des behinderten oder regierungsunfähigen Herrschers. Sie tritt bei Minderjährigkeit (ordentliche R.) oder bei dauernder Behinderung des Staatsoberhauptes, namentlich infolge Geisteskrankheit (außerordentliche R.), ein. Ebenso ist R. erforderlich, wenn der Souverän mit Hinterlassung einer schwangern Witwe stirbt. Die Verfassungen von Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg halten an den Grundsätzen des ältern Rechtes fest, wonach derjenige volljährige Agnat, welcher der Krone am nächsten steht, zur R. berufen wird. So übernahm 9. Okt. 1858 der damalige Prinz von Preußen, der nachmalige König Wilhelm I., während der Krankheit seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. die R. Andre Verfassungsurkunden und Hausgesetze lassen dem nächsten Agnaten die Mutter oder Großmutter oder auch wohl die Gemahlin des dauernd verhinderten Monarchen vorgehen. Nach der preußischen Verfassung (Art. 56–58) muß der Regent sofort die Kammern berufen, die in[707] vereinigter Sitzung über die Notwendigkeit der R. beschließen. Der Regent hat vor den vereinigten Kammern den Verfassungseid zu leisten. In Bayern übernahm Prinz Luitpold 10. Juni 1886 die R. für den geisteskranken König Ludwig II. und nach dessen Tode 13. Juni 1886 für den ebenfalls geisteskranken König Otto. Von der R. verschieden ist die Regierungsstellvertretung des vorübergehend verhinderten Monarchen, die auf persönlichem Auftrage beruht. So beauftragte nach dem Nobilingschen Attentate der Kaiser und König Wilhelm I. den Kronprinzen Friedrich Wilhelm unterm 4. Juni 1878 mit seiner Vertretung. Auch der Erlaß Wilhelms I. vom 17. Nov. 1887, der aber erst 8. März 1888, unmittelbar vor dem Ableben des Kaisers, veröffentlicht ward, nahm mit Rücksicht »auf die Wechselfälle der Gesundheit« des Kaisers und »in Betracht der Krankheit und verlängerten Abwesenheit des Kronprinzen« (des nachmaligen Kaisers Friedrich III.) eine Stellvertretung durch den Prinzen Wilhelm (jetzt Kaiser Wilhelm II.) in Aussicht. Vgl. Freund, Die R. nach preußischem Staatsrecht (Bresl. 1903). – In der Geschichte Frankreichs versteht man unter R. (franz. régence) vorzugsweise die durch Sittenlosigkeit berüchtigte Regierungszeit des Herzogs Philipp von Orléans (gewöhnlich »der Regent« genannt, s. Orléans 3, S. 129) während der Minderjährigkeit Ludwigs XV. (1715–23); daher noch die Ausdrücke wie Homme-régence (soviel wie Roué, s. d.), Régence-Stil (s. d.) etc.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 707-708.
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