Reuchlin

[836] Reuchlin, 1) Johann (gräzisiert Kapnion, von kapnós, Rauch), berühmter Humanist, geb. 22. Febr. 1455 in Pforzheim, gest. 30. Juni 1522 in Bad Liebenzell bei Hirschau, studierte seit 1470 in Freiburg, seit 1473 in Paris, wo er die Anfangsgründe des Griechischen sich aneignete, seit 1474 in Basel, ging 1477 wieder nach Paris und studierte seit 1478 in Orléans und Poitiers die Rechte, daneben, wie schon in Basel, Vorlesungen über lateinische und griechische Sprache haltend. Ende 1481 als Lizentiat der Rechte nach Tübingen zurückgekehrt, trat er in die Dienste Eberhards des Bärtigen von Württemberg, begleitete ihn 1482 nach Italien und wurde 1484 Beisitzer des Hofgerichts in Stuttgart. Nach Eberhards Tode begab sich R. 1496 nach Heidelberg zum Kurfürsten von der Pfalz, trat jedoch 1499 in den württembergischen Staatsdienst zurück und wurde 1502 Mitglied des aus drei Männern bestehenden Richterkollegiums des Schwäbischen Bundes in Tübingen, legte aber 1513 dieses Amt nieder, um ganz seinen Studien zu leben. 1519–21 lehrte er in Ingolstadt an der Universität Griechisch und Hebräisch, dann wieder in Tübingen. Die Vielseitigkeit und Neuheit seines Wissens und literarischen Wirkens, seine hohe Stellung, die Lauterkeit seines Charakters machten ihn zum Haupte des deutschen Humanismus. Als solches erschien er besonders in dem Streite mit den Dominikanern in Köln (s. Epistolae obscurorum virorum). Insbesondere hat sich R. als erster Lehrer des Griechischen in Deutschland verdient gemacht; er behielt die neugriechische Aussprache (Itazismus) bei, die nachher im Gegensatz zu der des Erasmus die Reuchlinische genannt wurde. Das Hebräische hat überhaupt kein Humanist vor ihm gelehrt; er selbst hat es auch erst im Mannesalter mühsam von Juden gelernt. Auch die jüdische Geheimlehre Kabbalah suchte er, durch Pico von Mirandola angeregt, zu ergründen. Der Reformation hat er sich niemals ausdrücklich angeschlossen, obgleich Melanchthon der Enkel seiner Schwester war; schließlich hat er sich sogar gegen Luther erklärt, wodurch Hutten zu einem Fehdebrief gegen ihn 1521 veranlaßt wurde. Von seinen Werken nennen wir außer den zahlreichen lateinischen Übersetzungen griechischer Schriftsteller die Ausgaben von »Xenophontis Apologia, Agesilaus, Hiero« (Hagenau 1520) und »Aeschinis et Demosthenis orationes adversariae« (das. 1522); zur lateinischen Sprache: »Vocabularius breviloquus« (Basel 1475, 25. Aufl. 1504); zur griechischen Sprache: »Micropaedia sive grammatica graeca« (um 1478 verfaßt, nicht gedruckt), »De quatuor idiomatis« und »Colloquia graeca« (zusammen veröffentlicht von Horawitz, »Griechische Studien«, 1. Heft, Berl. 1884); zur hebräischen Sprache: »Rudimenta hebraica« (Pforzh. 1506); »De accentibus et orthographia Hebraeorum libri III« (Hagenau 1518) und die Ausgabe der sieben Bußpsalmen (Tübing. 1512), die als der erste hebräische Druck in Deutschland gilt; zur Kabbalah: »De verbo mirifico« (Basel 1494) und »De arte cabbalistica« (Hagenau 1517). Als Dichter machte er sich durch die beiden Komödien »Scenica progymnasmata« oder »Henno« (Straßb. 1497) und »Sergius« oder »Capitis caput« (Pforzh. 1507) berühmt. Den »Augenspiegel« (zuerst Pforzh. 1511) gab in neuerer Zeit Mayerhoff (Berl. 1836), den »Briefwechsel« L. Geiger (Tübing. 1875) heraus. Vgl. L. Geiger, J. R., sein Leben und seine Werke (Leipz. 1871); Horawitz, Zur Biographie und Korrespondenz J. Reuchlins (Wien 1877); Holstein, J. Reuchlins Komödien (Halle 1888).

2) Hermann, Geschichtschreiber, Nachkomme des vorigen, geb. 9. Jan. 1810 in Markgröningen bei Ludwigsburg, gest. 14. Mai 1873 in Stuttgart, studierte in Tübingen Theologie, hielt sich längere Zeit in Paris auf, ward 1842 Pfarrer in Pfrondorf bei Tübingen und privatisierte seit 1857 in Stuttgart. Von seinen Werken sind hervorzuheben: »Geschichte von Port Royal« (Hamb. u. Gotha 1839–44, 2 Bde.); »Pascals Leben und der Geist seiner Schriften« (Stuttgart 1840); »Geschichte Italiens von Gründung der regierenden Dynastien bis zur Gegenwart« (Leipz. 1859–74, 4 Bde.) und »Lebensbilder zur neuern Geschichte Italiens« (Graf Balbo, Garibaldi, F. und G. Pepe; Nördling. 1860–62, 3 Tle.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 836.
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