[858] Kurfürsten (seit 1500 Churfürsten geschrieben, v. althochd. kur, d. h. Wahl, also »Wahlfürsten«, lat. Electores), diejenigen Fürsten des ehemaligen Deutschen Reiches, denen seit dem 13. Jahrh. das Recht zustand, den deutschen König zu wählen. Wie bei allen germanischen Völkern wurde auch bei den Deutschen der König grundsätzlich gewählt, wenn auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie die Voraussetzung bildete. Ausdrücklich wurde der Grundsatz der Königswahl 1077 zu Forchheim in Gegenwart päpstlicher Legaten von den Reichsfürsten proklamiert und durch Ausstellung Rudolfs von Schwaben als Gegenkönig Heinrichs IV. betätigt. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters wurde die Königswahl von den gesamten geistlichen und weltlichen Reichsfürsten vollzogen; unter ihnen hatte der Erzbischof von Mainz ein Vorrecht, indem ihm die Leitung des Wahlgeschäfts oblag. Im »Sachsenspiegel« (vor 1235) werden zuerst 6 Reichsfürsten genannt, die ein Vorstimmrecht bei der Königswahl besitzen, 3 geistliche (die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln) und 3 weltliche (Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen, Markgraf von Brandenburg). Die Doppelwahl von 1257 (Alfons von Kastilien und Richard von Cornwallis) wurde ausschließlich von diesen 6 Reichsfürsten vorgenommen, und zugleich wurde als siebenter Wahlberechtigter der König von Böhmen zugelassen. Mit dem Kurfürstenamt war auch je eins der Erzämter (s. d.) verbunden. Auch bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) wurde das Wahlrecht ausschließlich von 7 K. geübt; aber als siebenter fungierte nicht der König von Böhmen, sondern der Herzog von Bayern. So ist auch das Kurfürstenkollegium im »Schwabenspiegel« zusammengestellt. Unter Rudolf von Habsburg wurde der Streit zwischen Böhmen und Bayern zugunsten Böhmens entschieden durch Anerkennung des Erzschenkenamts des Königs von Böhmen (1290). Seit dem 14. Jahrh. üben die K. ein Mitregierungsrecht im Reiche aus durch Erteilung von Willebriefen (schriftlichen Zustimmungserklärungen) zu allen wichtigern Verfügungen. Die Goldene Bulle (1356) Karls IV. bestätigte das Recht der K., bestimmte die Unteilbarkeit der Kurlande und sicherte den K. den Vollbesitz aller Regalien zu. Auch bestimmte sie, daß die K. sich alljährlich zu einem Kurfürstentag vereinigen (s. Kurverein) und gleichzeitig in derselben Stadt ein Reichstag gehalten werden solle. Die Macht der K. wurde vermehrt durch die von ihnen ohne Zuziehung der übrigen Reichsstände redigierten Wahlkapitulationen (d. h. Wahlbedingungen), deren erste Karl V. (1519) beschwor, und die seitdem jeder König vor der Krönung beschwören mußte. Im Reichstag schlossen sich die K. seit dem 14. Jahrh. zu einem besondern Kollegium (Kurfürstenkollegium, Kurfürstenrat) zusammen, dessen Vorsitz (Direktorium) der Kurfürst von Mainz führte. Die pfälzische Kur wurde 1623 auf Bayern übertragen; im Westfälischen Frieden (1648) wurde die bayrische Linie bei der pfälzischen Kur bestätigt, für die Pfalz aber eine neue Kur mit dem Erzschatzmeisteramt geschaffen. Diese achte Kur sollte erlöschen, wenn eine der beiden wittelsbachischen Linien im Mannesstamm erlösche. Eine neunte Kur wurde 1692 für Braunschweig-Lüneburg geschaffen, fand aber erst 1708 reichsgrundgesetzliche Anerkennung. Zugleich wurde 1708 die Wiederzulassung der böhmischen Kurstimme vorgenommen, die seit König Wenzel nicht mehr ausgeübt worden war. 1777 erlosch die bayrische Linie des wittelsbachischen Hauses, und die pfälzische Kur fiel wieder an den Pfalzgrafen bei Rhein; so daß es nun wieder nur 8 K. gab. Das Erzschatzmeisteramt fiel dabei an Braunschweig-Lüneburg. Durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) verloren Köln und Trier die Kurwürde, die Kur von Mainz wurde auf Regensburg übertragen; neue Kurwürden wurden verliehen dem Großherzog von Toskana für das Erzstift Salzburg, dem Herzog von Württemberg, dem Markgrafen von Baden und dem Landgrafen von Hessen-Kassel, so daß die Zahl der K. auf zehn erhöht wurde. Salzburgs Kur erlosch schon 1805 infolge des Preßburger Friedens, die übrigen mit der Stiftung des Rheinbundes. Nur der Kurfürst von Hessen behielt nach seiner Wiedereinsetzung den Titel eines K. bei; das Kurfürstentum Hessen endigte 1866 infolge der Annexion durch Preußen. Die besondere Tracht der K. bestand aus einem bis auf den Boden herabgehenden Rock (Kurmantel), bei den geistlichen K. aus scharlachrotem Tuch, bei den weltlichen von rotem Samt, mit einem Kragen von Hermelin und Hermelinbesatz an den weiten Ärmeln und vorn herunter, und aus dem Kurhut (s. d.). Der Erbprinz eines K. hieß Kurprinz. Vgl. Wilmanns, Die Reorganisation des Kurfürstenkollegiums (Berl. 1873); Schirrmacher, Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (das. 1873); O. Harnack, Das Kurfürstenkollegium bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Gießen 1883); Quidde, Die[858] Entstehung des Kurfürstenkollegiums (Frankf. a. M. 1884); Maurenbrecher, Geschichte der deutschen Königswahlen vom 10. bis 13. Jahrhundert (Leipz. 1889); Lindner, Die deutschen Königswahlen und die Entstehung des Kurfürstentums (das. 1893) und Der Hergang bei den deutschen Königswahlen (Weim. 1899); Kirchhöfer, Zur Entstehung des Kurkollegiums (Halle 1893).