Theologie

[469] Theologie (griech.), bei den Griechen die Lehre von den Göttern und göttlichen Dingen. Daher nannten die Griechen denjenigen einen Theologos, der über das Wesen und die Geschichte der Götter Auskunft zu erteilen vermochte. So führen diesen Namen der Syrer Pherekydes und der Kreter Epimenides. Die alte Kirche nannte Theologen die Verteidiger der Gottheit des Logos, wie den vierten Evangelisten und Gregor von Nazianz. Erst die Scholastik versteht unter T. den Komplex der christlichen Lehre, und so spricht man noch heute im Unterschied von der gesamten Religionswissenschaft von T. im Sinn einer positiven Wissenschaft, die einer bestimmten geschichtlichen Religion gilt. Insonderheit ist die christliche T. die Wissenschaft der Diener der Kirche, wie die Rechtswissenschaft diejenige der Staatsdiener. Daraus ergibt sich teils der wesentliche Unterschied der T. von dem Begriff der Religion (s. d.), teils ihr nahes Verhältnis zur Philosophie (s. Religionsphilosophie). Fast jedes philosophische System ist auf die T. angewendet worden, und in langen Perioden der Geschichte bildete die T. den alles bedingenden Hintergrund für die Geschichte der Philosophie. Formell ist man seit Schleiermacher ziemlich allgemein darin einverstanden, daß in der T. eine Reihe von Disziplinen, die der Sache nach in die Gebiete der Geschichte, der Philosophie und der Philologie gehören, im Interesse der Kirchenleitung in eine, jeder dieser Disziplinen an sich fremde, Verbindung versetzt wurde. Da es sonach bloß ein praktischer Gesichtspunkt ist, der als zusammenhaltende Klammer für die sonst mannigfach auseinanderstrebenden Beschäftigungen der »theologischen Fakultät« dient, würde an sich nichts im Wege stehen, ihre einzelnen Elemente in die ihnen natürliche Verbindung zurücktreten zu lassen, wofern nicht ein leider oft allzu wenig erkanntes Interesse des Staates selbst es erheischte, die Kirche[469] durch eine von ihm, nicht von ihr zu besetzende theologische Fakultät in dem lebendigen und befruchtenden Zusammenhang mit dem sich entwickelnden wissenschaftlichen, künstlerischen und politischen Bewußtsein der Zeit zu erhalten oder, wo dieser Zusammenhang verloren gegangen ist, ihn wiederherzustellen. Im übrigen unterscheidet man herkömmlicherweise innerhalb der T. als christlicher (bez. auch jüdischer) Religionswissenschaft die Hauptgebiete der historischen, systematischen und praktischen T. Die historische T. hat zum Gegenstand den Ursprung, den weitern Fortgang und die gegenwärtige Lage der Kirche und zerfällt daher wieder in die exegetische, kirchenhistorische und statistische T. Unter der erstern begreift man alles das, was auf das Bibelstudium oder auf die Erklärung der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments Bezug hat. Sie umfaßt außer der eigentlichen Exegese auch die dazu nötigen Hilfswissenschaften. Diese sind: die biblische Philologie, die Einleitungswissenschaft oder Isagogik und die Hermeneutik. An die Quellen der Offenbarung reiht sich der Inhalt derselben als eigentliche biblische Geschichte und Archäologie und als biblische Glaubens- und Sittenlehre (biblische T.) und wieder an die biblische Geschichte speziell die historische T. an, welche die Geschichte der Kirche seit ihrer Entstehung im nachapostolischen Zeitalter bis auf die neueste Zeit fortsetzt. Einige Zweige der Kirchengeschichte sind besonders bearbeitet worden, so: die Dogmengeschichte, die Symbolik, die Patristik, die kirchliche Archäologie, die Geschichte des Kultus und der Kirchenverfassung, oft auch der christlichen Kunst und Sitte in den ersten Jahrhunderten, die Darstellung des christlichen Lebens in den verschiedenen Zeitaltern, die Missionsgeschichte und die Ketzergeschichte. Die kirchliche Statistik (Konfessionskunde, Kirchenkunde) endlich ist die Darstellung des gegenwärtigen Zustandes der äußern und innern Lage der Kirche in den verschiedenen christlichen Ländern. Unter der systematischen T. begreift man die wissenschaftliche Darstellung der christlichen Lehre, sowohl nach dem Glauben als nach dem ihm entsprechenden sittlichen Leben. Die Dogmatik (s. d.) oder Glaubenslehre bildet eigentlich den Mittelpunkt der T., indem in ihr die Resultate der exegetischen und historischen T. zu einem geordneten Ganzen verbunden werden. Als besondere Bestandteile gehören ihr an: die Apologetik, die Polemik und deren Gegensatz, die Irenik. Die christliche Moral oder Sittenlehre hatte früher als besondere Disziplinen neben sich die Kasuistik und die Asketik. Die praktische T. würde, falls sich die oben angeregte Auseinandersetzung der theologischen mit der philosophischen Fakultät vollziehen ließe, ganz außerhalb der Universitätsstudien fallen und Sache kirchlicher Seminare werden, sofern sie die Theorie von Kirchenleitung und Kirchendienst darstellt. Auch sie umfaßt mehrere besondere Disziplinen, namentlich die Katechetik, Liturgik, Homiletik, Pastoraltheorie und unter Umständen das Kirchenrecht. S. die betreffenden Artikel.

Theologische Enzyklopädie heißt diejenige Disziplin, die den gesamten Organismus der theologischen Wissenschaften darzustellen und in denselben einzuführen hat. Die neuesten Werke sind: Hofmann, Enzyklopädie der T. (hrsg. von Bestmann, Nördling. 1879); Hagenbach, Enzyklopädie und Methodologie der theologischen Wissenschaften (12. Aufl., hrsg. von Reischle, Leipz. 1890); Rothe, Theologische Enzyklopädie (hrsg. von Ruppelius, Wittenb. 1880); Räbiger, Theologik oder Enzyklopädie der T. (Leipz. 1880); Heinrici, Theologische Enzyklopädie (Freiburg 1893); Zöckler u. a., Handbuch der theologischen Wissenschaften (3. Aufl., Nördling. 1889–90, 4 Bde.). Lexikalische Hilfsmittel: »Realenzyklopädie für protestantische T. und Kirche« (begründet von Herzog; 3. Aufl., hrsg. von Hauck, Leipz. 1896 ff., bisher 19 Bde.); Holtzmann und Zöpffel, Lexikon für T. und Kirchenwesen (3. Aufl., Braunschw. 1895); »Perthes' Handlexikon für evangelische Theologen« (Gotha 1889 bis 1891, 3 Bde.); »Calwer Kirchenlexikon« (Calw u. Stuttg. 1891–93, 2 Bde.); katholischerseits: »Wetzer und Weltes Kirchenlexikon« (2. Aufl., hrsg. von Hergenröther und Kaulen, Freiburg 1882–1903, 12 Bde. und Register); »Kirchliches Handlexikon« (hrsg. von Buchberger, 1. Bd., Münch. 1907).

In den ersten Jahrhunderten war die T. wesentlich Exegese, zuerst des Alten, dann des Neuen Testaments; in dieser Beziehung unterschieden sich namentlich die Alexandrinische (s. d.) und die Antiochenische Schule (s. d.). Seit dem 3. und noch mehr seit dem 4. Jahrh. trat die Dogmatik in den Mittelpunkt der T., während zugleich durch den herrschenden Gebrauch, auf Konzilen Glaubenssätze festzustellen, die Freiheit der theologischen Forschung gehemmt wurde. Als später die Entscheidung über Dogmen mehr und mehr allein der Primatialgewalt der Päpste zufiel, fand die scholastische T. (s. Scholastiker) ihre Aufgabe in der Durchbildung des Lehrbegriffs im einzelnen, namentlich aber in dem Nachweis seines innern Zusammenhanges und in der philosophischen Begründung der Kirchenlehre. Erst gegen Ende des 14. Jahrh. beginnt eine durchgreifende, auf das Urchristentum zurückgehende Reformation der T. mit Wiclif, die durch Hus, aber auch durch seine Gegner, die nominalistischen Theologen Frankreichs, fortgesetzt, durch die Reformatoren vollendet und praktisch ins Werk gesetzt wurde. Von diesem Zeitpunkt an durchläuft die theologische Wissenschaft, als die Schöpferin einer neuen Kirche, neue Phasen. Die Reformation brachte der evangelischen T. zunächst Freiheit der Forschung dadurch, daß sie die Herrschaft und die Macht der bloßen Autorität über die Geister brach und die Heilige Schrift als alleinige Erkenntnisquelle hinstellte. Im Gegensatz gegen die neue Fessel, als die nun der Schriftbuchstabe in der zu einer zweiten Scholastik erstarrten protestantischen T. des 17. Jahrh. auftrat, regte sich mit Erfolg das teils philosophisch fortgeschrittenere, teils historisch geschultere Bewußtsein des 18. Jahrh., während das 19., besonders in Schleiermacher, mit der philosophischen und historischen Unbefangenheit auch wieder eine tiefere Würdigung des Wesens der Religion und der Interessen der Kirche zu verbinden wußte. Gleichwohl ließen die restaurativen Tendenzen, die zeitweilig im Staate, dauernd in der Kirche die Herrschaft gewannen, es kaum zur Bildung einer eigentlich freien, die Grundlage und Methode der übrigen Wissenschaften teilenden T. kommen. Erst in jüngster Zeit ist es in dieser Beziehung besser geworden, aber noch immer unterliegt das Studium der T. gewissen Schwankungen, die durch die allgemeine kirchenpolitische Lage bedingt sind. Statistisches s. im Art. »Universitäten«. Vgl. Dorner, Geschichte der protestantischen T. (Münch. 1867); Werner, Geschichte der katholischen T. (2. Aufl., das. 1889); v. Frank, Geschichte und Kritik der neuern T. (2. Aufl., Leipz. 1895); Holtzmann, Über Fortschritte und Rückschritte der T. unsers Jahrhunderts (Straßb. 1878); O. Pfleiderer, Die Entwickelung der protestantischen T. in [470] Deutschland seit Kant und in Großbritannien seit 1825 (Freib. 1891). Für die methodologischen Fragen: Duhm, Über Ziel und Methode der theologischen Wissenschaft (Basel 1889); Bernoulli, Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der T. (Freib. 1897); Reischle, T. und Religionsgeschichte (Tübing. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 469-471.
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