Schwiegereltern

[211] Schwiegereltern werden von der Mehrzahl der Naturvölker in einer Weise gemieden, daß der böse Ruf der Schwiegermutter sich zum Teil als Überbleibsel einer ehemals über die ganze Welt verbreiteten Sitte erklären mag. Die Schwiegersöhne dürfen sich im besondern nicht vor der Schwiegermutter, die Schwiegertöchter nicht vor dem Schwiegervater sehen lassen, bei zufälligen Begegnungen werden Umwege gemacht, der eine Teil versteckt sich oder verbirgt im Notfall sein Gesicht hinter den Händen oder im Tuch. Dieser Br tuch wird bei den verschiedensten Naturvölkern gefunden und dehnt sich bis zu Verboten aus, auch nur deren Namen zu nennen. Anderwärts, z. B. in Loango, bei den Aschanti und den Araukanern, dürfen die Parteien miteinander sprechen, aber sie dürfen sich nicht dabei ansehen und müssen möglichst den Rücken einander zuwenden. Der Grund dieser Sitten liegt wohl hauptsächlich in den bei vielen dieser Stämme herrschenden Gebräuchen der Exogamie und des Frauenraubes, doch mögen auch Wohlfahrtsrücksichten (Vermeidung von Zänkereien) bei ihrer Einführung mitwirkend gewesen sein. Zu dieser herrschenden Sitte bildet die sprichwörtliche Zärtlichkeit der Schwiegermutter zu ihrem Schwiegersohn in Indien einen seltenen Gegensatz, der sich sogar in einem besondern, im Mai gefeierten Schwiegersohnsfest (Jâmâi Shâshthî) ausdrückt, bei dem im Hause der Mütter mit den Schwiegersöhnen ein förmlicher Kultus getrieben wird. Der Grund liegt in der bei den Hindu sehr gedrückten und lediglich von dem Wohlwollen ihres Gatten abhängigen Stellung der schon als Kind verheirateten Frau. Vgl. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche (Stuttg. 1878); O. Schrader, Die Schwiegermutter und der Hagestolz (Braunschw. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 211.
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