Selbstbewußtsein

[314] Selbstbewußtsein, im gewöhnlichen Sprachgebrauch die Überzeugung von dem Wert und den dadurch bedingten Rechten der eignen Persönlichkeit; in der Psychologie das Bewußtsein (Wissen) von unserm eignen Ich oder Selbst, im Gegensatz zu dem Bewußtsein von der jenem entgegengesetzten objektiven Welt. Wie unsre Vorstellungen von äußern Objekten aus den nach Qualität und Intensität bestimmten Eindrücken der äußern Sinne hervorgehen, so müssen auch dem S. (der Vorstellung von unserm eignen Ich) bestimmte, in der innern Erfahrung gegebene einfache Tatsachen zugrunde liegen. Es sind dies diejenigen Empfindungen, deren Quelle im Organismus selbst liegt, also die sogen. Gemeingefühle (s. d.), zu denen noch die mit den Bewegungen der Gliedmaßen und Sinnesorgane verknüpften Bewegungsempfindungen (s. d.) hinzukommen. Entsprechend dem unbestimmten Charakter dieser Empfindungen, die uns zumeist einzeln gar nicht deutlich zum Bewußtsein kommen, ist auch das auf sie sich gründende (sinnliche) S. ein dunkles und verschwommenes; das intensivere und bestimmtere S. ist identisch mit dem Bewußtsein des eignen Tätigseins, also an die Ausübung der Willensfunktion geknüpft, mag die letztere nun nach innen (auf unsre Vorstellungen) oder nach außen gerichtet sein. Dem Umstande, daß die bezeichneten Elemente beständig im Bewußtsein vorhanden sind, entsprechen die charakteristischen Eigenschaften des Selbstbewußtseins: seine Kontinuität (ununterbrochene Fortdauer) und seine Identität (das Immersichgleichbleiben desselben, wie auch der übrige Inhalt des Bewußtseins wechseln möge). Beide Eigenschaften sind freilich nicht im absoluten Sinne vorhanden: im Schlafe dünken wir uns oft ein ganz andrer zu sein als im Wachen, Geisteskranke fühlen sich mitunter im periodischen Wechsel als zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten etc. Es kommt dies daher, daß unser S. erst durch den ganzen Komplex von Erinnerungen, Trieben, Erwartungen etc., der mit jenen Grundelementen durch Assoziation zusammenhängt, und den wir deshalb unserm Selbst zurechnen, sein individuelles Gepräge erhält, und daß also Änderungen in jenem Komplex zugleich eine Modifikation des Selbstbewußtseins bedingen. Vgl. Ich.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 314.
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